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Festigkeit warm gebogener Gläser, Teil 2

Komplexes Materialverhalten

Eine einheitliche Grundlage zur Bestimmung eines Festigkeitswerts gebogener Gläser existiert aktuell nicht. Dies ist einer der Gründe, weshalb diese Werte derzeit geringer angesetzt werden als bei flachen Gläsern. Um Festigkeitsverluste von 10 bis 20 % auszugleichen, müssen gebogene Glasaufbauten mit dickeren Scheiben ausgeführt werden. Damit werden Bauteile teils bedeutend schwerer, was wiederum häufig höhere Kosten für den Transport sowie bei der Montage auf der Baustelle nach sich zieht.

Im ersten Teil des Beitrags (GLASWELT 09/2012, Seite 26) wurde der Versuchsaufbau vorgestellt sowie die experimentelle Versuche be­schrieben. Diesmal steht die Auswertung der Versuchsergebnisse im ­Fokus, aus der sich weitere Folgerungen ableiten lassen, um der Antwort einen Schritt näher zu kommen. Der für gebogene Gläser modifizierte Vierpunkt-Biegeversuch wurde mit insgesamt 28 Prüfkörpern (in ESG-Qualität) ­durchgeführt. Zunächst wurden die Scheiben bis kurz unterhalb des Bruchniveaus belastet, um sie vorerst nicht zu zerstören. Die mehrfache Wiederholung dieses Versuchs erbrachte jeweils gleichartige Ergebnisse. Das belegte, dass der angepasste Versuchsstand alle Anforderungen ­erfüllte [1].

Die Dehnungen auf der Glasoberfläche wurden mit Dehnmessstreifen gemessen. Dabei zeigte sich ein deutliches nichtlineares Verhalten. Bei doppelter Kraft wird also nicht die doppelte Dehnung erreicht. Liegt das Glas in konvexer Position (n-Lage), so wird bei doppelter Prüfkraft weniger als die doppelte Dehnung gemessen. Dreht man den Prüfkörper in die gegensätzliche konkave Position (u-Lage), so kehrt sich auch das Messergebnis um: bei doppelter Last wird eine mehr als zweifache Dehnung gemessen. Auch die Messwerte in Scheibenmitte und an der Scheibenkante unterschieden sich. Daran zeigt sich das kompliziertere, nichtlineares Tragverhalten gebogener Gläser. Dies muss man berücksichtigen, wenn eine handliche Versuchsauswertung bei der Festigkeitsermittlung ermöglicht werden soll.

Ebenso zeigte sich für die Durchbiegung in Relation zur Prüfkraft ein nichtlineares Verhalten. Dabei verformen sich vor allem dünne Gläser von 4 mm und 6 mm Dicke sehr elastisch. Bei einer Glasspannweite von 1 m und einer Verformung bis zur Messgrenze von 100 mm trat zum Teil kein Bruch auf. Die übrigen Probekörper mit Glasdicken über 6 mm konnten bis zum Bruch belastet werden, sodass hier ein Festigkeitswert ableitbar ist.

Berechnungen bestätigen Versuche

Zur Auswertung und weiteren Analyse der Versuche wurde ein Berechnungsmodell mittels der „Finiten Elemente Methode“ erstellt. Zunächst musste das Modell jedoch zeigen, dass dem Berechnungsergebnis vertraut werden kann. Dazu wurde das Tragverhalten im Versuch nachgestellt und am Computer die gleichen Messungen, wie im Versuch durchgeführt. Es zeigte sich, dass ein vergleichsweise einfaches Modell (blaue Linie im Diagramm) nicht in der Lage ist, ausreichend genaue Ergebnisse zu liefern. Das festgestellte, nicht lineare Verhalten im Versuch wurde nicht reproduziert.

