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Grenzen des Machbaren aus Sicht von Technik und Nutzern

Sind wir bereit für die Zukunft?

Als Beispiel für visionäre Gebäude seien hier die Dächer des Münchener Olympiageländes genannt. Eine zur damaligen Zeit von Visionären entwickelte Konstruktion mit neuen, unerprobten Konstruktionen und Materialien hat weltweite Aufmerksamkeit erregt und wie kein zweites Bauwerk die Stadtentwicklung von München geprägt. Bereits damals haben Konzepte zur nachhaltigen Nutzung der Sportstätten über die Olympischen Spiele hinaus einen Trend vorweg genommen, der heute aktueller denn je ist. Was daraus gelernt werden kann ist, dass die Technik sehr schnell voranschreitet und die Grenzen fließend sind. Dennoch bestimmen bautechnische Regeln die Verwendung und Weiterentwicklung von Bauteilen hinsichtlich:

  • der Leistungsfähigkeit (einzelne Optimierung technischer Eigenschaften/Kennwerte),
  • der Wirtschaftlichkeit (übermäßige Entwicklung technischer Eigenschaften/Kennwerte),
  • der Komplexität (nicht mehr beherrschbare Details und Systeme),
  • der Nutzerakzeptanz (zu großer Eingriff in persönliches Verhalten),
  • der baulichen Gegebenheiten und Traditionen (Beschränkung durch Randbedingungen),
  • der Dokumentation (zukünftige Anforderungen der Bauproduktenverordnung).

Technische Grenzen

Technische und damit auch ökologisch und ökonomisch sinnvolle Grenzen sind beim Wärmeschutz (U-Wert) der Produkte erreicht. Innovationen beschränken sich oft auf Verbesserungen im tausendstel Bereich. Diese sind in der praktischen Anwendung nicht zu fühlen und schon gar nicht im Energieverbrauch der Gebäude nachweisbar. Diese scheinbaren Genauigkeiten bereiten in der täglichen Prüfpraxis Probleme, denn sie liegen oft schon im Bereich der Messungenauigkeit der Prüfeinrichtungen. Natürlich reagiert man darauf mit Anpassung der Regelwerke, so z.B. mit der Entwicklung neuer Algorithmen zur Berechnung, aber auch mit Optimierungen in der Messtechnik. Auch wenn man die Genauigkeit verbessert, erscheint dies den heutigen Bedürfnissen nicht mehr gerecht zu werden.

Die wesentliche Kernaufgabe besteht darin, den Blick für das große Ganze der Energieeffizienz nicht zu verlieren und die Kennwerte dem Verbraucher so transparent und verständlich wie möglich zu erklären. Die Branche braucht deshalb dringend neue Kenngrößen jenseits des U-Wertes wie z.B. das Energy Label, um ihre Produkte besser platzieren zu können.

Eine weitere Grenze ergibt sich durch den seit Jahren anhaltenden Trend zu größeren Flügelgewichten. Dies ist nicht alleine die Folge des höheren Glasgewichts von 3-fach-Glas. Auch in der Vergangenheit haben großformatige Fenster in Verbindung mit Sicherheitsverglasungen schon kaum mehr zumutbare Flügelgewichte „beschert“. Aber die 3-fach-Verglasung verstärkt diesen Effekt erheblich. Neuere gewichtsreduzierte Aufbauten – gerade bei Mehrfach­verglasungen – werden bereits angeboten und erfordern einen neuen Umgang mit dieser Thematik. Die individuellere Planung und Abstimmung auf die örtlichen Verhältnisse und ­Bedürfnisse der Kunden wird elementar angesichts vorhandener Größenbeschränkungen, der Verformungen aufgrund der Eigenlast bis hin zu dem in der Praxis oft diskutierten Tauwasser­problem.

Diese Aufgabenstellungen zeigen sich auch in der Forschung und Entwicklung, beispielsweise wie eine Druckentspannung beim Mehrscheiben­isolierglas zur Reduzierung der Verformung und der Belastung des Isolierglasrandverbundes führen kann und damit zur Sicherstellung der Dauerhaftigkeit beiträgt. Ebenso gilt es hierfür neue und geeignete Verfahren zur Prüfung und Bemessung zu entwickeln.

Gestaltung und Nutzungsbedingungen unterliegen dem Wandel

Neue Profile, Beschläge und Verglasungstechniken erlauben schmalere, filigranere Ansichten der Fenster. Der „Einheitsbrei“ der Fenster aus den 80er und 90er Jahren ist längst einer Vielfalt gewichen. Doch ohne normative Vorgaben für die Konstruktion ist es wichtiger denn je, die wesentlichen Konstruktionsgrundsätze zur Sicherstellung der Dauerhaftigkeit und Gebrauchstauglichkeit zu beachten. Die Verträglichkeit der Materialien, Möglichkeiten des Dampfdruckausgleichs, Konzepte zur Entsorgung und Wiederverwertung, richtig konstruierte Entwässerungs- und Abdichtungsebenen (Stufenmodell) sind auch in neuen Konstruktionen unabdingbar.

