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Vandalismus- und Terrorismusschäden an Vertikalverglasungen

Was tun, wenn‘s kracht

Vandalismus und Terrorismus sind ihren Definitionen zufolge zwei verschiedene Arten der Zerstörung: Der Vandalismus bezweckt keine Überwindung von Schutzbarrieren sondern stellt eine Zerstörungswut dar, die häufig mit geringen Mitteln große Schäden verursacht. Terrorismus ist dagegen ein zielgerichteter, geplanter Angriff, dessen prägende Elemente die Willkür und Unvorhersehbarkeit der einzelnen Aktionen sind, um in der Bevölkerung und Politik Verunsicherungen hervorzurufen. Seit dem 11. September 2001 rückt der Schutz von Gebäuden gegen terroristisch motivierte Anschläge immer mehr in den Vordergrund. Dem steht gegenüber, dass die Mehrzahl der (Glas-) Fassaden nicht für solche Anprall- und Explosions- Lasten ausgelegt sind.

Die folgenden Schadensbilder weisen darauf hin, dass Glas bei Anschlägen anderen Materialien gegenüber im Nachteil ist, da es selbst durch kleinste Kratzer, Risse und Abplatzungen irreparabel beschädigt wird. Als Lösung bietet sich die Einführung von „Opferscheiben“ an, welche die Sachschäden an teuren Sondergläsern und Fensterrahmen begrenzen können. Solche Systeme stellen zurzeit gewissermaßen die Glasdoppelfassaden, Kastenfenster und Prallscheiben mit Verbundsicherheits-Verglasungen dar. In Zukunft könnten sie durch speziell auf diese Herausforderungen abgestimmte Bauweisen ergänzt werden.

Flexible Fassaden

Der Schutz von Gebäuden mit hohem Glasanteil erfordert schon heute neue Sicherheitsstrategien, die maßgeblich von drei Parametern abhängen, die das Verhalten einer Glasfassade bei Anprall- und Explosionslasten bestimmen. Dazu zählen die Art und Menge des verwendeten Sprengstoffes, die Entfernung des Detonationszentrums vom Zielort und die statischen und dynamischen Eigenschaften der Fassadentragstrukturen in Verbindung mit den Scheiben [1].

Der Einflussfaktor der verwendeten Explosivstoffe ist nicht steuerbar, denn aus einfachen handelsüblichen Materialien entstehen hochexplosive Bomben, deren Anleitungen frei im Internet verfügbar sind. Daher kommt einer Verringerung des Explosionsdruckes durch Distanz schaffende Maßnahmen eine große Bedeutung zu. So erfolgt der Neubau hoher Glasgebäude heute vielfach mit einer Mantelbebauung, die entsprechend zu sichern ist, oder das Bauwerk ist von ausreichenden Freiflächen umgeben. In Kombination mit einer Beschränkung der Zufahrt lässt sich der Explosionsherd so weit zurückverlegen, dass für die Gebäude nur noch eine geringe Gefährdung besteht. Gebäude im Altbaubestand sind auf diese Art kaum zu sichern, weshalb auch diese Option nur in bestimmten Fällen greift.

Damit besteht der wirkungsvollste Ansatz in der dritten Option, bei der das Glas und die Tragelemente einen Beitrag zu einer erhöhten Sicherheit leisten. Eine Variante entsteht durch die Errichtung der äußeren Gebäudehülle als „Opferfassade“ [2]. Sie schützt nach dem Prinzip der Glasdoppelfassade (GDF) als äußere „Haut“ eine innere Hülle, die durch einen Luftraum abgetrennt ist. Die Tragwerksstruktur teilt sich damit in einen tragenden Kern und seine Bekleidung im Innern und eine schützende Fassade im Außenbereich, die aus mehreren unabhängigen Schichten bestehen kann. Sie enthalten sekundäre und tertiäre Tragelemente, die redundante Strukturen aufweisen und elastisch reagieren. Ihre bereichsweise Zerstörung im Angriffsfall ist einkalkuliert.

Das Glas selbst verhält sich im unveredelten Zustand bei mechanischer Beanspruchung linear elastisch, wobei es schlagartig mit einem spröden Trennbruch versagt. Es verfügt wegen dieses nahezu vollkommen linear elastischen Verhaltens über keinerlei Plastifizierungsreserven wie etwa der Stahl. Erst durch die Verbindung mit Zwischenlagen, die bisher z.B. aus thermoplastischen Klebschichten wie Polyvinylbutyral (PVB)- Folien bestehen und in Zukunft durch hochfeste duromere Klebstoffe ergänzt werden könnten, entsteht hochbelastbares veredeltes VSG. Für eine weitere Verstärkung kann in den Zwischenlagen eine gitterartige Bewehrung z.B. aus Glasfaser-Einlagen zum Einsatz kommen [3].