Durch eine aufwendigere Modellierung (siehe Abbildung links) konnten Ergebnisse wie im Versuch ermittelt werden. Erst jetzt kann man sagen, dass die Realität ausreichend genau nachgerechnet wurde. In der Abbildung zeigt die blaue Linie den Zusammenhang zwischen der Prüflast und der Verformung für das einfache Modell. Doch erst die orange Linie für das aufwendige Modell kommt den Versuchsergebnissen (Kreuze) ausreichend nahe. Somit konnte das komplizierte Tragverhalten auch für die übrigen der 28 Probekörper nachgerechnet werden. Das Modell liefert realitätsnahe Werte. Hierdurch ließen sich auch Berechnungen für Geometrien anstellen, für die keine Probekörper vorlagen. Diese Simulation spart Zeit für Versuche ein. Ebenso muss kein Glas zu Bruch gefahren werden.

Da eine einfache Handrechnung mit dem Taschenrechner nicht möglich ist, mussten die Ergebnisse speziell aufbereitet werden. Gerade das gesonderte, spröde Bruchverhalten von Glas musste berücksichtigt werden, um eine ausreichende Sicherheit zu gewährleisten. Dies soll in der Alltagspraxis eine Materialprüfung mit wenig Aufwand (ohne aufgeklebte Dehnmessstreifen) ermöglichen. Ein Festigkeitswert soll dann aus der Prüfkraft beim Bruch des Probekörpers ableitbar sein, wie es für Flachglas heute schon üblich ist. Eine erneute, aufwendige Modellerstellung ist dann nicht mehr nötig.

Die Folgerungen der Wissenschaftler

Der vorgestellte Versuchsaufbau liefert nutzbare Ergebnisse und lässt sich für künftige Tests verwenden. Auch die Ergebnisse der numerischen Simulation und der Messungen in den Versuchen liegen sehr nahe beieinander und belegen, dass das Rechenmodell den Versuch ausreichend genau abbildet.

Die an der TU Dresden so ermittelte einfache Beziehung zwischen der Prüfkraft und dem abzuleitenden Festigkeitswert zeigten schlüssige Ergebnisse. Diese wecken die Hoffnung, dass gebogene Glasbauteile zukünftig leistungsfähiger mit geringeren Glasdicken als bisher einsetzbar sind.

Allerdings sind weitere Versuche zum Tragverhalten nötig, um die Frage der verringerten Festigkeit abschließend zu klären, da die Anzahl der untersuchten Probekörper für eine statistisch belegte Aussage bis dato nicht ausreicht.

Dazu sind an der TU Dresden weitere Versuchsreihen vorgesehen. Ziel der aktuellen und künftigen Untersuchungen ist es, ein vollständiges und einheitliches Konzept zur Festigkeitsermittlung von gebogenen Gläsern zu erreichen.

Es ist davon auszugehen, dass auch bei weiteren Tests höhere Festigkeitswerte ermittelt werden als bisher. Dies würde einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung des Glasbiegens leisten, da die Glasbieger künftig in der Lage wären – wissenschaftlich fundiert – die Materialeigenschaften von gebogenem Glas besser auszunutzen und optimierte Produkte mit größerer Festigkeit herzustellen. —

Tipp der Redaktion: Interessierte finden die Quellenangaben zum Beitrag auf ­ https://www.glaswelt.de/, dort im Suchfeld rechts oben den Webcode 1127 eingeben.

Michael Engelmann, Bernhard Weller

Die Autoren

Prof. Dr.-Ing. Bernhard Weller leitet das Institut für Baukonstruktion an der TU ­Dresden. ­Michael Engelmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut.

http://www.bauko.bau.tu-dresden.de

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engineered ­transpArency

Konferenz zu Entwicklungen im Glasbau

Auf der internationalen Konferenz „engineered trans­parency“ erfahren die Teilnehmer, wie sich gebogene Isoliergläser für den Fassadenbau konstruieren und auch in absturzsichernder Funktion einsetzen lassen. Neben heiß gebogenem Glas werden auch kalt verformte Gläser behandelt. Im Fokus stehen weiter die aktuellen Entwicklungen im Glasbau. Die Konferenz findet vom 25. bis 26. Oktober 2012 parallel zur glasstec in Düsseldorf statt. Weitere Informationen unter

https://www.engineered-transparency.eu/

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