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GLASWELT Diskurs

Ist Irisation ein Mangel?

Grundlegend muss immer vorab die Frage geklärt werden, ob überhaupt ein Mangel vorliegt. Denn der Begriff Mangel ist ein Rechtsbegriff. Das heißt, der Sachverständige kann nur eine technische Unzulänglichkeit feststellen. Die Rechtsseite – sprich das Gericht – muss dann klären, ob dies zu einem Mangel im Sinne der Nachbesserungspflicht führt.

Als zweiten Aspekt müssen wir im Sachverständigenwesen unterscheiden, ob der Schaden aus einem Verarbeitungsfehler herrührt oder aus herstellungsbedingten Gründen entstanden ist.

Im vorliegenden Fall handelt es sich eindeutig um Irisation. Eine Erscheinung, bei der über eingebaute Gläser sich die Sonne verspiegelt und durch den Bruch der Sonnenstrahlen die Spektrumsfarben auf den weißen Flächen sichtbar werden. Dabei bricht sich blaues Licht stärker als rotes Licht. Daher werden die Flecken auf den weißen Wänden und Möbeln unangenehm blau sichtbar. Und jetzt zur Frage: Führt diese Erscheinung zu einem Mangel?

Irisation als Ursache der Farbflecke

Zuerst einmal müssen wir uns dabei das Herstellungsverfahren von Einscheibensicherheitsglas (ESG) vor Augen halten. ESG als Sicherheitsglas wird aus drei Glasschichten hergestellt. Einmal aus einer Kernschicht und zum anderen aus zwei Decklagen. Somit wird ESG-Glas in der Herstellung mit einer Temperatur konfrontiert, die 100 °C über der Transformationstemperatur liegt. Also wird das Glas sehr heiß verarbeitet.

Anschließend muss das Glas wieder herstellungstechnisch abkühlen. Dabei kann allerdings die Kernlage nicht so schnell auskühlen wie die Decklagen. Der Kern bleibt also wesentlich länger heiß als die Decklagen.

Aufgrund der unterschiedlichen Temperaturen an den Oberflächenschichten entsteht eine Druckspannung. Dadurch gerät der Kern wegen der Gegenreaktion unter Zugspannung. Die Scheibe ist somit thermisch vorgespannt.

Wir wissen, dass weißes Licht beim Auftreten auf eine Glasoberfläche keine Farben erzeugt. Allerdings wissen wir auch, dass die Kernschicht durch die Anisotropie mikroskopische Risse bekommt, die sie für die Vorspannung und den Sicherheitsaspekt benötigt.

Trifft jetzt das weiße Licht auf gerade diese Risse, bricht sich das Licht und die „Regenbogenfarben“ werden an den Wänden und den Möbeln zu sehen sein. Bei einer weißen Einrichtung der Wohnung eine unangenehme Erscheinung. Gleiches bemerken wir auch bei gebogenen Scheiben.

Das rät der Sachverständige

Weisen Sie als Handwerker nie eine Beanstandung/Unzulänglichkeit des Kunden zurück. Gerade bei der schwierigen Frage wie in diesem Fall, ist ein Gerichtssachverständiger schnell überfordert. Es besteht die Gefahr, dass er dem Gericht plausibel macht, dass die Irisation eine Unzulänglichkeit darstellt und Sie den Prozess dadurch verlieren. Ist dies der Fall, kommt automatisch ein einseitiger Vertragsbruch zustande und der Auftrag wird gewandelt. Der Handwerker verliert somit das gesamte Geld.

Allerdings hat der Auftragnehmer (Handwerker) eine Hinweispflicht gegenüber dem Bauherren. Bei Verwendung von ESG muss er darauf hinweisen, dass solche Erscheinungen entstehen werden. Kommt er seiner Hinweispflicht nicht nach, steht er in der Verantwortung. —

In der Serie GLASWELT-Diskurs werden Fragen aus der Baupraxis diskutiert. Haben auch Sie Fragen? Senden Sie diese an glaswelt@glaswelt.de.

Wilfried Berger, Sachverständiger

Mangel oder kein Mangel?

Skizze 01 zeigt, wie ein Regenbogen am Himmel entsteht. Dabei muss vor dem Regebogen tatsächlich Regen dagewesen sein. Denn erst in den Regentropfen können sich die „Regenbogenfarben“ bilden, sprich brechen.


Skizze 02 zeigt jetzt auf, wie in der Zwischenlage in den Microrissen der Sicherheitsglasscheibe aus ESG die ­„Regenbogenfarben“ entstehen.

Bild 2: Licht­brechung bei ­einer ESG-Scheibe: Glasscheibe (1), Lichteinfall (2), Rückstrahlung (3), Oberflächenspannung und Risse (4), Lichtbrechung mit Farben (5)
Bild 2: Licht­brechung bei ­einer ESG-Scheibe: Glasscheibe (1), Lichteinfall (2), Rückstrahlung (3), Oberflächenspannung und Risse (4), Lichtbrechung mit Farben (5)

Ergebnis: Wenn der Bauherr auf die Sicherheit setzt und ESG-Gläser eingebaut haben möchte, muss er mit Irisation rechnen. Diese liegt im Herstellungsverfahren begründet und kann kaum verhindert werden. Dass sich Mikror­isse bilden, in denen sich die Sonnenstrahlen farbig abzeichnen, ist kaum zu verhindern. Somit stellt dies aus technischer Sicht keine Unzulänglichkeit dar und kann rechtlich gesehen nicht zu einem Mangel führen.

Der Sachverständige

Wilfried Berger ist Bauschadenanalytiker und betreibt in Pfullendorf das BauFachForum, das ­Dienstleistungen für Handwerker und Baugeschädigte sowie alle Art von Schadensanalysen anbietet. Auf seiner Website sind umfangreiche Informationen zu verschiedenen Bauthemen hinterlegt. https://www.baufachforum.de/

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