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Mehr Komfort, Sicherheit und Orientierung Mit Universal Design

Mehrwert durch Barrierefreiheit

Altersgerechte Konzeptionen haben sich aufgrund des demografischen Wandels vom Randthema zu einer zentralen Aufgabe unserer Gesellschaft entwickelt. Díe Zunahme an älteren und hoch betagten Menschen mit dem Wunsch in den eigenen vier Wänden zu bleiben, fordert alle am Bau Beteiligten. Nicht nur die Barrierefreiheit der Wohnung, sondern auch die Ausstattungen bis ins Detail gewinnen an Bedeutung. Bereits im Zuge der energetischen Sanierung können an Fenstern und Türen die Grundlagen zur langfristigen Anpassung der Innenräume gelegt werden.

Ist die Kraft und die Geschicklichkeit der Nutzer reduziert und wird beispielsweise das Umgreifen des Türgriffes zum Kraftakt, erlaubt eine u-förmige Ausbildung die Handhabung mit ausgestreckter Hand. Lange ­Hebelarme reduzieren bei Drehbewegungen den Kraftaufwand. Mit einer Hand bedienbare Ausstattungselemente lassen sich beispielsweise bei halbseitigen Lähmungen (Schlaganfall) gut betätigen.

Im Wohnbau wird es zunehmend wichtiger, dass die präventive Gestaltung des Lebensumfeldes den Bedürfnissen eines breiten Nutzerkreises ­entspricht und möglichst niemanden ausschließt. Dass Zugänglichkeit heute mehr bedeutet als die rollstuhlgerechte Nutzung wird auch durch die erweiterten Anforderungen der DIN 18040-1/-2 im Hinblick auf sensorische Einschränkungen (Sehen und Hören) dokumentiert. Neben der DIN 18040 zum Barrierefreien Bauen bieten die sieben Prinzipien des Universal Designs erste Möglichkeiten, den barrierefreien Komfort zu beurteilen. Diese Prinzipien können auch Handwerker für sich nutzen.

Die sieben Prinzipien des Universal Designs

1. Breite Benutzbarkeit: Gleichwertige Nutzungsmöglichkeiten für unterschiedliche Lebensalter (Kinder, Jugendliche, Erwachsene und Ältere) und Kompetenzen der Benutzer. Beispiele: Tiefer gesetzte Fenstergriffe oder Beschläge am unteren Fensterrahmen (Greifbereich 85 bis 105 cm) gewährleisten die leichte Erreichbarkeit aus sitzender Position. Vertikale Greifstangen an Haustüren ermöglichen beliebige Anfasshöhen beim Öffnen.

2. Flexibilität: Wahlmöglichkeiten in der Benutzungsart werden durch ausreichende Bewegungsflächen realisiert. Neben dem Platzangebot vor und hinter Türen wird der zum Öffnen und Schließen nötige seitliche Abstand neben der Tür oft unterschätzt und häufig zu klein dimensioniert. Sowohl für Rollstuhlfahrer mit geringer Beweglichkeit im Oberkörper, als auch für Rollatornutzer ist der nach DIN 18040 geforderte Abstand von 50 cm zu Raumecken wichtig. Diese seitliche Fläche gewährleistet das Aufstellen des Hilfsmittels und erlaubt den sichereren Bedienvorgang.

Die freie Zugänglichkeit vor Öffnungsflügeln sollte gegeben sein. Statt großer einteiliger Fensterflügel, die entsprechend tief in den Raum hineinragen, empfehlen sich mehrteilige Fenster. Der kleinere Flügel ist vorzugsweise als Gangflügel auszubilden. Dies empfiehlt sich auch bei der Planung und dem Einbau von Fenstern und Türen zu berücksichtigen, insbesondere bei der energetischen Sanierung.

Im Zuge der energetischen Sanierung sind die Laibungsstärken frühzeitig zu betrachten. Bei Nutzung eines Hilfsmittels können größere Laibungstiefen (nach DIN 18040 bei Türen ≤ 26 cm) eine Barriere in Bezug auf Erreichbarkeit und Bedienbarkeit der Tür oder eines Fensters darstellen. An Fenstern ist neben der Laibungstiefe die Bautiefe des Heizkörpers zu betrachten.

3. Einfache und intuitive Benutzung: Leichte Erfassbarkeit von Bedienelementen berücksichtigen die Erwartungen von Nutzern. Komplexe Handhabungen sind zu vermeiden,

4. Sensorisch wahrnehmbare Informationen: Von Mobilitätseinschränkungen sind nicht nur in ihrer Bewegungsfähigkeit eingeschränkte Menschen betroffen, sondern auch Personen mit geringen sensorischen Fähigkeiten. Zur Verbesserung der Orientierung und der Kommunikation tragen folgenden Aspekte bei:

  • Zwei-Sinne-Prinzip
  • visuelle Maßnahmen (Leuchtdichtekontrast – Beleuchtung)

Im Falle geringerer sensorischer Kompetenzen ist die Information für zwei, einander ergänzende Sinne anzubieten. Alternative Wahrnehmungen nach dem Zwei-Sinne-Prinzip werden ermöglicht, wenn Informationen gleichzeitig für zwei der drei Sinne – Sehen, Hören, Tasten – zugänglich sind.

