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Neue Fügung für Glas

Totale Transparenz

Aufgrund des komplexen Bruchverhaltens von Glas, ist die Minimierung von Zugspannungen an den Fügepunkten die Grundregel jeder Glaskonstruktion. Aus diesem Grund sind flächige und linienförmige Fügungen bzw. Verklebungen den punktuellen Verbindungen generell vorzuziehen. Stehen Design, Funktionalität und architektonische Gestaltung im Mittelpunkt, wird in der Regel eine minimierte Fügung angestrebt.

Die Entwicklung der Punkthalter stellt eine solche gelungene Minimierung für Einfachverglasungen sowie für Glaslaminate dar. Punktuelle Klemmhalter für Glaslaminate lassen sich jedoch aufgrund der Kriecheigenschaften der Zwischenschicht nur sehr schwer umsetzen.

Neuartiger Kraftübertrag bei VSG

Am Institut für Tragwerksentwurf der Technischen Uni Graz wurde jetzt eine neue und sehr einfache Methode entwickelt, mit der sich Druck- und Schubkräfte sicher und dauerhaft über die Zwischenschicht übertragen lassen. Für diesen Ansatz wird es notwendig die Eigenschaften der Zwischenschicht selbst zu betrachten.

Die verwendeten Kunststoffe besitzen bei Normaltemperatur und kleinen Dehnungen ein linear elastisches Verhalten. Für dieses Materialverhalten wird das Hookesche Gesetz zur Berechnung angewendet. Das Gesetz beschreibt den linearen Bereich der Spannungs-Dehnungsbeziehung eines Materials. Aus dieser materialspezifischen Beziehung ergibt sich das Elastizitätsmodul E sowie die Querkontraktionszahl μ. Hieraus lassen sich weitere Werkstoffparameter wie das Schubmodul G und das Kompressionsmodul K ableiten. Für eine grenzwertige Querkontraktionszahl von μ ≈ 0,5 ergibt sich für das Kompressionsmodul ein näherungsweise unendlich großer Wert. D.h., dass diese Materialien annähernd inkompressibel sind. In der Hydraulik wird dieser Ansatz seit je her zur Kraftübertragung genutzt. PVB oder auch Epoxydharze lassen sich mit ähnlich hohen Querkontraktionszahlen herstellen. Wird die Querkontraktion bei einer Dehnung konstruktiv behindert, wird der eingeschlosse Raum inkompressibel. Eine konstruktive Querkontraktionsbehinderung kann damit ein von der Viskoelastizität der Kunststoffe unabhängiges Tragverhalten erzeugen. So wird eine dauerhafte Karftübertragung über Kunststoffe mit ausgeprägtem Kriechverhalten möglich.

Hierzu positioniert man einen Ring vor dem Laminieren zwischen zwei Verbundfolien der Glasscheiben. Beim anschließenden Laminierungsprozess schneidet sich der Ring, bedingt durch den Walzendruck, durch die Folie und kontaktiert (berührt) somit die beiden begrenzenden Glasscheiben. Damit bildet er für das eingeschlossene Material eine Barriere aus. Durch das Verwalzen beim Vorverbund wird der Ring zusammengedrückt. Im dem eingeschlossenen Bereich baut sich beim Lösen der von außen aufgebrachten Druckkraft ein Unterdruck auf, der das Relaxieren (Entspannen) des Ringes dauerhaft verhindert und ihn unter Druck setzt. Das System ist jetzt mit der Funktionsweise eines Saugnapfes vergleichbar und von innen vorgespannt (Bild 1). Laminierungsstudien zeigen, dass sich nur bestimmte Querschnitte problemlos ohne einen Blasenwurf oder ein Verziehen der Folie einlaminieren lassen.

Mit dieser neuen Fügetechnik wird es z.B. möglich, die äußere Scheibe einer mit Hinterschnittankern gehaltenen Fassadenscheibe zu fixieren (Bild 1 rechte Skizze). Die dazu notwendige Haftreibung ist nicht von der Größe der Kontaktfläche abhängig sondern ausschließlich von der Druckkraft N und dem Reibungskoeffizienten. Bei der Dimensionierung des inkompressiblen Bereiches (IK) kommt es also nicht auf den Innendurchmesser des Ringes an, sondern auf die Größe der Vorspannung. Wird er direkt über dem Hinterschnittanker angeordnet, ist er quasi unsichtbar. Wegen des Kontaktes der Ringe mit dem Glas wird ein Verschieben der Scheiben über die Haftreibung in der Scheibenlängsachse erschwert, sodass auch drei- und mehrlagige Scheiben mit einem Klemmhalter gehalten werden können.

Wird der IK-Bereich von außen unter Druck gesetzt, kann diese Druckkraft über die Folie oder das Harz übertragen werden. Unter Druck (D) kommt es im eingeschlossen Material jetzt zum Kompressionsaufbau und zu ausgleichenden Zugspannungen (Z) in dem umfassenden Ring. Der Ring kann jetzt als elastische Schnur mit einer zugfesten Einlage konstruiert werden (Bild 2).

So entsteht ein hoch beanspruchbarer inkompressibler Bereich innerhalb der Verklebung. Mit einer Klemmkonstruktion können nach anfänglicher Dehnung extrem hohe Druckkräfte über den IK- Bereich übertragen und dauerhaft gehalten werden. Da Glas eine Druckfestigkeit von etwa 30 KN/cm² hat (theoretisch über 90 KN/cm²), wird eher das Material der Klemmkonstruktion der begrenzende Faktor für die Größe der Vorspannung, nicht das Glas. Entscheidend bei der Materialwahl der Schnüre (Ringe) ist neben der Komprimierbarkeit auch die Verträglichkeit gegenüber dem in der Zwischenschicht enthaltenen Weichmacher.

Ausblick

Eine weitere Möglichkeit die Inkompressionsfelder anzuwenden besteht darin, die Glasscheiben nicht wie üblich als Scheibe oder Glasschwert einzusetzen, sondern wie Bücher in einem zusammengedrückten Bücherstapel anzuordnen. Hierbei werden Stahlbänder gegen eine Kopfplatte vorgespannt, die den Scheibenstapel mit einer Druckvorspannung belastet. Die Vorspannung in den Stahlbändern erzeugt eine Druckkraft in der Inkompressionsfläche. Wird jetzt die Konstruktion wie ein Balken belastet, werden im Querschnitt Biegedruckkräfte und Biegezugkräfte aktiv. Die Vorspannung muss man nun so groß wählen, dass sie den Biegezug im Querschnitt immer überdrückt und die IK-Fläche dauerhaft eine Druckkraft erfährt. Eine Delamination ist damit ausgeschlossen. Die IK-Technologie wird gegenwärtig intensiv erforscht. Unsere bisherigen Ergebnisse veranlassen uns zu großem Optimismus diese viel versprechende Technik mittelfristig in neuartige Fügungen für den konstruktiven Glasbau umzusetzen. —

Bilder: Sastre

Der Autor

Dipl.-Ing. Hanno Sastré war bis Ende 2005 an der Uni-Wuppertal am Lehrstuhl für Tragwerklehre mit Forschung und Lehre betraut. Zur Zeit ist er wissenschaftlicher Assistent an der TU-Graz (Österreich).

Tel. +43 31 68 73 - 67 13 mail: h@nnosastre.de

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