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Kratzanfälligkeit von ESG und Float Im Vergleich

Anders als erwartet

Glasoberflächen erfahren durch Reinigung oder Betreten eine oberflächennahe Verschleißbeanspruchung. Hierbei wirken sich Spannungsspitzen, wie sie etwa bei Kratzern auftreten, negativ auf die Bruchfestigkeit des gläsernen Werkstoffs aus. Dieser festigkeitsmindernde Einfluss resultiert aus dem orthogonal zur Oberfläche verlaufenden Tiefenriss (Bild 1b); die dicht unterhalb der Glasoberfläche verlaufenden Lateralrisse (Bild 1a und 1b) bewirken eine optische Verbreiterung des Kratzers. Im Durchschnitt ist die Kratzspur, d.h. der Bereich eines Kratzers, in dem der abrasive Materialabtrag stattgefunden hat, 10 bis 20 µm breit. Lateralrisse verbreitern einen Kratzer bis auf mehr als 300 µm und machen ihn so mit bloßem Auge (makroskopisch) sichtbar. Das Wachstum der Risse ist zeitabhängig und kann sich über mehrere Tage erstrecken.

Glasveredler und -Hersteller sowie Experten aus dem Gebäudereinigerhandwerk messen heute thermisch vorgespanntem Einscheiben-Sicherheitsglas (ESG) eine höhere Kratzempfindlichkeit gegenüber herkömmlichem (thermisch entspanntem) Floatglas bei.

Aufgrund immer kostenintensiverer Verglasungen hat dieser Umstand in den letzten Jahren zu sensibleren Reinigungsvorschriften von ESG und der regelmäßigen Verwendung von Haftungsausschlüssen geführt. Bislang wurden verschiedene Untersuchungen zur Charakterisierung dieser Kratzanfälligkeit durchgeführt, allerdings konnten dabei die wahren Einflussparameter auf das laterale Risswachstum nicht identifiziert werden. So werden für die ungleichmäßige Ausprägung der Kratzerbreite bisher die einwirkende Kraft auf den Eindringkörper und die thermischen Vorspannung der Verglasung als verantwortlich betrachtet. Weiter werden Einflüsse aus den unterschiedlichen Oberflächeneigenschaften von Float (Zinnbadseite und Atmosphärenseite) sowie Einflüsse durch lokale Mikrobeschädigungen der Glas­oberfläche als wahrscheinlich erachtet. Letztere werden hervorgerufen durch den Kontakt mit den keramischen Förderrollen (Rollenseite und Luftseite) während des thermischen Vorspannprozesses sowie durch atmosphärische Umgebungsbedingungen (Temperatur und relative Luftfeuchtigkeit).

Simulation der Kratzer

Zur Charakterisierung realer Schadensmuster wurden im aktuellen Forschungsprojekt bis zu 30 Jahre alte, betretbare Horizontalverglasungen und Fassadengläser auf Verkratzungen untersucht. Dabei wurden die Scheiben einer fluoreszierenden Eindringprüfung unterzogen. Dieses zerstörungsfreie Verfahren eignet sich zur Untersuchung sehr feiner Rissstrukturen. Dazu wird ein fluoreszierendes Mineralöl auf die zunächst gereinigte und getrocknete Glas­oberfläche aufgetragen. Über den Kapillareffekt dringt das Öl in den Oberflächendefekt ein. Nach einer definierten Einwirkungsdauer wurde das überschüssige Eindringmittel entfernt und das in den Kratzern verbleibende Mittel durch UV-Licht sichtbar gemacht. Anschließend wurden die gefundenen Kratzer unter einem Mikroskop analysiert und die Schadensmuster charakterisiert (Bild 2). Mittels dieser Charakterisierung ist es möglich, reale Schadensmuster durch Kratzversuche im experimentellen Maßstab zu simulieren.

Um die wahren Einflussparameter auf die laterale Rissausbreitung zu ermitteln und einen grundsätzlichen Vergleich zwischen Floatglas und ESG zu ermöglichen, wurden Kratzversuche mit einem konischen 120°-Diamanten (Spitzenausrundung 7 µm) und einer Auflast auf den Diamanten von 700 mN durchgeführt.

