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Forschungsprojekt: Glasfestigkeit (Teil 01)

Besser als vermutet?

Zwischen Flachglas und gebogenen Scheiben liegt der Prozess des thermischen Biegens. Daher wird bis dato angenommen, dass beim Biegen zusätzliche Schädigungen ins Glas eingebracht werden, die in einer verringerten Festigkeit münden. Ein Nachweis dieser These ist bisher jedoch noch nicht gelungen, da es vor allem an einem einheitlichen Prüfkonzept fehlt.

Um filigrane und anspruchsvolle Konstruktionen aus gebogenem Glas sicher umsetzen zu können, untersuchen Fachleute der Uni Dresden die Festigkeiten von gebogenen Gläsern.

Hintergrund: Gebogene Gläser werden im Fassadenbau zunehmend von Planern nachgefragt. Denn damit lassen sich spektakuläre Freiformflächen statt mit drei- oder viereckigen, kleinteiligen Flachgläsern mit gebogenen Gläsern entwerfen. Fassaden mit solchen Gläsern kommen meist ohne eine stählerne Unterkonstruktion aus, was gleichzeitig von Innen einen freien Durchblick gewährleistet.

Von einem breiten Einsatz gebogener Gläser kann jedoch noch nicht die Rede sein: Für eine allgemeine Anwendung sind in Deutschland eine Bauprodukt- und eine Bauartenzulassung nötig, ansonsten eine (aufwendigere) Zulassung im Einzelfall. Bei den Produkten liegen derzeit nur zwei allgemeine bauaufsichtliche Zulassungen vor, für gebogenes Glas und für gebogenes VSG.

Eine Bauartenzulassung, z.B. in Form einer Bemessungsnorm, ist ebenfalls nicht verfügbar. Die im Glasbau bisher verwendeten technischen Regeln (TRLV, TRPV, TRAV) sind für gebogenes Glas nur bedingt zu verwenden, da der Regelungsumfang und das Konstruktionskonzept nur für flache Verglasungen ausgearbeitet ist. Durch die zylindrische Form ergeben sich neue Anforderungen, die nicht durch die Erfahrungen flacher Gläser in den TRXV berücksichtigt sind .

Grundlage des Forschungsprojekts

Um die Anwendung von gebogenem Glas auf eine breitere Basis zu stellen, wird gegenwärtig am Institut für Baukonstruktion der TU Dresden [1] die Festigkeit gebogener Gläser untersucht bzw. wie man diese ermitteln kann. Nach den gängigen Nachschlagewerken liegen die derzeit verwendeten Festigkeitswerte deutlich unter denen, die für Flachglas üblich sind, wie die Tabelle zeigt.


Es stellte sich daher für die Forscher zunächst die Frage, wie die Festigkeit bestimmt wird.

Aktuelle Prüfverfahren: Für flaches Glas bietet die DIN 1288 einen Doppelringversuch und einen Vierpunkt-Biegeversuch an. Da der Doppelringbiegeversuch nicht auf der gebogenen Glas­oberfläche aufgebaut werden kann, bleibt nur noch der Vierpunkt-Biegeversuch. Dieser Versuch stellt für flaches Glas eine einfache Beziehung zwischen der aufgebrachten Prüflast und der resultierenden Spannung her.

Von dieser wird dann auf einen Festigkeitswert geschlossen. Bisher wird die Festigkeit gebogener Gläser aufwendig durch das Aufkleben zahlreicher Dehnmessstreifen ermittelt. Dieses Vorgehen ist nicht nur äußerst zeitraubend, sondern berücksichtigt auch das individuelle Bruchverhalten von Glas nicht. Somit werden konservative Ergebnisse erzielt und die Möglichkeiten des gläsernen Baustoffs nicht voll ausgenutzt. Vor diesem Hintergrund wurden experimentelle Untersuchungen angestellt, um aussagekräftigere Ergebnisse für gebogene Gläser zu erhalten.

Dabei wurde besonders das Tragverhalten der zylindrisch geformten Probekörper berücksichtigt. Die gekrümmte Geometrie bedingt eine andere Spannungsverteilung und Spannungskonzentration z.B. an der schwächeren Glaskante. Zur Veranschaulichung dient ein einfaches Blatt Papier. In seiner flachen Form ist es sehr verformbar. Rollt man es nur ein wenig auf, ist es viel steifer, obwohl es immer noch gleich dünn ist.

