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Im Gespräch mit Hans-Dieter Hegner

“Nachhaltigkeit ist eine messbare Größe“

Glaswelt – Herr Hegner, warum macht sich das Bundesbauministerium für die Umweltdeklaration stark?

Hans-Dieter Hegner – Zu den wichtigsten Zielen der Bundesregierung gehören der Erhalt und die zukunftsfähige Entwicklung unserer natürlichen Lebensgrundlage. Viele Naturkatastrophen machen es geradezu in dramatischer Weise deutlich: Zu einem sorgsamen Umgang mit den globalen Ressourcen gibt es keine Alternativen. Mit der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung stellen wir uns dieser Herausforderung.

Nachhaltigkeit ist für die Bundesregierung keine leere Floskel, sondern eine messbare Größe. Das Bundesbauministerium hat deshalb das Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen (BNB) entwickelt und zur Verfügung gestellt.

Für Bundesgebäude ist dieses System mit dem Leitfaden Nachhaltiges Bauen verbindlich eingeführt. Der Bund ist damit der erste große Bauherr in Deutschland, der all seine Bauvorhaben konsequent auf Nachhaltigkeit prüft.

Besondere Merkmale dieser Prüfung sind die Betrachtung über den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes. Dabei geht es insbesondere um die Ökobilanz, den Primärenergiebedarf, die Einschätzung von Risikopotenzialen, aber auch die zu erwartenden Lebenszykluskosten sowie um Komfort- und Gesundheitsaspekte.

Glaswelt – Wie macht man die genannten Aspekte sichtbar?

Hegner – Um diese Frage für ein gesamtes Gebäude richtig abbilden zu können, benötigt man Informationen zu den Bauprodukten. Diese umwelt- und gesundheitsbezogenen Daten werden durch Umweltproduktdeklaration geliefert. Die Beschreibung der Bauprodukte erfolgt dabei nach einem international abgestimmten und genormten Öko-Label Typ III.

Umweltrelevante und quantitative Sachverhalte wie z. B. der Energie- und Ressourceneinsatz, aber auch der Beitrag des Produkts zum Treibhauseffekt werden wertfrei dargestellt, um so das komplexe Zusammenwirken mit anderen Baumaterialien im Gebäude sachgerecht beurteilen zu können.

Darüber hinaus werden in ausführlicher Form bauphysikalische Angaben, Angaben zu Grundstoffen und Stoffherkunft, Beschreibung zur Produktherstellung, Hinweise zur Produktverarbeitung, Angaben zum Nutzungszustand, zu außergewöhnlichen Einwirkungen, zur Nachnutzungsphase und zu Ökobilanzergebnissen dargestellt. Dies wird neben Bauherren und Investoren, die eine Nachhaltigkeitsüberprüfung anfordern, auch zunehmend von Architekten, aber auch von Mietern nachgefragt.

Glaswelt – Und welchen Vorteil haben Umweltproduktdeklarationen für den Verarbeiter oder sind sie nur Kostentreiber?

Hegner – Transparenz und Nachvollziehbarkeit sind nicht nur ein hohes Gut im wissenschaftlichen oder ingenieurtechnischen Sinne, sondern tragen enorm zur Imagebildung von modernen Bauprodukten bei. Die Ansprüche von Bauherren und Nutzern, die immer konsequenter Nachhaltigkeitsanforderungen nachgehen, schlägt sich hier auf Hersteller und Lieferanten durch. Sie stehen in der Pflicht, nicht nur umweltrelevante Daten zu liefern, sondern auch die Qualität ihrer Produkte in diesem Sinne weiter zu verbessern.

Glaswelt – Werden bei Bundesgebäuden in Ausschreibungen nur noch Produkte verlangt, die über eine EPD verfügen, und wenn ja, kann dies wirklich bereits 1:1 in der Praxis umgesetzt werden? Wie viele Bundesgebäude sind aktuell bereits betroffen?

Hegner – Der Bund, aber auch private Zertifizierer wie die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen stellen keine Verpflichtung zur Vorlage von EPDs. Sind keine Umweltdeklarationen vorhanden, müssen Planer auf entsprechende Datenbanken ausweichen. Derartige Daten, wie beispielsweise in der sogenannten Ökobau.dat des Bundes, liegen auf der sicheren Seite. Die Verwendung von konkreten EPD-Daten ist nicht nur näher an der Praxis, sondern führt auch zu richtigeren und günstigeren Ergebnissen.

Von großen Branchen, wie der Glas- und Fensterindustrie, kann man durchaus erwarten, dass hier zumindest sogenannte Branchen-EPDs vorgelegt werden.

Seit 2012 werden alle zivilen Bundesneubauten und seit 2013 auch die Modernisierungsvorhaben des Bundes nach dem Leitfaden Nachhaltiges Bauen geprüft. Die Anwendungszahl ist noch relativ gering, wird jedoch stetig steigen. Hinzu kommt, dass auch Länder und Kommunen beginnen, das System anzuwenden.

Darüber hinaus hat die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen viele hundert Anwendungsfälle in der Zertifizierung. Die Wohnungswirtschaft hat sich mit Unterstützung des BMVBS ein eigenes Nachhaltigkeitsbewertungssystem entwickelt und bietet über den Verein zur Förderung des Nachhaltigen Wohnungsbaus (NaWoh) Zertifikate an ( https://www.nawoh.de/ ). Auch dieser Sektor wird sich in den folgenden Jahren deutlich ausweiten.

Glaswelt – Nicht jeder Verarbeiter baut an öffentlichen Gebäuden mit. Wie lange, schätzen Sie, dauert es, bis sich die Einführung von EPDs bundesweit und flächendeckend durchsetzten wird?

Hegner – Die Entwicklung ist unumkehrbar. Ihre Geschwindigkeit kann man schlecht abschätzen. Die Zertifizierung der Nachhaltigkeit bleibt außerhalb des Bundesbaus eine freiwillige Entscheidung von öffentlichen und privaten Bauherren. Die Nachfrage danach steigt aber. ­—

Die Fragen stellte Matthias Rehberger, der Chefredakteur der GLASWELT.

Hans-Dieter Hegner

Der Bauingenieur Hans-Dieter Hegner ist Ministerialrat im Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS). Dort ist er seit 2007 Leiter des Referats B 13 „Bauingenieurwesen, Nachhaltiges Bauen, Bauforschung“.

http://www.bmvbs.de

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