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Normengerechte Ug-Werte nach neuer Bauproduktenverordnung (BauPVO)

Rechnen statt messen

Die neue Bauproduktenverordnung, kurz BauPVO genannt, löst aktuell die bis dato gültige Bauproduktenrichtlinie („89/106 EWG“) ab. Teile der Verordnung sind kurz nach der Verabschiedung durch die EU bereits am 24.04.2011 in Kraft getreten. Vollständig gültig wird die Richtlinie am 01.07.2013. Ab diesem Zeitpunkt müssen alle neuen Anforderungen erfüllt werden.

Der wichtigste Unterschied zu bisher: Die BauPVO ist unmittelbar geltendes Recht, ohne dass sie – wie bei der früheren Richtlinie – von den Mitgliedsstaaten in nationales Recht überführt werden müsste – und dabei „interpretiert“ werden könnte.

Eine wesentliche Neuerung der BauPVO ist die Verpflichtung zur Abgabe einer sogenannten Leistungserklärung. Der Hersteller muss diese immer dann erstellen, wenn ein Bauprodukt von einer (harmonisierten) EU-Norm erfasst ist oder einer europäischen technischen Bewertung (bisher: Zulassung) entspricht – also regelmäßig. Die Leistungserklärung darf in gedruckter oder elektronischer Form zur Verfügung gestellt werden. Wie genau, dazu gewährt die BauPVO den Mitgliedsstaaten der EU einen Spielraum.

Zum Zweck der Leistungserklärung regelt Art. 4 Abs. 3 der BauPVO: „Mit der Erstellung der Leistungserklärung übernimmt der Hersteller die Verantwortung für die Konformität des Bauprodukts mit der erklärten Leistung.“

Dies hat in der Glas- und Fensterbranche zu intensiven Diskussionen darüber geführt, ob sich dadurch neue Anforderungen an die Genauigkeit stellen, mit der die Werte ermittelt werden müssen. Bedeutet diese „Verantwortung“ etwa ein neues Haftungsrisiko für die Hersteller?

Der Bundesverband Flachglas hat diese Diskussionen schon im Vorfeld der neuen Verordnung intensiv begleitet und öffentlich geführt, u.a. in diesem Jahr mit zwei gemeinsamen Veranstaltungen mit dem ift Rosenheim und dem VFF.

Welcher „genaue“ Ug-Wert stimmt?

Bei den Glasprodukten zeigt der Ug-Wert beispielhaft, wie technische Werte mit gewissen Toleranzen behaftet sind. Die von den ISO-Herstellern angegebenen Ug-Werte werden i.d.R. rechnerisch aus dem Emissionsvermögen des beschichteten Basisglases mit dem gewünschten Scheibenzwischenraum und der verwendeten Gasfüllung ermittelt. Diese Werte werden auch den Leistungserklärungen der Hersteller zugrunde liegen. Aber was passiert, wenn im Streitfall ein Gutachter bei der Überprüfung des Ug-Werts zu einem abweichenden Ergebnis kommt? Hat der Hersteller dann seine „Verantwortung für die Konformität des Bauprodukts mit der erklärten Leistung“ verletzt?

Diskutiert man darüber mit Juristen, stößt man in der Regel zunächst auf die Erwartung, dass ein „genauer“ oder „wahrer“ Wert angegeben werden müsse. Das ist auf den ersten Blick plausibel und scheint zunächst auch von der BauPVO verlangt zu werden, die in Art. 4 Abs. 3 postuliert: „Liegen keine objektiven Hinweise auf das Gegenteil vor, so gehen die Mitgliedstaaten davon aus, dass die vom Hersteller erstellte Leistungserklärung genau und zuverlässig ist.“

Auf den zweiten Blick stellt sich also die Frage, wann ein Wert eigentlich „genau und zuverlässig“ ist. Die Antwort darauf ist erstaunlicherweise keine technische. Sie findet sich vielmehr in der BauPVO, wo es in Art. 6 Abs. 1 heißt: „Die Leistungserklärung gibt die Leistung von Bauprodukten in Bezug auf die wesentlichen Merkmale dieser Produkte gemäß den einschlägigen harmonisierten technischen Spezifikationen an.““

