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Bruchverhalten von Glas (Folge 3)

Wann bricht die Glastür?

In herkömmlichen Fensterrahmen sind Glasplatten vierseitig gelagert. Aus Sicht der Statik wird im folgenden Text von Glasplatten anstatt von Glasscheiben gesprochen. Diese vierseitige Lagerung bewirkt die in Folge 2 der Artikelserie (GLASWELT 06/2008, S. 58 ff.) beschriebenen Effekte der Spannungswanderung über die Glasoberfläche und die Erhöhung der Steifigkeit bei steigender Durchbiegung. Die größten Spannungen treten dabei auf der Unterseite in der Glasfläche auf. Wobei die Zugspannungen direkt an den Plattenecken Werte von bis zu 70 Prozent dieser Flächenspannungen annehmen können. Da das Glasversagen nicht nur von der lokalen Spannung abhängig ist, sondern auch wesentlich durch die Größe vorhandener Störungen im Glas bestimmt wird (siehe dazu Folge 1, GLASWELT 05/2008, S. 16 + 17), ist es nicht verwunderlich, dass der Glasbruch meist von der Kante und nicht aus der Fläche ausgeht.

Das Tragverhalten von raumhohen Verglasungen

Raumhohe Verglasungen ohne weiter störende Konstruktionen verfügen über ein völlig anderes Tragverhalten als vierseitig gelagerte Platten. Diese zweiseitig gelagerten Platten verhalten sich im Wesentlichen wie Balken. Im Gegensatz zu den vierseitig gelagerten Platten, bewirkt eine Verdopplung der Last auch eine doppelt so große Verformung. Ein die Steifigkeit erhöhendes Membrantragverhalten tritt nicht ein.

Zweiseitig gelagerte Platten erfahren aufgrund der Querdehnung ein geringes Einschüsseln der ungelagerten Plattenkanten, so wie es die Verformungsfiguren in Bild 1 zeigen. Man sieht, dass sich eine größere Kantendurchbiegung als Feldverformung der Platte ergibt. In Bild 1 ist links die Größere der Hauptspannungen an der Unterseite einer zweiseitig gelagerten Platte dargestellt. Erkennbar ist, dass sich die Hauptzugspannungen an den ungelagerten Kanten, also dem Ort der größten Durchbiegung konzentrieren (rot = Hauptzugspannung, blau = Hauptdruckspannung). Auf der Oberseite haben sich in den eckennahen Bereichen wiederum tangen­tiale Zugspannungen ausgebildet, die in gewisser Weise mit denen in vierseitig gelagerten Platten vergleichbar sind. Die weitaus größeren Spannungen treten jedoch etwa in der Feldmitte ­an den ungelagerten Kanten auf.

So verhalten sich Scheiben mit Punkthalterbohrungen

Ein ähnliches Tragverhalten weisen auch punktgelagerte Platten auf. Da die Ränder nicht gehalten sind, entwickeln sich zwischen den Punkthaltern Biegezugspannungen an der Unterseite der Plattenkanten und an der Unterseite im Feld (Bild 2, links). Dargestellt ist eine Glasplatte auf sechs in der Fläche angeordneten Punkthaltern. Die Bohrung des mittleren Punkthalters erfährt die größte Beanspruchung. Hier wird zum einen etwa die doppelte Last wie in den Ecken übertragen und zum anderen tritt dort die größte Biegezugspannung auf (Bild 2, Mitte).

Bei Glasplatten mit in der Fläche befindlichen Punkthaltern kommt es zu einem Wechsel der größten Zugspannung von der Unterseite im Feld zur Oberseite am Punkthalter. Insbesondere, wenn sich eine Durchlaufwirkung einstellt, also mehrere Punkthalter in einer Linie angeordnet sind. Vergleichen Sie hierzu bitte die Verformungsfigur und die Darstellung des Biegemomentes in Bild 2 rechts. Ob die größte Zugspannung auf der Unterseite im Feld oder auf der Oberseite am Punkthalter auftritt, hängt neben der Konstruktion der Punkhalter auch von deren Abstand zueinander ab. In der Regel treten die größten Zugspannungen jedoch direkt am Bohrloch auf. Entscheidend ist dabei auch ­eine möglichst zwängungsfreie Lagerung der Platte. Die geringsten Spannungen treten in einer Konstruktion mit einem System aus gelenkigen Punkthaltern auf, die die Platte in der Plattenebene nur an einem Punkt fixiert. Diese Lagerung erlaubt ein Ausdehnen und Zusammenziehen der Platte in alle Richtungen und verhindert gleichzeitig ein Gleiten der Platte in ihrer Ebene.