Studien belegen, dass sich auch die Wohnbedingungen in den Gebäuden verändern, sodass Energieverluste durch das Nutzerverhalten, Lüftung, Kühlung und Kunstlicht bei Niedrigenergie-Bauweisen längst die klassischen Transmissions-Wärmeverluste übersteigen.

Doch die Plus­energie-Bauweise, die sich im Markt als zukunftsfähige Bauweise etabliert, verlangt auch die Nutzung von Einsparmöglichkeiten in diesen Bereichen. Mechatronische Bauelemente werden dabei unverzichtbar, um individuelles „Fehlverhalten“ zu begrenzen.

Einen ähnlichen Weg geht auch die Automobilbranche mit elektronischen Assistenzsystemen, die die Sicherheit verbessern, beispielsweise durch automatische Bremssysteme oder eine Einschlafkontrolle. Allerdings muss im Baubereich bei der Weiterentwicklung der Systeme zur Praxisreife noch viel getan werden. Die wesentlichen Anforderungen an derartige Elemente sind vor allem

  • eine robuste Ausführung,
  • die einfache, harmonisierte Vernetzung mit haustechnischen Systemen,
  • der sichere Betrieb und
  • ein einfacher, intuitiver Umgang im Sinne des Universal Design.

Ist der Nutzer bereit für die Zukunft?

In Science-Fictions versprechen die technologischen Utopien für das Wohnen eine moderne Technik, die autonom den Raum und seine Einrichtungen steuert. Mittels Touchscreens und Spracheingabe kann der Bewohner in das System eingreifen. Die Räume sind gut klimatisiert und belüftet. Die Technik erkennt die Stimmung des Bewohners und regelt die Bauteile automatisch; diese sorgen so für den richtigen Luftaustausch, Sonnen- und Lichteinfall, Kunstlichtanteil usw. Betrachtet man den Aufwand, den Automobil- und Elektronikhersteller betreiben, scheint dies nicht mehr lange eine Utopie zu sein. Aber ist der Nutzer im häuslichen Umfeld wirklich bereit, diese „Fremdbestimmung“ zu akzeptieren?

Für die junge Generation scheint dies bereits heute der Fall zu sein. Wer hätte vor Jahren vermutet, dass die Jugend keine Straßenkarte mehr liest, sondern ein Smartphone nach dem Weg fragt oder sich ein Lokal empfehlen lässt. Sicher muss hierzu noch viel geforscht und ein Entwicklungsprozess durchlaufen werden. Eines ist aber bereits jetzt klar: die Benutzung von Fenstern und Türen muss intuitiver werden, die Technik verständlicher und universeller frei nach dem Motto: „Universal Design – Konstruktionen und Anwendungen für eine möglichst große Bandbreite von Nutzern“.

Auch die Plusenergie-Bauweise wird die Stadtbilder verändern. Es sind Gebäudeformen und -techniken gefragt, die sich mit den architektonischen Traditionen unserer Städte und Dörfer nur eingeschränkt vereinbaren lassen. Aber auch hier wird ein Entwicklungsprozess eintreten, wie er aus der Photovoltaikbranche bekannt ist, bei der zu Beginn noch hitzig über den Einsatz und die architektonischen Folgen diskutiert wurde – heute genießen Solarpaneele auf den Dächern eine breite Akzeptanz und in manchen Regionen müssen sich Bauherren schon rechtfertigen, wenn keine PV-Module auf dem Dach sind.

Ist die Branche reif für die Zukunft?

Die Technik schreitet rasend voran, die Branche ist innovativ und verfügt über das technische Know-how und die Einrichtungen, diese Entwicklung voranzutreiben. Die zunehmende Abwendung von reinen physikalischen Kennwerten hin zu ganzheitlichen und verständlichen Beschreibungen unserer Bauteile muss gelingen, um Bauherren zu überzeugen. Sofern die politischen Rahmenbedingungen passen, was unter der Faktenlage zu Ressourcenknappheit und Energiewende außer Frage steht, ist der Weg vorgezeichnet. Somit ist die Antwort auf diese Frage ein eindeutiges „Ja!“. —

Ulrich Sieberath

Der Autor

Ulrich Sieberath (55) ist nach dem Abschluss des Holztechnik-Studiums an der FH Rosenheim seit 1982 Mitarbeiter des ift ­Rosenheim. Seit 2004 ist er ift-Institutsleiter und seit Okt. 2012 Honorarprofessor an der Hochschule Rosenheim.

Weitere Funktionen und Tätigkeiten: Lehrauftrag an der Fachhochschule Rosenheim, Mitarbeit und Obmannschaft in zahlreichen Normungsausschüssen, Mitglied der Prüfungskommission IHK für vereidigte Sachverständige und Fachbegutachter beim Eidgenössischen Amt für Messwesen (Schweizerische Akkreditierungsstelle).

https://www.ift-rosenheim.de

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