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Alte Gläser und beschläge für alt aussehende Fenster

Wenn Wellen schön sind

Blasen, Kratzer, Wellen, Schlieren – historische Gläser weisen Oberflächeneigenschaften auf, die an modernen Produkten störend wirken und Reklamationen auslösen würden. Glas – die Schmelze aus Quarz, Kalk und Soda hat eine lange Geschichte hinter sich und kann noch nicht lange in ­einer so hohen Qualität hergestellt werden, wie wir es heute gewohnt sind. Erst seit etwa 120 Jahren lässt sich Flachglas überhaupt im industriellen Stil herstellen. Zuvor dominierte die Handarbeit, das heißt, Schmelze wurde manuell aus der Wanne entnommen und geformt. Zu Beginn der Flachglasproduktion formten Glasmacher die Schmelze durch Drehen mit der Fliehkraft zu tellerförmigen Scheiben von etwa 80 cm Durchmesser, kühlten die Teller ab und schnitten Scheiben. Den Mittelpunkt mit der Kontaktstelle zur Glaspfeife verwendete man als Butzenscheibe. In einem anderen Verfahren hat man zum Beispiel große Zylinder geblasen, aufgetrennt, die wellige Glastafel platt gedrückt und abkühlen lassen. Dieser Vorgang wurde zwar zu ­einem industriellen Verfahren weiterentwickelt, aber schon bald wieder abgelöst.

Keine Produkte ohne Wellen

Ab etwa 1903 setzte sich schnell das Ziehverfahren nach System Fourcault (lesen Sie dazu auch den Teil 5 unserer Serie „Entwicklungsgeschichte und Stilepochen“ in GLASWELT 11/2012) durch. Die Glasschmelze wird dabei aus einem Becken durch eine Schamotdüse in Bahnen etwa 8 m senkrecht nach oben gezogen, abgekühlt und geschnitten. Einige Jahre später konnte man auch bei der Gussglasproduktion einen Durchbruch erzielen. Das Ziehen oder Gießen der Gläser war nun im heute üblichen Format von 6 × 3 m möglich. Diese Verfahren haben sich lange gehalten – erst ab 1960 setzte sich das Auskühlen der Schmelze auf einem flüssigen Zinnbad durch. Dieses Verfahren erzeugt deutlich glattere und regelmäßigere Glasoberflächen als alle bisher erwähnten. Die Zylinderblasmethode lässt etwa deutlich sichtbare Wellen, Schlieren sowie Luftblasen zurück. Differenzen sind auch bei der Dicke zu erwarten. Das nicht immer gleichmäßige Schmelzverhalten und unterschiedliche Temperaturen beim Verarbeiten sorgen für die Dickenunterschiede – ungenügendes Ausgasen bildet die Blasen. Vom geblasenen Zylinderglas gibt es denn auch kaum zwei identische Glasplatten. Wie regelmäßig das Resultat ausfällt, hat viel mit dem Gefühl und Geschick des Glasbläsers zu tun. Auch beim industriellen Zylinderglas ist dies nicht anders, zu viele Faktoren beeinflussen das Ergebnis. Gezogene oder gegossene Gläser können leichte Wellen oder Ziehspuren aufweisen.

Alte Fenster auf neuen Maschinen?

Wer auf die Produktionsmerkmale der jeweiligen Epochen acht gibt, kann in etwa den Produktionszeitpunkt des Glases erkennen. „Das ist aber sehr schwierig, denn auch Gläser aus der selben Epoche können sich stark unterscheiden“, sagt Christian Rüttimann von der Vogel Fensterbauer AG. Das Unternehmen hat sich auf die Erhaltung und Fertigung traditioneller Fenster spezia­lisiert. In Goldach in der Schweiz fertigt das Unternehmen neue Fenster auf neuen Maschinen, aber in traditioneller Ausführung. Zum Teil brauchen die Mitarbeiter aber auch sehr alte Anlagen, wie beispielsweise Kreuzsprossenfräsmaschinen, mit denen viele Konstruktionen erst realisierbar werden.

Von Jägern und Sammlern

„Geht es um richtig alte Scheiben, bleibt meist nur noch der Griff in unser umfangreiches Lager“, sagt Rüttimann. Während Jahrzehnten haben die Fensterbauer fast jedes nicht mehr benötigte historische Fenster zerlegt, Glas und Beschläge demontiert, die Konstruktionsmerkmale aufgenommen und die Komponenten eingelagert. Nun stehen einige 100 m2 gebrauchtes Glas in den Lagergestellen der Fensterbaufirma.

Rüttimann: „Braucht es einen Ersatz, etwa wenn eines von sechs Gläsern eines Flügels gebrochen ist, können wir etwas Passendes heraussuchen.“ Sein Altglaslager beherbergt wahre Schätze, die er gut behütet. Zusätzlich stehen viele alte Fenster zum Ausglasen bereit.