Im Vierpunkt-Biegeversuch wird ein 360 mm breiter Glasstreifen auf zwei Auflagerollen aufgelegt, welche 1000 mm voneinander entfernt sind. Über einen Hydraulikstempel wird die Last an zwei Stellen ins Glas eingeleitet. Ein harter Kontakt zwischen dem gläsernen Probekörper und der Prüfmaschine kann zu einem vorzeitigen Versagen führen und muss, wie in jeder anderen Ganzglaskonstruktion auch, vermieden werden. Daher werden Kunststoffstreifen auf die Rollen aufgebracht.

Für die Versuche wurden ausschließlich ge­bogene Scheiben aus ESG verwendet. Die Vorspannung wurde spannungsoptisch gemessen.

Schon früher wurde dabei festgestellt, dass die Vorspannung sehr ungleichmäßig verteilt war. Dies wurde bisher als Grund für die verringerten Festigkeitswerte benannt [5].

Bei den Versuchen wurden Insgesamt 28 Probekörper verwendet. Die Dicken variierten zwischen 4 mm und 12 mm und liegen damit im baupraktisch gängigen Bereich.

Zuerst wurden Gläser mit sehr großem Biege­radius von 2000 mm gewählt. Diese wirken fast eben und verhalten sich fast wie flaches Glas. Dann wurden voll vorgespannte Prüfkörper mit einem Biegeradius von 840 mm untersucht. Weiter kamen Prüfkörper mit einem Radius von 1016 mm zum Einsatz, da dieser Zwischenwert bereits in anderen Untersuchungen verwendet wird und sich so die Versuche einfach vergleichen und die Ergebnisse übertragen lassen.

Das Prüfkonzept und die Bestimmung der Festigkeit kann, wie auch für Flachglas üblich, Werte für die Bemessung realer Glaskonstruktionen liefern. Bei den Versuchen bis zum Bruch wurden die Bruchstücke durch eine sehr dünne, transparente Kunststofffolie zusammengehalten. So konnte genau die Stelle bestimmt werden, an der der Probekörper versagt hat.

Während der Versuche wurden drei Werte gemessen. Zuerst stand die Dehnung in der Mittelachse im Fokus.

Dazu wurden bis zu acht Dehnmessstreifen auf die Ober- und Unterseite des Glases geklebt. Die Prüfkraft wurde mittels einer passenden Kraftmessdose zwischen Hydraulik der Prüfmaschine und dem Glas gemessen. Letztlich wurden die Durchbiegungen in der Mitte der Scheibe und am Scheibenrand mit induktiven Wegaufnehmern bestimmt.

Ausblick

Im zweiten Teil des Beitrags im Oktoberheft erläutern die Autoren die Versuchsergebnisse. Sie zeigen auf wie es möglich wird, ein Berechnungsmodell zu erstellen, das den Biegeversuch nachstellt und realitätsnahe Ergebnisse liefert.

Damit wird eine Grundlage geschaffen, auf der auch anspruchsvolle, geschwungene Glasformen sicher und optimiert umgesetzt werden können. Die Forscher erläutern darüber hinaus, welche vielversprechende Möglichkeiten gebogene Gläser bei der Formgebung von Fassaden in Zukunft bieten können. —

Tipp der Redaktion: Interessierte finden die Quellenangaben zum Beitrag auf https://www.glaswelt.de/, dort im Suchfeld rechts oben den Webcode 1124 eingeben.

Bernhard Weller, ­Michael Engelmann

engineered transperency

Konferenz zu Entwicklungen im Glasbau

Mehr zu den Entwicklungen gebogener Gläser erläutern Glasspezialisten aus Wissenschaft und Forschung auf der internationalen Konferenz „engineered trans­perency“ im Rahmen der glasstec 2012 in Düsseldorf. Im Fokus der Fachvorträge stehen die aktuellen Entwicklungen im Glasbau.

Dort erfahren die Teilnehmer weiter, wie sich gebogene Isoliergläser für den Fassadenbau konstruieren und auch in absturzsichernder Funktion einsetzen lassen, um eine schwungvolle Architektur mit einem sparsamen Energiekonzept zu verbinden. Neben heiß gebogenem Glas stehen auch kalt verformte Gläser im Fokus der Referenten.

Die Konferenz findet vom 25. bis 26. Oktober 2012 parallel zur glasstec in Düsseldorf statt. Weitere Informationen unter https://www.engineered-transparency.eu/

Die Autoren

Prof. Dr.-Ing. Bernhard Weller leitet das Institut für Baukonstruktion an der TU Dresden. ­Michael Engelmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut.

http://www.bauko.bau.tu-dresden.de

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