Elastomere Silikon-Klebstoffe eignen sich besonders für die Verbindung von Glas und Rahmen. Durch eine hochgradig viskoelastische Einstellung der Kleber, die durch hohe Reißfestigkeiten und Zuggeschwindigkeiten charakterisiert wird, ist ihr Einsatz in speziellen Verglasungen möglich. In explosionsgeschützten Fassaden verbinden sie Glas und Rahmen – nach dem Prinzip der Structural-Glazing-Fassaden – zu einem netzartigen System mit hoher Widerstandskraft [4].

Schäden an ESG

Die von destruktiven Aktivitäten betroffenen Gebäude erhalten aus einer Reihe von Gründen nur in seltenen Fällen publizistische Aufmerksamkeit. Da aus dem Ausmaß der Gebäude- und Glasschäden die Gebäude- und Fassadenplaner Aussagen über Maßnahmen zur Verminderung/Vermeidung der Schäden ableiten können, folgen einige Beispiele von Anschlägen auf Verglasungen aus ESG, (VSG) und normalem Floatglas. Auf Wunsch der Eigentümer bleiben die Gebäude selbst unkenntlich. Die Tatwaffen sind hier bekannt und die Bruchbilder stimmen mit denen in der Literatur veröffentlichten überein [5, 6].

Eingangstüren und raumabschließende Verglasungen aus ESG stellen aus Sicherheitsgründen nur noch alarmgesichert eine Alternative bei allgemein zugänglichen Bereichen dar. Die Vorteile des ESG liegen in der hohen Biegezugfestigkeit von mehr als 120 N/mm² und Temperaturdifferenz-Beständigkeit bis zu 200 K. Diese Eigenschaften haben lange Zeit den Einsatz z.B. in PKW- und Fassaden-Verglasungen ermöglicht, der bei vielen Nutzern den falschen Eindruck eines kaum zerstörbaren Glases vermittelt hat. ESG ist jedoch kein „Sicherheitsglas“ im Sinne einer Unüberwindbarkeit sondern treffender als „Personenschutzglas“ zu bezeichnen. Ein kurzer, kräftiger Schlag mit einem spitzen Gegenstand (Nothammer) reicht, um das Glas zu zerstören. Das Auftreffen stumpfer Körper kann zu einem vollflächigen, netzartigen Zerspringen der Scheibe führen (Abb. 6). Ist das Glas erst einmal derart vorgeschädigt, genügt ein leichter Druck, um es in unzählige kleine stumpfwinkelige würfelförmige Bruchstücke zerfallen zu lassen. Dieses Bruchverhalten veranschaulicht, weshalb ESG besser für Verwendungen im Innenbereich geeignet ist, denn die kleinen Krümel reduzieren die Verletzungsgefahr erheblich, halten einen Eindringling oder mutwilligen Zerstörer jedoch nur für kurze Zeit auf.

Abbildung 4 zeigt eine Isolierglasscheibe aus ESG, deren äußere Scheibe nach einem Steinwurf zerstört ist. Ein weiterer Angriff hätte den Zugang in den Bürobereich ermöglicht. Außerdem ist zu erkennen, dass ESG beim Bruch dazu neigt, große Schollen zu bilden. Fallen diese aus dem Rahmen, stellen sie eine Gefährdung der Passanten dar. Aus diesen Gründen befindet sich ESG in einigen Einsatzbereichen auf dem Rückzug und wird durch VSG ersetzt.

Schäden an VSG

In Abbildung 2 ist ein Teil der Verglasung eines Eingangsbereichs aus VSG mit 2 x 4mm Floatglas und 0,38mm Polyvinylbutyral- (PVB) Folie zu sehen. Diese Art der Ausführung ermöglicht eine thermische Trennung der Bürobereiche von der Eingangshalle, die sich daher mit einem geringeren Wärmeschutzniveau realisieren lässt. Die Massivität eines Angriffs, der 10mm ESG- Scheiben total zerstört hat, führt hier nicht zu der Möglichkeit für weitere Schädigungen, um in die Räume eindringen zu können.

Die Nachströmöffnungen für den Brandschutz im Eingangsbereich sowie die Außentüren im Bürotrakt erhalten eine Ausführung als geschosshohe Isolierverglasung mit beidseitigem VSG aus 2 x 4mm Floatglas und 10mm SZR (Abb. 7 und 1). Durch den Angriff wird die äußere Scheibe beschädigt, die innere bleibt dagegen unversehrt. In den Bürobereichen selber bestehen Wärmeschutzanforderungen, die durch einen Scheibenaufbau aus einer Isolierverglasung mit VSG aus 2 x 4mm Floatglas im Innenbereich, 10mm Scheibenzwischenraum (SZR) und einer 6mm Floatglasscheibe als Außenverglasung erfüllt werden (Abb. 2). Der Angriff führt hier zur Zerstörung der Floatglasscheibe und zur Beschädigung des VSG auf der Innenseite.