Vorsicht beim Ausglasen

Um diese Arbeiten zu erledigen, braucht Rüttimann Schreiner mit viel Fingerspitzengefühl: „Das Heraustrennen der alten Gläser ist sehr heikel und mit viel Aufwand verbunden. Die wertvollen Zeitzeugen brechen schnell – besonders beim Enfernen der Gläserecken.“ Auch das spätere Formatieren provoziert Brüche, sodass die Ausbeute klein bleibt. Muss aus einem alten Glas ein Isolierglas hergestellt werden, schneiden Rüttimanns Mitarbeiter die Gläser zu und übergeben sie der Firma Glassolutions in Kreuzlingen, die eine zweite funktionelle Scheibe, meist mit Wärmeschutzbeschichtung dazu montiert und daraus Isoliergläser fertigt.

Findet Christian Rüttimann kein passendes Glas, greift er auf Lieferanten zurück. Infrage kämen dabei traditionell produzierende Glashütten. Es gibt aber nur noch eine, die Glashütte Lamberts im deutschen Waldsassen nahe der tschechischen Grenze. Dort fertigt man nach traditioneller Methode, also mit der Zylinderblastechnik eine Vielzahl unterschiedlicher Gläser. „Von diesem Lieferanten gibt es Musterkollektionen, trotzdem können die gelieferten Gläser davon abweichen“, sagt Rüttimann. In der Schweiz werden die Lamberts-Gläser von der Firma Sonanini in Zürich vertrieben.

Im Osten noch Standard?

Der Bedarf an solchen wirklich alten oder auf alt getrimmten Gläsern ist aber relativ klein. Weitaus mehr braucht es für den Ersatz von gezogenen oder gewalzten Gläsern für Fenster mit Baujahr etwa ab 1905. Diese weisen nur ab und zu kleine Blasen auf und sind an den deutlichen Walz- oder Ziehspuren erkennbar. Die Oberfläche solcher Scheiben ist leicht gewellt. „Diese Gläser wurden noch bis vor wenigen Jahren in wenig industrialisierten Ostblockländern auf den Originalmaschinen hergestellt“, erklärt der Fensterspezialist. Dies allerdings nicht zum Ausrüsten von historischen Fenstern. Die Maschinen entsprachen in diesen Ländern dem Stand der Technik und die Gläser wurden in aktuelle Fensterkonstruktionen eingesetzt.

Bauhausstil ist bestellbar

Rüttimann: „Von gezogenen Gläsern braucht es relativ viel, man kann sie zum Glück noch bestellen.“ Unter den Bezeichnung „Goetheglas“, „Rest­over“ und „Tikana“ führt die Firma Schott als einzige noch eine Produktlinie mit Restaurationsgläsern. Der Vertrieb erfolgt über die Flachglasverarbeiter. Man kann also bei den meisten Glashändlern ohne weiteres Isoliergläser mit Einzelscheiben von Schott bestellen. Die Oberflächenstruktur ist den Originalen sehr ähnlich – dies auch, weil die Herstellungsverfahren noch immer praktisch identisch geblieben sind.

Das „Goetheglas“ ist ein gezogenes, den Strukturen des 18. und 19. Jahrhunderts angeglichenes Produkt, mit unregelmäßiger Oberfläche. Es eignet sich für die Verarbeitung zu Isolierglas, aber auch als Schutzglas für wertvolle Bleiverglasungen.

„Restover“ ähnelt dem um 1900 gefertigten Glas. Durch seine geringe Dicke lässt es sich problemlos in die sehr filigranen Konstruktionen dieser Epoche einbauen.

Beim „Restover“ gibt es eine „Light“-Version mit weniger Struktur und eine „Plus“-Version mit stärkerer, mundgeblasenem Glas nachempfundener Struktur.

„Tikana“ schließlich eignet sich für Sanierungen von Fenstern aus der Bauhauszeit und Bauten der klassischen Moderne, bis zur Floatglaszeit. Seine leicht gewellte, unregelmäßige Oberfläche gibt solchen Fenstern Authentizität. Besonders die Bauhausarchitektur mit den meist sehr schlanken Metallprofilen lebt vom leichten Verschwimmen der streng geometrischen Formen. Sanierungen mit Floatglas rauben den Bauwerken dann auch viel von ihrem Charakter.

Vorsicht bei den Formaten

Wer aber mit den Gläsern von Schott plant, muss bezüglich Formate und ­Dicken aufpassen: Nicht alles ist erhältlich. „Tikana“ gibt es in 4 mm, „Goethe“ in 5 mm Dicke. „Restover“ hingegen gibt es nur 2,5 bis 3 mm dick.

Die Formate hängen stark von der Produktion im Schott-Werk ab. Jerome Bally von Glassolutions Kreuzlingen: „Nicht immer bekommen wir die maximalen Formate geliefert.“ Die Produktion dieser Gläser sei nicht mit der von Industrie­glas vergleichbar. „Gläser mit Längen über 1500 mm muss man vorsichtig planen und immer erst anfragen, ob eine genügend große Glastafel zur Verfügung steht“, meint Bally. Zusätzlich ist unbedingt die Zugrichtung zu beachten und bei der Bestellung anzugeben. —

https://www.vogel-fensterbauer.ch/ https://de.glassolutions.ch/de-ch

Stephan Wildi

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