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Saugerabdrücke auf Isolierglas

Getrübte Aussicht

Im Zuge von Umbaumaßnahmen seines Einfamilienhauses hat der Bauherr in drei Räumen komplett neue Fensteranlagen mit energiesparenden Isoliergläsern einsetzen lassen. Nach der Lieferung stellt er fest, dass bei Regen oder Kondensation auf den äußeren Scheibenflächen der Isoliergläser eine Vielzahl von Kreisen sichtbar werden.

Nach erfolgloser Reklamation bei der ausführenden Firma und Aufforderung zur Behebung des Mangels, stellt er über seinen Anwalt bei Gericht Antrag auf ein selbstständiges Beweisverfahren. Der Sachverständige hatte auf Gerichtsbeschluss die Frage zu beantworten, ob es sich bei den kreisförmigen Erscheinungen wirklich um einen Mangel handelt.

Die Isoliergläser, bei denen die Kreise zu sehen sind, befinden sich in drei Fensteranlagen, je eine im Schlafzimmer, im Gästezimmer und in der Küche. Jede Fensteranlage besteht aus einem Element mit einer Tür, einem Oberlicht und einem Seitenteil, sowie einem seitlichen raumhohen, feststehenden Fenster. Die eingesetzten Isoliergläser (Ug = 1,1 W/m2K) haben folgenden Aufbau: Außenscheibe: 8mm VSG (2 x 4 mm mit PVB Folie); SZR: 16 mm gasgefüllt; Innenscheibe: 4 mm Floatglas (6 mm Floatglas in den feststehenden Fenstern), mit Beschichtung zum SZR.

Nach Schilderung des Klägers werden bei Regen auf den Außenflächen der Isoliergläser und beim Kochen, sowie beim Öffnen der Türen auf der Innenseite der Isoliergläser viele Kreise sichtbar. Dies ­ findet der Sachverständige beim Ortstermin bestätigt, nachdem stichprobenartig einige Kreise (es handelt sich um Saugerabdrücke) durch stellenweises Anhauchen der Glasoberflächen (Aufbringen von Kondensat) sichtbar gemacht werden.

Woher stammen die Kreise?

Bei der Herstellung von Isolierglas werden die Einzelscheiben mit aufbereitetem Wasser maschinell gründlich gereinigt. Die sauberen Glasoberflächen nehmen bei Kontakt mit fremden Materialien, wie zum Beispiel Handschweiß, Fett, Etiketten-Klebstoff und insbesondere auch von der Oberfläche der Transport-Sauger, Teilchen davon auf. Diese Kontaktflächen haben dann durch solche „Verunreinigungen“ eine abweichende Oberflächenspannung, die eine andere Benetzbarkeit gegenüber Feuchtigkeit und Kondensat verur­sacht.

Im vorliegenden Fall handelt es sich bei den ­Kreisen auf den äußeren Oberflächen der Isoliergläser um Abdrücke („Verunreinigungen“) von Saugern, die zum Transport der Scheiben auf die Oberflächen aufgesetzt und mittels Erzeugung eines Vakuums zwischen Sauger- und Glasoberfläche befestigt wurden.

In der Regel erfolgt die Beurteilung der optischen Glasqualität in Anlehnung an die „Richtlinie zur Beurteilung der visuellen Qualität von Glas“, herausgegeben vom Bundesinnungsverband des Glaserhandwerks (BIV). Das Hauptaugenmerk richtet sich darauf, unvermeidbare oder nur mit sehr großem Aufwand vermeidbare Qualitätsmängel von hochwertigen Baugläsern bis zu einer bestimmten Größenordnung zuzulassen. Hierbei handelt es sich um eine einseitige Anwendungsrichtlinie für Hersteller und Verarbeiter von Verglasungen, keineswegs aber für den End­­abnehmer. Es sei denn, die Auftragsgestaltung würde eine ausdrückliche Einigung auf die Beurteilung von Mängeln und Schäden an Verglasungen nach dieser Richtlinie vorsehen.