Eine Glasdoppelfassade (GDF) mit einem Fassadenumgang benötigt in den oberen Geschossen eine absturzsichernde Verglasung. Sie bestehen aus VSG mit 2 x 10mm Floatglas und 1,52mm PVB- Folie oder aus VSG mit 2 x 15mm TVG und 1,52mm PVB- Folie. Die Anzahl der Beschädigungen ist im Bereich der Obergeschosse im Vergleich zum Erdgeschoss gering, da der Kraftaufwand überproportional steigt. Abbildung 5 zeigt zwei Einschlagpunkte, von denen der äußere von einem Steinwurf und der innerhalb des ringförmigen Bruches liegende von einer Steinschleuder oder kleinen Wurfkörpern aus Metall stammt.

Planungsalternativen

Die Beispiele veranschaulichen, wie mit hoher krimineller Energie und wenig Aufwand in kürzester Zeit große Sachschäden entstehen können. Für den Planer und den Eigentümer stellt sich somit immer die Frage, ob ein (vorbeugendes) Agieren oder ein Reagieren im Schadensfall das angemessene Konzept für ein Gebäude in seinem Umfeld ist.

Eine Lösung gegen hohe Sachschäden bei Vandalismus – das legen die aufgeführten Beispiele nahe – ist die Verwendung von „Opferscheiben“, ähnlich den oben beschriebenen Opferfassaden gegen terroristische Angriffe. Opferscheiben aus VSG sind aufgrund ihrer elastischen Zwischenlage durch Vandalismus praktisch nicht zu durchbrechen. Ihr Einsatz kann sich auf das Erdgeschoss beschränken, denn ab dem ersten Obergeschoss steigt die aufzuwendende Energie stark und im Zweiten richtet menschliche Kraft allein kaum noch Schaden an.

Immer mehr setzen sich Fassaden mit fassadengleichen Prallscheiben für vielfältigste Verwendungen, wie z.B. den Schutz der Sonnenschutzanlagen oder aus Lärmschutzgründen, durch. Auch der zu beobachtende Trend zum Kastenfenster in der Lochfassade oder als Kastenfensterfassade kommt dem Schutz vor Vandalismus entgegen, da die äußere Scheibe leicht auszutauschen ist. Häufig erhalten aber aus Gründen der Transparenz gerade die gefährdeten Erdgeschoss- und Eingangsbereiche normale Verglasungen (Abb. 8). Für die Zukunft ist eventuell an die Entwicklung z.B. eines Clip-Systems für Scheiben an die Fassade oder den Fensterrahmen für diese Bereiche zu denken, ähnlich der bei einigen Fenstersystemen durch Druckklemmen zu befestigenden Rahmen. |

Literatur: [1] Vgl.: Burmeister, Albrecht; Rahm, Heiko: Explosionsschutz moderner Glasfassaden. In: VDI- Gesellschaft Bautechnik (Hrsg.): Bauen mit Glas, Tagung Baden- Baden, 29./30.Mai 2006. [2] Vgl.: Kittler, Friedrich; Kluge, Alexander.: Das Arsenal der Architektur. In: ARCH+ Zeitschrift für Architektur und Städtebau, Jg. 35 (2003), Nr. 164/65, S. 24 – 29. [3] Vgl.: Sobek, W.; Rehle, N.: Hochhäuser nach dem 11. September, in: ARCH+ Zeitschrift für Architektur und Städtebau, Jg. 35 (2003), Nr. 164/65, S. 52 – 53. [4] Vgl.: Giesecke, A. H.; Kappes, M.: Explosionsgeschützte Glasfassade – Chance oder Widerspruch. In: Verlagsbeilage der Zeitschrift xia IntelligenteArchitektur, Ausgabe 57 (10-12/2006), S. 14 – 16. [5] Vgl.: Küffner, P.; Lummertzheim, O.: Schäden an Glasfassaden und -dächern. In: Zimmermann, Günter: Schadenfreies Bauen, Band 21, Fraunhofer IRB Verlag, 2000. [6] Vgl.: Wagner, Ekkehard: Glasschäden, Hofmann-Verlag.

Jens Baumgartner

Autor

Jens Baumgartner, Jahrgang 1963, studierte Holz- & Bautechnik in Rosenheim, München und Buxtehude sowie Industrial Engineering beim REFA Bundesverband e.V. in Darmstadt. Seit 1995 eigenes Ingenieurbüro. Der Arbeitsschwerpunkt verlagerte sich in einer mehrjährigen Phase von den Ingenieurdienstleistungen zur Publizistik. Seit 2004 freier technischer Publizist. Die Spezialgebiete sind Holz- und Glasbau sowie Fabrikplanung und Instandhaltung.

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