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Verschweißen von Glas mit Glas

Materialecht verbunden

Frei geformte Glasscheiben, von denen keine der anderen gleicht, sind heute in Bauprojekten keine Seltenheit mehr. Aber solche Scheiben sind teuer, denn sie müssen in vielen Arbeits- und Bearbeitungsschritten einzeln angefertigt werden. Das wiederum macht ihre Produktion kostenintensiv und aufwendig. Warum also nicht additive Verfahren zur Herstellung von Glas nutzen? Dies würde es erlauben, jede gebogene oder gekrümmte Glasscheibe in nur einem Arbeitsschritt (Direct Glass Fabrication ) herzustellen. Ist es überhaupt möglich, ein solches Verfahren für die Herstellung von Glas zu nutzen? Oder ist es sinnvoll, Bauteile an herkömmlich produzierte Glasscheiben anzuschließen? Wie könnten solche Glas-Glas-Verbindungen aussehen?

Diese Fragestellung wurde von der Autorin im Zuge ihrer Masterthesis im Studiengang International Facade Design and Construction an der Detmolder Schule für Architektur (am Lehrstuhl Prof. Ulrich Knaack) beleuchtet.

Im Rahmen dieser Arbeit wurden die Möglichkeiten und Grenzen eines solchen Verfahrens bei Glas untersucht. Hierzu wurden die Materialeigenschaften von Glas, vorhandene AM Technologien, wichtige Parameter für den neuen Prozess und jüngste Entwicklungen der Glasbearbeitung analysiert und anhand von praktischen Versuchen und neuen Produktansätzen verdeutlicht.

Inhaltlich stellt diese Direct Glass Fabrication einen weiteren Schritt in der Digitalisierung der heutigen Bauprozesse dar.

Um herauszufinden, ob das Fertigen von Glas-Glas-Verbindungen möglich ist, wurden das Material selbst sowie die technischen Voraussetzungen betrachtet. Physikalisch gesehen ist Glas eine erstarrte anorganische Silikatschmelze, die im Gegensatz zu kristallinen Materialien isotroph ist. D. h., alle Eigenschaften bzw. Messwerte sind in jeder Strukturrichtung gleich. Das im Bauwesen meist verwendete Kalk-Natron-Glas besteht hauptsächlich aus Quarzsand, Kalk und Natriumcarbonat. Durch das Zumischen anderer Substanzen lassen sich Eigenschaften wie Festigkeit und Farbe beeinflussen. Als Glas bezeichnet man den Zustand des Materials, unabhängig von der chemischen Zusammensetzung. Die besonderen Eigenschaften wie Transparenz, Festigkeit und thermisches Verhalten sind ein Resultat dieser Struktur. Die Bestandteile von Quarzglas gleichen denen eines Quarzkristalls, durch die unterschiedliche molekulare Struktur entstehen jedoch andere Materialeigenschaften.

Um vom flüssigen in den festen Glaszustand zu gelangen, ist ein nicht zu langsames Abkühlen erforderlich, um ein Kristallisieren zu verhindern. Dieser Übergang ist nicht als physikalische Wandlung, sondern als eine Art Gefrieren einer flüssigen Struktur zu verstehen. Will man nun zwei eingefrorene Strukturen miteinander verbinden, muss das Material lokal auf Arbeitstemperatur erhitzt werden, um nach dem Herstellen der Verbindung wieder zu einer festen Glasstruktur heruntergekühlt zu werden.

Eine große Rolle spielt bei diesem Prozess der thermische Ausdehnungskoeffizient (α) des Glases. Dieser beschreibt das Verhältnis von Längenveränderung zu Gesamtlänge bei einem Temperaturunterschied von einem Kelvin.

Je größer der Ausdehnungskoeffizient ist, desto größer sind auch die Spannungen, die bei einem partiellen Erhitzen des Materials entstehen. Das bedeutet, für das Herstellen von Glas-Glas-Verbindungen ist ein Material mit einem möglichst geringen Temperaturausdehnungskoeffizienten zu wählen.

Borosilikatglas eignet sich am besten für das Herstellen einphasiger Glasverbindungen. Der thermische Ausdehnungskoeffizient α entspricht mit 3.3 x 10-6 [K-1] weniger als der Hälfte des Ausdehnungskoeffizienten von Kalk-Natron-Glas. Das bedeutet, dass auch die Längenausdehnung bei Borosilikatglas nur halb so groß ist, was wiederum die thermischen Spannungen während eines Erhitzens reduziert.

Relevant ist auch die Scheibengröße: Je größer die Scheibe, desto wichtiger wird eine homogene Temperaturverteilung, um thermische Spannungen zu vermeiden. Um die möglichen Prozesse und Ideen einer additiven Glasherstellung zu bewerten und zu überprüfen, fand eine praktische Anwendung statt. Als Grundlage diente das Verfahren des Fused Desposition Modelings (FDM), bei dem ein Kunststoffband erhitzt und in einem Druckkopf verflüssigt wird, um dann schichtweise aufeinander gedruckt zu werden. So entsteht Schicht für Schicht ein dreidimensionales Objekt aus flüssigem Kunststoff, der schnell aushärtet, sich jedoch mit der darunter- und darüberliegenden Schicht verbindet.

Als Vergleich zu einem manuellen Verfahren bietet sich die Heißklebepistole an, mit der Materialschichten aufeinander aufgebracht werden. Auch hier wird das Material durch Temperatureinwirkung verflüssigt und geht dadurch eine Verbindung ein. Da dieses schichtweise Verbinden von Material durch Hitzeeinwirkung nichts anderes als ein Schweißprozess ist, wurde die Methode des Glasschweißens verwendet, um den additiven Prozess zu simulieren.