Starre Punkthalter erzwingen darüber hinaus eine Einspannung der biegebeanspruchten Glasplatte. Diese Verhinderung des Verdrehens am Punkthalter sollte unbedingt vermieden werden, da sie zu extrem großen tangentialen und radialen Zugspannungen am Bohrungsrand führt. Aus statischer Sicht ist die günstigste Lagerung für die Glasplatte deshalb ein Punkthalter der ein Gelenk direkt in der Schwerachse der Platte anbietet.

Bei der Kombination von Punkthaltern mit der vierseitigen Linienlagerung, wie sie beispielsweise bei horizontalen Verglasungen Anwendung findet, ist zu beachten, dass es zum Abheben der Ecken kommen kann. Die Platte wird z.B. vierseitig aufgelegt und durch punktuelle Klemmen gegen Abheben durch Windsog gesichert. Da die Platte bei einer Belastung von oben umlaufend gelagert ist und die Ecken nicht durch Pressleisten fixiert wurden, können sie deutlich von den Auflagern abheben.

Wie verhalten sich Ganzglastüren?

Ganzglastüren sind in gewisser Weise ähnlich konstruiert (wie punktgehaltene Glasplatten). Da solche Türen jedoch meistens im Innenbereich eingesetzt werden, wirken sie oft jedoch nur als eine sich selbst tragende Scheibe. Das Auftreten von Zugspannungen ist dabei von der Tragwirkung der Türbänder bzw. der Türscharniere abhängig.

Bei einer Tür die an zwei Punkten durch Klemmhalter befestigt ist, sind drei mögliche Szenarien ­ zur Lastabtragung denkbar (Bild 3, Hauptzugspannung = rot; neutral = Dunkelblau; Links neben den Spannungsbildern sind jeweils die Reaktionen in den Auflagern mit einer angedeuteten Tür dargestellt). Da die horizontale Komponente bei nur zwei Befestigungspunkten in jedem Punkt übertragen werden muss, trägt das Türband entweder eine vertikale Last oder nicht.

Trägt nur das obere Türband die Vertikallast ab und das Untere ist nicht daran beteiligt, entstehen Biegzugspannungen unterhalb des Klemmhalters und an der Kante der Lagerseite (Bild 3, links). Werden beide Türbänder zu gleichen Teilen aktiviert, entwickeln sich geringere Zugspannungen am oberen Klemmhalter und an der Lagerseite. Unterhalb des unteren Halters formieren sich dann Zugspannungen, die wesentlich geringer sind, als unter dem oberen Klemmhalter (Bild 3, Mitte).

Die geringste Beanspruchung erfährt die Scheibe, wenn der untere Klemmhalter die gesamte Gewichtslast abträgt, und der obere Halter nur die horizontale Last erfährt (Bild 3, rechts).

In anbetracht der Art des Lastabtrags der Türbänder liegen die Zugspannungen aus Eigengewicht einer Glastüre mit Klemmhaltern jedoch deutlich unter der bruchauslösenden Spannung. Ein „normales“ Benutzen der Tür führt damit auch nicht zum Glasbruch, es sei denn, die Tür wurde nicht sachgemäß eingebaut. Liegen z.B. die Drehachsen der Scharniere oder Bänder nicht auf der gleichen Achse, kann die Tür relativ große Zwängungen erleiden. Moderne Türbänder und Zargen verhindern jedoch derartige Einspannungen. Eine Montage durch geschultes Personal und eine regelmäßige Wartung, auch der Scheibe selbst, sind dennoch jedem Glastürenbesitzer zu empfehlen.

Ausblick

Das Bruchverhalten von Glasplatten und Glasscheiben ist ein komplexes Zusammenspiel aus Lagerungsart beziehungsweise Lastabtrag und der glasspezifischen Bruchmechanik. Die richtige Handhabung ist deshalb ebenso komplex und erfordert viel Erfahrung sowie gut geschultes handwerkliches Können. Bei einer ingenieur­mäßigen Bemessung von Glasscheiben und Glasplatten müssen diese Zusammenhänge berücksichtigt werden.

Allerdings wäre nicht nur für den Ingenieur ein einfaches „Tool“ zur Dickenbemessung von Isolier- und Einfachverglasungen, zumindest für einige Standartgeometrien und Konstruktionen, eine hilfreiche Unterstützung bei der Planung - wir arbeiten bereits daran. Ungeachtet der Schwierigkeiten und Unsicherheiten im Umgang mit Glas ist seine langlebige Transparenz und vielseitige Verwendbarkeit weiterhin un­übertroffen. Eben in dieser Ambivalenz liegt die Faszination für den Baustoff Glas. —

Der Autor

Dr.-Ing. Hanno Sastré studierte in Wuppertal Architektur und ist am ITE der TU Graz in Forschung und Lehre tätig.

Tel. (+43 31) 68 73 - 67 13; h@nnosastre.com

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