Im Fall von Isolierglas ist die „harmonisierte technische Spezifikation“ die Europäische Norm EN 1279 mit ihren insgesamt sechs Teilen. Sofern es dort Regeln für die Ermittlung des Ug-Werts gibt, sind diese einzuhalten. Sie sind also gewissermaßen Gesetz. Die EN 1279-5 enthält in Abschnitt 4.3.2.12 die Vorschrift für Ermittlung des Ug-Werts wie folgt: Der Wärmedurchgangskoeffizient (U-Wert) ist durch Berechnung nach EN 673 zu bestimmen mit:

  • dem Emissionsgrad ε des vom Glashersteller angegebenen Wertes.
  • liegen keine Angaben vor, so ist der Emissionsgrad nach EN 12898 zu bestimmen.
  • der Nennbreite der Scheibenzwischenräume.
  • der Nenn-Gaskonzentration.
  • In den Fällen, in denen der Wärmedurchgangskoeffizient (U-Wert) nicht berechnet werden kann, ist er durch Prüfung nach EN 674 oder EN 675 zu bestimmen.

Die allermeisten in Fenstern und Fassaden verbauten Isoliergläser stellen keine Ausnahme nach EN 673 dar, für die man keinen Ug-Wert berechnen kann.

Auch bei der Nachprüfung die Normen beachten!

Wenn der Gutachter bei einem Streitfall nun eine Isolierglasscheibe ausbauen ließe, für die der Hersteller einen ordnungsgemäß rechnerisch nach EN 673 ermittelten U-Wert von 1,1 W/m2K in seiner Leistungserklärung angegeben hat, und eine messtechnische Überprüfung nach EN 674 mit dem Plattengerät ergäbe nur 1,2 W/m2K, dann würde der Hersteller ihm entgegenhalten, dass die Messung nicht den normativ vorgesehenen Wert ermittelt hat. Die von Technikern an dieser Stelle gerne geführte Diskussion über „falsche“ und „richtige“ Werte ist völlig müßig.

Nur einer der Werte wurde nach dem vorgeschriebenen Verfahren ermittelt und ist somit zwangsläufig richtig. In diesem Falle führt sozusagen nur ein Weg nach Rom.

Wenn es in der Praxis zu einer solchen gutachterlichen Nachprüfung des Ug-Werts kommt, wird allerdings in aller Regel auch nicht der Wert der Isolierglasscheibe gemessen: die Scheibe wird auseinander genommen, ein Stück des beschichteten Basisglases wird herausgeschnitten und dessen Emissivität wird messtechnisch ermittelt. Mit diesem Wert wird dann nach EN 673 der Ug-Wert des Isolierglases berechnet. Auch das kann zu einem anderen Ug-Wert führen, als dem vom Hersteller in seiner Leistungserklärung angegebenen.

Auch dieses Verfahren entspricht nicht der Vorschrift der EN 1279-5 zur Ermittlung des Ug-Wertes!

Der Isolierglashersteller muss/darf das Emissionsvermögen der beschichteten Oberfläche nicht messen. Er darf/ muss sich auf die Angabe seines Lieferanten verlassen. Denn auch diese Angabe erfolgt mit einer Leistungserklärung auf der Basis einer harmonisierten Europäischen Norm, der EN 1096. Und dort erfolgt die Angabe des Emissionsvermögens mit einer Wertangabe und einer Toleranz.

Es kann also sein, dass der Hersteller des beschichteten Glases innerhalb der Toleranz „seiner Norm“ das Emissionsvermögen korrekt angegeben hat und mit dem gemessenen Wert innerhalb der Toleranz nun ein „anderer Ug-Wert“ ausgerechnet wird. Wieder ist die technische Diskussion müßig, weil nur ein Weg nach Rom führt.

Die Bewertung des BF

Auch oder gerade wenn der Isolierglashersteller den Ug-Wert normgerecht und damit vorschriftsmäßig ermittelt hat, kann die Nachprüfung mit anderen Methoden zu abweichenden Ergebnissen führen.

Toleranzen sind in der Technik unvermeidbar; daher wird man mit solchen Abweichungen weiter leben müssen.

Ein zusätzliches Haftungsrisiko für den Isolierglashersteller erwächst nach Auffassung des Bundesverband Flachglas aus der Abgabe einer Leistungserklärung nicht, wenn die Werte – wie regelmäßig praktiziert – nach den Vorgaben der einschlägigen harmonisierten Normen ermittelt werden. —

https://www.bundesverband-flachglas.de/

Jochen Grönegräs

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