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Im Gespräch mit Prof. Jens Schneider

Der Glasbau wird komplexer

Glaswelt – Herr Schneider, an welchen spannenden Glas-Themen forscht Ihr Lehrstuhl an der TU Darmstadt aktuell?

Prof. Jens Schneider – Zurzeit behandeln wir Kratzwiderstand und Kratzersichtbarkeit bei Floatglas und ESG und forschen viel im Bereich der transparenten Polymerzwischenlagen und deren Charakterisierung für die Verwendung in VSG (z.B. Materialcharakterisierung zur Bestimmung der Resttragfähigkeit von VSG). Weiter beschäftigen wir uns mit der Spannungsrelaxation bei ESG durch den Heat-Soak-Test und der Versagenswahrscheinlichkeit von ESG und TVG bei Nickel-Sulfid-Einschlüssen sowie definierter Vorschädigung von Gläsern für Lebensdauervorhersagen. Unser Institut untersucht zudem das ­Dauerschwingverhalten von Gläsern, ihre Kantenfestigkeit und thermische Beanspruchung und last but not least Impakt- und Blastproblematik mit Glas sowie Dünngläser (chemisch und thermisch vorgespannt).

Glaswelt – Viele dieser Projekte betreffen den Glasbau bzw. den konstruktiven Glasbau, wo sehen Sie dort weitere, neue Potenziale?

Schneider – Ich denke, dass im (konstruktiven) Glasbau bei der Innovation die Schritte inzwischen kleiner geworden sind. Jedoch auf der Materialseite beim thermischen und chemischen Vorspannen und an der Schnittstelle zu den Polymeren (Laminate, Kleben, ISO-Randverbund) besteht noch viel Forschungs- und Verbesserungsbedarf. Gerade an der Schnittstelle zum Gewerk Fassade und Haustechnik sind ebenso noch viele Chancen für neue Produkte und Verfahren vorhanden: Stichwort adaptive Systeme.

Glaswelt – Sagen Sie mehr zu den Entwicklungen bei den Glasfassaden, auch mit Blick auf immer komplexere, vielfältigere Anforderungen?

Schneider – Durch die häufig einseitige Fokussierung auf den U-Wert geht bei den Fassaden der Trend aktuell etwas weg vom Glas. Momentan wird aus dem gleichen Grund 3-fach-Isolierglas verstärkt eingesetzt. Die Wirkung einer Glas­fassade müsste bei der Planung eigentlich grundsätzlich im Rahmen von Gebäudesimulationen ganzheitlich betrachtet werden. Gerade bei den steigenden Anforderungen müssen wir darauf achten, dass wir die Komplexität des Systems ­Fassade nicht ebenso weiter steigern, ohne Ursachen und Wirkungen richtig verstanden zu haben. Die fortschreitende Technisierung kann nämlich auch zu schlechteren Ergebnissen ­führen.

Glaswelt – Welche Rolle spielt ein ganzheitlicher Ansatz beim Ausloten neuer Glasbau-Lösungen? Haben hier die Ingenieure oder die Verarbeiter die Nase vorn?

Schneider – Das kann man nicht trennen. Die Architekten geben häufig den Anstoß zu ganz neuen Trends, die Ingenieure versuchen die Trends für eine Verwirklichung vorzudenken, aber wirkliche Innovation kann nur aus dem Zusammenwirken von Theorie und Experiment entstehen, da sind im Idealfall die Glasverarbeiter schon dabei und für die Umsetzung in die Praxis geht es ja vor allem um technische Umsetzbarkeit bei der Verarbeitung.

Glaswelt – Werfen wir einen Blick auf die Umsetzung solcher (Fassaden-)Konstruktionen, wo liegen jeweils die Verantwortlichkeiten von Planer, Verarbeiter und Monteur?

Schneider – Da sprechen Sie eines der größten Probleme an: Es fehlt eine genaue Defini­tion der Schnittstellen bei der Planung und Umsetzung von Fassaden. Wir haben einerseits die an der Planung Beteiligten und andererseits die verschiedenen Gewerke bei der Montage sowie bei der Verarbeitung, letztendlich gibt es immer mehr Beteiligte. Deshalb ist eine sehr gründliche Planung erforderlich. Dabei sollten immer auch die Schnittstellen genau definiert und festgelegt werden sowie die jeweiligen Verantwortlichkeiten. Und hierbei darf die Planung nicht einseitig die Verantwortlichkeiten auf die Ausführenden und Monteure verlagern.

Umgekehrt sollten ausführende Firmen bereits die frühen Planungsprozesse begleiten, um die Komplexität bei der Festlegung von Lösungen mit noch unscharfen Randbedingungen zu erleben. Am besten funktioniert der gesamte Prozess, wenn alle Beteiligten sich gegenseitig respektieren und gemeinsam an der Lösung orientiert sind.

Glaswelt – Der Glasbau entfaltet sich auch mit kleineren Anwendungen wie Glasbrüstungen u.ä., was für Trends sehen Sie hier?

Schneider – Ich sehe bei Glasgeländern eine zunehmende Verwendung von VSG aus thermisch vorgespannten Gläsern, kombiniert mit durchdachten Montagesystemen. Diese ermöglichen eine schnelle und sichere Montage und ebenso den einfachen Austausch. Dem Recycling wird bei der Fertigung zurzeit ein zu geringer Stellenwert eingeräumt. Für die Zukunft muss hier – wie auch bei der Fassade – das Thema Recycling der Laminate und Isoliergläser mehr beachtet werden, eine Trennung des Materialmixes ist ja zurzeit kaum möglich.

Gerade für die Bewertungsverfahren zur Nachhaltigkeit (LEED, DGNB etc.) wird es immer wichtiger, die gesamte Prozesskette des industriellen Stoffkreislaufes zu analysieren und passende Recycling-Verfahren zu entwickeln.

Glaswelt – Was können auf der Verarbeiterseite die Glasspezialisten von den Metallbauern lernen und umgekehrt?

Schneider – Aus meiner Sicht sollte die gesamte Glasbranche viel mehr Wert auf Forschung und Entwicklung legen. Dabei sollten auch ganz grundlegende Fragestellungen in Zusammenarbeit mit den Universitäten und Prüfanstalten geklärt werden, die dann allen zur Verfügung stehen und weitere Innovationen ermöglichen. Hier sehe ich großen Nachholbedarf gegenüber anderen Branchen wie z.B. dem Stahl- und Metallbau; es liegt vielleicht auch an der Struktur der Glasbranche mit eher mittelständischer Ausrichtung vieler Verarbeiter einerseits und den sehr großen Basisglasherstellern andererseits. ­—

Die Fragen stellte Matthias Rehberger, Chef­redakteur der GLASWELT.

engineered transparency

Glasbau-Konferenz zur glasstec 2012

Mehr zu den aktuellen Entwicklungen im Glasbau erläutern über 80 Glasspezialisten aus Wissenschaft und Forschung auf der internationalen Konferenz „engineered trans­parency“. Die zweitägige Konferenz findet am 25. und 26.10.2012 im Congress Center Ost parallel zur glasstec 2012 statt. Sie wird gemeinsam von der glasstec, der TU Dresden und der TU Darmstadt organisiert.

Die Konferenz wird bei deutschen Architekten- und Ingenieurkammern akkreditiert. Weitere Infos unter https://www.engineered-transparency.eu/

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