  • statt sehen – hören oder/und tasten bzw. fühlen
  • statt hören – sehen oder/und tasten bzw. fühlen

Bei Ausfall eines Reizes kann die Information immer noch wahrgenommen werden: Gegensprechanlagen, die visuell die Rückmeldung und Freigabe der Tür anzeigen, bieten nicht nur Schwerhörigen die nötigen Informationen, sondern auch Hörenden – wenn z.B. bei der Haustüre die akustische Information durch Verkehrslärm nicht wahrgenommen werden kann. Auf Kontrast abgestimmte Material- und Farbkonzepte (Helligkeit und Farbe) unterstützen Bedienung und Sicherheit bei geringeren Sehkompetenzen.

Entscheidend für visuelle Informationen ist der wahrgenommene Helligkeitseindruck (die Leuchtdichte) einer angeleuchteten oder selbst leuchtenden Fläche. Manche Materialien bzw. Farben unterscheiden sich in Bezug auf den Farbton deutlich, in Bezug auf den Leuchtdichteunterschied aber nicht.

Günstige Leuchtdichte- und Farbkontraste sollten entsprechend den Vorgaben bzw. Empfehlungen der DIN 32975 (Gestaltung visueller Informationen im öffentlichen Raum zur barrierefreien Nutzung) mit einem Leuchtdichtekontrast von> 0,4 eingesetzt werden.

5. Fehlertoleranz / Sicherheit: Die Gestaltung minimiert Risiken und negative Konsequenzen unbeabsichtigter oder zufälliger Aktionen. Risikobehaftete Elemente gilt es zu vermeiden, isolieren, abzuschirmen und zu kennzeichnen. Insbesondere bei automatisierten Fenstern sind Sicherheitskomponenten wie Einklemmschutz und Notentriegelung zu betrachten.

6. Geringer körperlicher Kraftaufwand

Angemessene Bedienkräfte, die zum Drücken und Ziehen benötigt werden, sind unter Berücksichtigung der Körperhaltung und Ausdauer zu betrachten. Abmessungen, Konstruktion, besserer Kraftübertrag bei reibschlüssigen Oberflächen oder Stellteile mit großer Hebelwirkung bestimmen die leichtgängige Bedienbarkeit bei geringer Körperkraft. An Türen montierte Selbstschließer oder auch Rollläden bzw. Sonnenschutzelemente sind auch unter diesem Aspekt zu betrachten. Durch Dreh-Kipp-Beschläge mit integrierter Zwangssteuerung kann das Öffnen und Schließen von Fenstern zusätzlich unterstützt werden. Im Hinblick auf den Komfort und die Barrierefreiheit bieten motorisierte Türen und Fenster die beste Lösung.

7. Zugänglichkeit und Erreichbarkeit

Greif-, Bedien- und Sichtbereiche sind auf stehende und sitzende Nutzungen zu optimieren. An dieser Stelle sind bei Tür- und Fensterbeschlägen Kompromisse notwendig. In der novellierten DIN 18040 wird eine grundsätzliche Einbauhöhe für Türdrücker von 85 cm über OFF gefordert – Ausnahmen sind im begründeten Einzelfall bis 105 cm zulässig.

Aus der Perspektive eines Rollstuhlnutzers wird mit dieser Anforderung die Ergonomie bei eingeschränkter Motorik des Oberkörpers oder der Arme berücksichtigt. Betrachtet man aber die wachsende Gruppe der Rollator­nutzer und hochgradig Sehbehinderten, kann diese niedrige Bedienhöhe zur Barriere werden. Sei es weil die Standsicherheit am Rollator verringert wird oder die tiefere Anordnung nicht im „gewohnten“ Greifbereich liegt.

Diese Beispiele verdeutlichen, dass bei Maßnahmen zur Verbesserung der Barrierefreiheit immer überprüft werden muss, ob nicht neue Barrieren für andere Nutzer entstehen.

Über die Planungsansätze des Universal Designs gibt die DIN 18040-1/-2 konkrete Hinweise zur barrierefreien Gestaltung. Unabhängig von der „Pflicht“ geben die in der DIN formulierten Schutzziele die Möglichkeiten zur „Kür“. Komfort an Fenstern und Türen bietet einen Mehrwert für alle – in jeder Lebenslage. —

Tipp der Redaktion: Lesen Sie auch den Beitrag „Freier Durchgang - Vorgaben und Anforderungen bei Türen“ aus GLASWELT 09/2012, Seite 40, der die aktuellen Regelwerke zur Barrierefreiheit mit den entsprechenden Anforderungen darstellt.

Ulrike Rau

Die Autorin

Ulrike Rau ist selbstständige Architektin und engagiert sich in Planung, Forschung und in der Architektenkammer Berlin u.a. für barrierefreie Konzeptionen.

http://www.raumkonzepte.de