Es handelt sich also keinesfalls um eine Norm, die als allgemein anerkannte Regel der Technik gelten kann und noch viel weniger um eine baurechtlich eingeführte Richtlinie. Sie dient allenfalls als Hilfsmittel bei der Bewertung von zumut­baren oder nicht zumutbaren Mängeln, keinesfalls als Richtlinie dahingehend, dass unterhalb der dort beschriebenen Grenzen keine Mängel vorhanden sind.

Sind also vermutliche Mängel (wie hier Saugerabdrücke) vorhanden, wird mit dieser Richtlinie lediglich eine Hilfestellung bei der Beurteilung der Zumutbarkeit gegeben. Was allerdings für den Verbraucher/Bauherren zumutbar ist, muss jedoch der Sachverständige beantworten.

Nach der genannten BIV-Richtlinie dürfte die Beurteilung zum Beispiel nur bei diffusem Licht, das heißt bei Bewölkung erfolgen. Aus Sachverständigensicht kann jedoch nicht ignoriert werden, dass mögliche Mängel auch bei Sonnenschein deutlich sichtbar sind. Die Beurteilung kann also auch bei Sonneneinstrahlung erfolgen. Ferner muss die Raumnutzung mit in die Beurteilung einfließen. So ist eine Scheibe in einem Badfenster oder im Fenster eines Abstellraums anders zu beurteilen, als eine Scheibe in einem Büro- oder Wohnzimmerfenster.

Die Bewertung des Gutachters

Zur Frage, ob die vorgefundenen Abdrücke einen Mangel darstellen, nimmt der bevollmächtigte Anwalt der beklagten Firma Bezug auf die „Richtlinie zur Beurteilung der visuellen Qualität von Glas“ und beantragt die Klage abzuweisen mit dem Hinweis, dass dort gemäß Punkt 4.2.5 die Kreise keinen Mangel darstellen würden.

Selbst wenn man die Richtlinie in vollem Umfang heranzieht, übersieht der Prozessbevollmächtigte des beklagten Unternehmens, dass der von ihm aufgeführte Punkt 4.2.5 lediglich ein Teil des Punktes 4.2 „Begriffserläuterungen“ der Richtlinie ist und der Punkt 4.1.6 „Physikalische Merkmale“ ausdrücklich darauf hinweist, dass folgende beiden Punkte von der Beurteilung der visuellen Qualität ausgeschlossen sind:

  • Kondensation auf den Scheiben-Außen­flächen (Tauwasserbildung)
  • Benetzbarkeit von Glasflächen.

Wenn, wie im vorliegenden Fall, auf keine weiteren objektiven Beurteilungskriterien zurückgegriffen werden kann, bleibt es dem Sachverständigen vorbehalten die Zumutbarkeit, auch unter dem Gesichtspunkt des Üblichen, zu beurteilen.

Im vorliegenden Fall sind die Saugerabdrücke sowohl von der Anzahl als auch von der deutlichen Sichtbarkeit her so gravierend und störend, dass sie einen Mangel darstellen. Deshalb müssen sie laut Sachverständiger nicht hingenommen ­werden. —

Anwendungsrichtlinie Verbraucherrichtlinie

In der Regel erfolgt die Beurteilung der optischen Glasqualität in Anlehnung an die „Richtlinie zur Beurteilung der visuellen Qualität von Glas“, herausgegeben vom BIV.

Hierbei handelt es sich um eine einseitige Anwendungsrichtlinie für Hersteller und Verarbeiter von Verglasungen, keineswegs jedoch um eine anerkannte Regel der Technik oder Qualitätsrichtlinie für den Endabnehmer.

Der Autor

Dipl. Ing. Wolf-Dietrich Chmieleck ist öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Glastechnik und Glasanwendung.

IGA Institut für Glas-Anwendung

Tel. (0 23 02) 7 53 83

iga@chmieleck.de

https://www.iga-chmieleck.de/

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