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Selbstregulierende Sonnenschutzgläser

Fließender Wechsel

_Das Gebäude der Zukunft soll den gesamten Energiebedarf durch die Sonne decken. Dabei fällt den Fenstern die wichtige Rolle zu, Tageslicht und Wärme ins Gebäude zu lassen, um Beleuchtungs- und Heizenergie einzusparen. Diese direkte Nutzung der Solarstrahlung durch transparente Bauteile ist die effizienteste Möglichkeit, das natürliche Energieangebot der Umwelt zu nutzen. Dabei muss aber auch der Sonnen- und Blendschutz gewährleistet sein, denn ein Überangebot an solarer Strahlung führt im Sommer schnell zu unerwünschten Überhitzungs- und Blendeffekten.

Der (sommerliche) Überschuss an Licht und Wärme muss entweder durch mechanische Sonnenschutzvorrichtungen (Jalousien, Rollos) oder durch energie- und kostenintensive Klimaanlagen abgeführt werden. Als Alternative kann hier auch eine Sonnenschutzverglasung dienen, die sich dem tages- und jahreszeitlich schwankenden Angebot an Licht und Wärme dynamisch anpasst.

Selbstregulierende Verglasungen („Smart Windows“), die auf optisch aktiven Schichten mit schaltbaren Eigenschaften basieren, bieten hier interessante Möglichkeiten. So hat das Fraunhofer Institut für Angewandte Polymerforschung (IAP), Berlin, eine Sonnenschutzverglasung entwickelt, die sich dem tages- und jahreszeitlich schwankenden Sonnenlicht dynamisch anpasst, ohne dabei zusätzliche externe Energie zu verbrauchen.

Optisch aktive Schichten auf Grundlage thermotroper Materialien besitzen ein temperaturabhängiges Streuverhalten für Sonnenstrahlung. Beim Überschreiten einer bestimmten Temperatur (z.B. 30°C) wechseln bzw. schalten sie vom durchsichtigen in einen trüben, lichtstreuenden Zustand. Das heißt, transparente Fenster- oder Fassadenscheiben werden nahezu undurchsichtig. Diese Eintrübung vermindert dann die solare Transmission durch starke Rückwärtsstreuung und begrenzt so maßgeblich den Energieeintrag, und damit die Überhitzung des Gebäudes.

Dieser Schaltvorgang ist umkehrbar: Fällt die Außentemperatur unter den Schaltpunkt, kehrt die thermotrope Schicht in den durchsichtigen Zustand zurück, die Scheibe wird wieder klar.

Für den Einsatz in Verglasungen wird die thermotrope Schicht z.B. zwischen zwei Floatglasscheiben versiegelt. Dieser sogenannte thermotrope Verbund kann prinzipiell in alle gängigen Isolierverglasungen eingebaut werden.

Gemeinsames Forschungsprojekt von Fraunhofer und Tilse Formglas

In einem aktuellen Projekt des Fraunhofer IAP Berlin und der Tilse Formglas GmbH, Liepe, stehen die Praxisrelevanz und Langzeitstabilität solcher Gläser im Fokus der Forschung. Ziel ist es, den thermotropen Schalteffekt in großflächige Verglasungen zu integrieren, um marktfähig und rentable Glasprodukte herzustellen.

Die von Tilse Formglas angewandte Gießharztechnik bietet hierfür sehr gute Voraussetzungen: In nur einem zusätzlichen Verfahrensschritt und ohne größeren Maschineneinsatz werden je nach gewünschter Intensität der Schaltung 0,5 bis 5% einer „thermotropen Komponente“ in die Gießharzformulierung eingebracht. Zur Herstellung einer thermotropen Verbundglasscheibe muss das so dotierte Harz nur noch als Schicht (1.5 bis 2.0 mm) zwischen zwei Glasscheiben präpariert und unter UV-Licht ausgehärtet werden.

Die vom IAP entwickelte thermotrope Komponente, die dem Gießharz beigegeben wird, ist ein Pulver aus vielen kleinen kugelförmigen Partikeln, die als Nanokapseln bezeichnet werden.

Der Kapselkern enthält die für den thermotropen Effekt verantwortliche „Wirkstoffmischung“, während die Kapselhülle eine Schutzfunktion übernimmt. Diese Kapselhülle verhindert, dass sich die Wirkstoffe mit dem hochviskosen Gießharz verbinden, wodurch die thermotrope Eigenschaft sonst verloren gehen würde.

Das Funktionsprinzip eines thermotropen Verbundglases funktioniert vereinfacht dargestellt so, dass im off-Zustand (z.B. 20°C) die solare Strahlung auf direktem Wege durch die Harzschicht gelangt. Oberhalb der Schalttemperatur – im on-Zustand (z.B. 35°C) – ändert der Kapselkern seine Struktur. Auf diese Weise treten Streueffekte an den Nanokapseln auf, sodass bis zu 50 Prozent der einfallenden Strahlung nicht mehr durch die Harzschicht hindurchgelangen.

Ausblick

Die Ergebnisse des Projekts zeigen, dass es möglich ist, Glasfassaden mit energiereduzierenden thermotropen Eigenschaften durch Gießharztechnik auch wirtschaftlich umzusetzen. Der Schaltprozess zwischen dem transparenten und transluzenten (lichtstreuenden) Zustand verläuft dabei mit hoher optischer Qualität über die gesamte Fassade.—

Eigenschaften und Vorzüge thermotroper Gläser

in Abhängigkeit vom Dotierungsgrad wird bis zu 50 % der Solarstrahlung reflektiert

solargesteuerte Eintrübung eines Verbundglases, keine Fremdenergie erforderlich

Intensität der Eintrübung und Schalttemperatur frei wählbar

hohe Langzeitstabilität, umweltverträglich, wartungsfrei

Kombination mit individuell regelbarer Schaltung möglich

Der Autor

Dipl.-Chemiker Dr. Olaf Mühling ist am Fraunhofer IAP, Berlin, tätig und der Leiter des beschriebenen Projekts (BMWi-Förderung; Kennzeichen: 0329820F/G).

Tel. (0 30) 63 92-42 58

olaf.muehling@iap.fraunhofer.de

https://www.chromogene-polymere.de/de/thermochrome-polymere.html

https://www.tilse.de/

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