Die Prüfbedingungen berücksichtigten zwei atmosphärische Umgebungsbedingungen (50% relative Feuchtigkeit und Wasserlagerung) sowie die Oberflächenkombinationen: Zinnbadseite oder Atmosphärenseite für Floatglas; Zinnbadseite oder Atmosphärenseite, jeweils in Kombination mit der Rollen- oder Luftseite aus dem Vorspannprozess für ESG. Um mögliche Unterschiede in der Zusammensetzung der 96 untersuchten Probekörper zu berücksichtigen, wurden Gläser von vier unterschiedlichen Herstellern verwendet.

Ergebnisse der Untersuchungen

Die Messungen haben gezeigt, dass entgegen der bisher weit verbreiteten Meinung, für Floatglas und ESG kein wesentlicher Unterschied in der Kratzerbreite messbar ist. Allerdings konnte festgestellt werden, dass das laterale Risswachstum bei ESG wesentlich schneller voranschreitet. Das bedeutet, dass bei vorgespanntem Glas die endgültige Breite und somit die makroskopische Sichtbarkeit des Kratzers bereits nach kurzer Zeit erreicht werden. Weiter wurde festgestellt, dass Floatglas in Wasserlagerung im Durchschnitt größere Rissbreiten erzeugt, als eine Lagerung in 50% relativer Feuchte. Für äquivalente Probekörper aus ESG konnte diese Tendenz nicht festgestellt werden. Für die vermeintlich unterschiedlichen Oberflächenbeschaffenheiten nach dem Vorspannprozess konnte kein einheitlicher Trend identifiziert werden, sodass dieser Einfluss ausgeschlossen werden kann.

Hingegen wurden marginale Unterschiede für die durch den Floatprozess unterschiedlichen Oberflächenbeschaffenheiten gemessen. Auf Probekörpern von zwei Herstellern konnten eine geringere laterale Rissausbreitung auf der Zinnbadseite gemessen werden. Bei den Probekörpern der beiden anderen Hersteller wurde kein Unterschied festgestellt.

Die Kratzversuche haben gezeigt, dass die Verwendung eines konischen 120°-Diamanten und eine Auflast auf den Diamanten von 700 mN reale Kratzer sehr gut abbildet.

Hinsichtlich der Sichtbarkeit von Kratzern wurde festgestellt, dass die lateralen Risse auf ESG insbesondere kurz nach der Erzeugung der Kratzer schneller wachsen. Somit ist ESG zunächst eine höhere makroskopische Sichtbarkeit zuzuschreiben. Dieser Effekt wird jedoch durch das langsamere laterale Risswachstum bei thermisch entspanntem Floatglas kompensiert.

Bei beiden Glasarten liegt nach etwa 24 Stunden eine äquivalente laterale Rissbreite und somit eine identische Sichtbarkeit der Kratzer vor. Ein unmittelbarer Vergleich zwischen den Probekörpern verschiedener Hersteller lässt keine Unterschiede in der Kratzerbreite erkennen. Damit kann ein herstellerabhängiger Unterschied in der Sichtbarkeit von Kratzern ausgeschlossen werden.

Aufgrund der hier geschilderten Ergebnisse wird empfohlen, die einschlägigen Reinigungsvorschriften, die sich momentan ausschließlich auf ESG beziehen, auch auf (thermisch entspanntes) Floatglas zu erweitern. —

Der Autor

Sebastian Schula untersucht am Institut für Werkstoffe und Mechanik der TU Darmstadt bei Prof. Dr.-Ing. Jens Schneider die Mechanismen von Kratzvorgängen auf Glasoberflächen. Er ist Autor des Online-Lexikons http://www.baunetzwissen.de (Rubrik Glas).

http://www.iwmb.tu-darmstadt.de

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engineered ­transparency

Glasbau-Konferenz zur glasstec 2012

Auf der internationalen Konferenz „engineered trans­parency“ erfahren die Teilnehmer mehr über die hier vorgestellten Ergebnisse der Untersuchungen.

Die Konferenz findet vom 25. bis 26. Oktober 2012 ­parallel zur glasstec in Düsseldorf statt.

https://www.engineered-transparency.eu/

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