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Klimaintegriertes Design (3)

Slimbouwen — was ist denn das?

Was die Hauptfunktion von Fassaden, also die Trennung von Außen- und Innenklima angeht, sind künftig umfassende neue Entwicklungen zu erwarten. Dies beinhaltet:

  • die Integration von Haustechnikkomponenten für die Gewinnung von Sonnen- und Windenergie
  • Sensortechnologie und interaktives Ansprechverhalten auf innere und äußere Veränderungen
  • die Fähigkeit der Fassade mit der Umgebung zu kommunizieren
  • die Integration von Robotik zur Installation der Fassade selbst
  • die Wartung wie z. B. Fensterreinigung.

Aktuell werden in den Niederlanden entsprechende Projekte umgesetzt, von denen einige bereits fertig umgesetzt sind.

Das neue Konzept: Slimbouwen

Das Prinzip "Slimbouwen" schafft eine neue Grundlage für hocheffiziente Bau-Entwicklungen (einschließlich Fassaden) und kommt aus dem Niederländischen. Es setzt sich aus den Begriffen slim (intelligent, kompakt, schlank) und bouwen (bauen) zusammen.

Der Bauprozess in seiner Gesamtheit wird eine starke Auswirkung auf zukünftige Entwicklungen ausüben. Neben Anforderungen, die sich ausschließlich auf die Fassade beziehen, gibt es auch neue Prozesseinschränkungen auf der Ebene des konzeptionellen Bauens. Im Rahmen des Slimbouwen Programms wurden diese bereits ausgearbeitet. Slimbouwen ist eine Reaktion auf Bautraditionen, die durch das Aufeinanderschichten bzw. Hintereinandersetzen von technischen Innovationen charakterisiert wird (Innovation by Addition). Speziell die allmähliche Hinzufügung von Haustechnikfunktionen während des 20. Jahrhunderts hat einen komplexen Bauprozess verursacht, der Ineffizienz und einen oft übermäßigen Verbrauch von Material und Arbeitskraft mit sich gebracht hat. Solche Gebäude sind zu schwer und zu voluminös und weisen wuchtige Konstruktionen auf. Sie sind nicht flexibel und schaden der Umwelt, unter anderem durch Energieverlust und CO2-Emissionen. Es ist eine Tatsache, dass die Bauindustrie momentan der größte Umweltverunreiniger ist. In den meisten Ländern umfasst die Bauindustrie nur rund 5 bis 6 Prozent des BSP; gleichzeitig ist sie jedoch für ungefähr 25 Prozent des gesamten Materialtransports, 35 Prozent des Gesamtabfalls und sogar 40 bis 45 Prozent des gesamten Energieverbrauchs verantwortlich.

In der Zukunft werden Gebäude anhand von Prozessen gebaut, die die Effizienz und Kostenkontrolle über das gesamte Gebäude hinweg fördern. Flexibilität oder Anpassungsfähigkeit von Gebäuden werden zunehmend wichtiger, da diese die Wertschätzung und den Wertzuwachs des Bauprojekts sowie seine Rentabilität stark unterstützen. Nachhaltigkeit ganz allgemein wird zum wichtigsten Aspekt für das Planen und Ausführen von Gebäuden. Nach der Veröffentlichung von Al Gore's Dokumentation „Eine unbequeme Wahrheit” 2006 hat sich eine Grundlage für Nachhaltigkeit entwickelt, die nicht nur auf der Forderung von Fachleuten, sondern der Gesellschaft allgemein basiert. Als Ergebnis dieses Bewusstseins ist zu erwarten, dass Gebäude, einschließlich ihrer Fassaden, leichter (weniger Material) und kompakter bei Transport und vor Ort werden müssen, da eine schlankere Konstruktion mehr wertvollen Raum schafft. Wenn eine Fassade, beispielsweise von 300 mm auf 150 mm Stärke reduziert wird, schafft dies bei ­gleichbleibenden Außenmaßen ungefähr 6 Prozent zusätzliche Innenraumfläche und wirkt sich damit positiv auf das Brutto/Netto Nutzflächen-Verhältnis aus.

Um einen industriell sinnvollen Prozess aufzubauen ist es wichtig, die Haustechnikfunktionen von den strukturellen Bauteilen des Gebäudes zu trennen. Während die Haustechnikkomponenten beim herkömlichen Prozess aber eng mit den Bauteilen verwoben sind, ist für Slimbouwen also die Trennung (Desintegration) der Haustechnikfunktionen ein Schlüsselprinzip. Diese Trennung fördert sowohl die Effizienz des Bauprozesses als auch die Flexibilität während des Betriebs.