Um die Qualität der Verbindungen prüfen und vergleichen zu können, wurden zunächst unterschiedliche Arten von Verbindungen hergestellt, angefangen bei dem einfachen Aufschweißen von Röhren und Stäben auf Glasscheiben über das Verschweißen zweier Scheiben und das schichtweise Aufbringen von Material bis hin zum Herstellen eines Glaspunkthalters.

Um den Arbeitsprozess einer AM-Maschine nachzuempfinden, wurde eine feuerfeste Vorrichtung gebaut, in der eine Glasscheibe liegend vorgewärmt werden kann. Diese lässt sich dann lokal auf Arbeitstemperatur erhitzen, um das Material zu verflüssigen und ein zweites, ebenfalls erhitztes Glas anzuschließen.

In dieser Vorrichtung wurden die hergestellten Verbindungen anschließend in einem Ofen kontrolliert heruntergekühlt. Dies ist ein Prozess, bei dem das Material erneut erhitzt wird, um dann sehr langsam auf Raumtemperatur heruntergekühlt zu werden. Hierbei werden die durch die hohen Temperaturen entstandenen thermischen Spannungen wieder aus dem Material entfernt und feste, haltbare Verbindungen entstehen. Alleine durch die Größe des Ofens und durch die Schwierigkeit, große Flächen gleichmäßig auf Temperatur zu halten, sind die Scheibenformate jedoch begrenzt.

Um die Festigkeit der Verbindungen zu untersuchen, wurde eine bruchmechanische Prüfung durchgeführt. Dies sollte sicherstellen, dass einphasige Verbindungen entstanden waren. In der Regel gab das Material im Bereich der Glasscheibe nach, was auf eine kraftschlüssige Verbindung schließen lässt.

Trotz Zweifel der Profis wurde also die Vision eines Verfahrens zum additiven Herstellen von Glas durch eine praktische Anwendung nachgewiesen, indem der Prozess auf seine Grundlagen heruntergebrochen und innovativ auf das neue Material angewandt wurde.

Glaspunkthalter als Ergebnis

Um die Anwendbarkeit von Glas-Glas-Verbindungen für die Fassadenindustrie zu zeigen, wurde ein gläserner Punkthalter entwickelt. Dieser ermöglicht es, Glasscheiben an der Primärkonstruktion zu befestigen, ohne dafür Löcher bohren zu müssen, die wiederum für große Spannungen im Material sorgen.

Im Gegensatz zu den gängigen Punkthaltern hat der Halter aus Glas lediglich einen Durchmesser von 7 bis 10 mm. Aufgrund der kraftschlüssigen Verbindung des Materials kann jeder Punkt jedoch über 30 kg Gewicht tragen. Je nach Größe und Gewicht der Glasscheiben und ihrer Position im System kann die Anzahl der Punkte bemessen werden. Dies schafft neue Freiheiten für die Formgebung einer Fassade, da nicht nur wenige Standardbauteile mit vorgegebenen Winkeln zur Verfügung stehen, um eine Form zu erzeugen, sondern die Position jeder Glasscheibe individuell angepasst werden kann. Mittels Klemmhaltern werden die Glaspunkte an der Fassade befestigt, die Lastabtragung erfolgt über Reibung.

Befestigung ohne Wärmebrücke

Wird ein Isolierglasverbund aus einer Scheibe mit angeschweißten Glaspunkten hergestellt, ermöglicht das Befestigungssystem, erstmalig eine Aufhängung der Scheibe ohne Wärmeverluste durch den Punkthalter zu erzeugen, da Trag- und Dichtebene separiert sind. Das macht die Idee zu einem wichtigen Schritt hin zu energieoptimierten Glasfassaden. Zudem ist die Optik einer homogenen Außenhaut weniger beeinflusst, da die Glaspunkte vollständig transparent sind und zusätzlich auf schwarzes Dichtmaterial verzichtet werden kann. Ein weiterer Vorteil von Glas-Glas-Verbindungen ist ihre vollständige Wiederverwertbarkeit. Da kein Kleber oder Dichtmate­rial am Glas haftet, kann eine solche Scheibe ohne größeren Aufwand direkt recycelt werden.

Die zukunftsweisende Vision einer Verbindungstechnik eröffnet durch den neuartigen Punkthalter außergewöhnliche Möglichkeiten für das Entwerfen und Konstruieren von Glasfassaden. —

Masterstudiengang Fassade der Hs OWL

An der Hochschule Ostwestfalen-Lippe wird der erste weiterbildende Internationale Masterstudiengang Fassade in Deutschland angeboten.

Dieser gibt einen Überblick über die neuesten Entwicklungen und Anwendungen in der Fassadentechnik. Das berufsbegleitende Studium erfolgt in einer Gruppe internationaler Teilnehmer und schließt mit dem Abschluss Master of Engineering (M.Eng.) ab.

https://www.fassadenmaster.de/

Was ist „Additive ­Manufacturing“?

Neue Produktionswege werden durch Additive Manu­facturing (AM) beschritten: Hierbei wird ein drei­dimensionales Bauteil in einem computergesteuerten Prozess Schicht für Schicht hergestellt (ähnlich ­einem Druckverfahren). Dieses Herstellungsverfahren erlaubt es, eine Serienproduktion zu individualisieren. Bereits heute stehen viele unterschiedliche Kunst­stoffe und Metalle als Baustoff für die Fertigung mittels AM-Technik zur Verfügung, um Bauteile aus ­einem virtuellen Datensatz dreidimensional „aus­zudrucken“. Ein noch kaum angewandtes Verfahren ist die additive Herstellung von Glas, wie im Beitrag beschrieben.

Die Autorin

Im Rahmen ihrer ­Master-Arbeit an der HS OWL untersuchte Lisa Rammig die Möglichkeiten des Verschweißens von Glas.

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