Bauen in vier Schritten

Durch die Abkopplung der Haustechnikkomponenten von den strukturellen Bauteilen des Gebäudes, kann der Bauprozess in vier Hauptschritte unterteilt werden. Das Tragwerk, die Gebäudehülle, die Haustechnik und den Ausbau. Jeder dieser Schritte kann durch einen Subunternehmer ausgeführt werden. Zusammen errichten sie nicht nur das Gebäude vor Ort, sondern sind bereits in der Vorbereitungsphase involviert und wirken mit ihrem Fachwissen im Planungsprozess mit. Im Prozessverlauf können sie fast gänzlich unabhängig von den anderen Subunternehmern arbeiten und dadurch volle Verantwortung für ihren Beitrag übernehmen. In den Niederlanden sind bereits 40 Bauprojekte gemäß der Slimbouwen Richtlinien gebaut worden.

Neue Rolle für Fassadenbauer

Die Fassade ist Teil der Gebäudehülle und es ist daher offensichtlich, dass der Fassadenbauer einer der Subunternehmer im Slimbouwen Prozess ist. Er nimmt damit eine bedeutende und starke Rolle innerhalb des Bauprozesses ein. Neben der vollen Verantwortlichkeit für seinen Gebäudeteil bietet die neue Position viele zusätzliche Möglichkeiten über die reine Installation des Systems hinaus, wie etwa auch die Wartung der Fassade.

Auf Basis des Slimbouwen Prozesses liegt die ­Herausforderung bei der Produktentwicklung in der Gestaltung von Fassadensystemen, die bereits alle für den Betrieb des Systems erforderlichen haustechnischen Funktionen enthalten (Sonnenschutzblenden, Einbruchsicherung) oder den Versorgungsbetrieb unterstützen (Steckdosen, Lufteinlässe), und die einfach an die nahe gelegene Infrastruktur angeschlossen werden können, wie sie beispielsweise im Fußbodensystem oder einer parallel zur Fassade verlaufenden Zone installiert ist. In gewisser Hinsicht kann das Fassadenelement sogar als Geräte-/Systemeinheit angesehen werden (Integrationsstrategie).

Eine weitere Planungsstrategie ist es, die Haustechnikfunktionen nicht zu integrieren. Dafür werden jedoch Öffnungen und Hohlräume usw. direkt mit eingeplant, in und über die die Haustechnik gemeinsam mit der Hauptinfrastruktur im Bodensystem vor Ort installiert werden kann (Desintegrationsstrategie, siehe kleine Skizze).

Desintegration vor Ort, Integration im Design

Die Trennung der vier Gewerke vor Ort ist während des Bauprozesses wünschenswert, damit ein Bauverlauf geplant werden kann, in dem die vier Subunternehmer aufeinander folgend arbeiten. Nachdem ein Gewerk fertiggestellt ist, kann die Arbeit inspiziert und anhand der vereinbarten Spezifikationen abgenommen werden, bevor das Baugelände für den nächsten Subunternehmer bereit steht.

In der Vorbereitungsphase, und vor allem während des Planungsprozesses, ist es empfehlenswert, dass die Subunternehmer eng mit dem Architekten zusammenarbeiten und ihr Fachwissen einbringen. Während der Bauprozess seriell angelegt ist (Desintegration), muss der Planungsprozess parallel verlaufen (Integration).

Bei Fassaden ist dies besonders einfach zu veranschaulichen, da eine hohe gegenseitige Wechselwirkung zwischen dem Fassadendesign (Glas­oberfläche, Blenden, Fensterläden, Überstände) und dem Bedarf an Klimaregelung durch Luft oder Bauteilaktivierung stattfindet.

In diesem Prozess kann der Fassadenbauer die volle Verantwortung für seinen Beitrag zum Gebäude übernehmen. Er hat dadurch einen großen, ­kreativen Freiraum, falls die Spezifikationen nicht auf der Materialebene sondern eher auf der Basis von funktionellen Anforderungen ausgeschrieben werden.—

Der Autor

Jos Lichtenberg ist Professor an der TU Eindhoven, Lehrstuhl Product Development. Er ist Präsident der niederländischen Slimbouwen Foundation und durch seine Tätigkeiten bei Innobuild und Inno-Experts als Berater und Innovator in der Bauindustrie aktiv sowie als Chefredakteur von BouwIQ, einem Fachmagazin für Innovation in der Bauindustrie.

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