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Interview mit Rainer Ehle

Es gibt keinen Norm-Einbrecher

Glaswelt – Laut aktueller Statistik der Kölner Studie steigt die Zahl der Einbrüche an. Wo sehen Sie derzeit Schwachstellen in der Gebäudehülle?

Rainer Ehle 

 Leider ist die Anzahl der Einbrüche gemäß der Kölner Studie kontinuierlich gestiegen. Dies gilt zwar erst einmal nur für Köln und Leverkusen. Eigene Gespräche mit der Polizei bestätigen allerdings diesen Trend auch für andere Städte. Die Schwachpunkte in der Gebäudehülle sind eigentlich bestens bekannt. Sie haben sich über die Jahre nicht viel geändert. Nach wie vor sind die Balkon-/Terrassentüren und die Fenster die erste Wahl für Einbrecher. Bei Einfamilienhäusern sind es rund 80 Prozent aller Einbrüche, die darüber verübt werden. Diese Einstiegsstellen liegen meistens in schlecht einsehbaren Bereichen des Gebäudes und lassen sich in vielen Fällen durch einfache Hebelwerkzeuge leicht überwinden.

Bei Mehrfamilienhäusern wählen circa 47 Prozent der Einbrecher die Wohnungsabschlusstür. Diese Türen sind bei Mietwohnungen oft nur durch ein einfaches Hauptschloss gesichert. Gepaart mit einem leichten Türblatt, ist das kein großes Hindernis für den geübten Einbrecher.

Glaswelt – Prüfungen von Fenstern und Beschlägen für die Sicherheits-Klassifizierung erfolgen meist über Einzelprüfungen. Warum eigentlich? Kein Einbrecher richtet sich nach der Norm.

Ehle – Es wäre schön, wenn sich die Einbrecher nach einer Norm richten würden. Tatsächlich tun sie es aber nicht, wie wir wissen. Dennoch müssen wir uns, unter Berücksichtigung unserer Erfahrungen, für eine gemeinsame Prüfspezifikation (Prüfnorm) entscheiden. Ansonsten wären die Prüfungen und Klassifizierungen nicht vergleichbar. Jeder Fenster- bzw. Türentyp ist eine individuelle Kombination der Einzelkomponenten. Der stärkste Beschlag kann seinen Dienst nicht verrichten, wenn er an eine schwache Basis (z. B. dem Profil) geschraubt wird. Aus diesem Grund wird immer das individuelle ganzheitliche Element betrachtet und geprüft. Abgeleitet von dem geprüften Element sind aber dennoch weitere Varianten mit dieser Prüfung abgedeckt. Die Norm lässt z. B. Größenänderungen in Breite und Höhe von - 10 und + 20 Prozent zu. Weitere Größenvarianten können oft auch durch eine gutachtliche Stellungnahme in das Prüfzeugnis aufgenommen werden. Schwierig wird es beim Austausch des Profils oder der Beschläge. Bei diesen Änderungen sind nicht immer, aber doch häufig, Nachprüfungen nötig.

Glaswelt – Wenn nach unterschiedlichen (Einzel-)Normen geprüft wird, finden dabei weitere relevante Normen Berücksichtigung, z. B. die Befestigung in der Wand (Stichwort hocheffiziente Mauerwerksteine mit nur 0,4 kN Auszugskraft)? Und wenn nein, warum nicht?

Ehle – Die Normenreihe EN 1627 bis EN 1630 ist sehr umfangreich und enthält daher viele wichtige Informationen, die sich auf die eingesetzten Bauelemente beziehen. Speziell in der EN 1627 gibt es eine Vielzahl von Hinweisen, Zuordnungen und Verweisen zu angrenzenden Normen. Es lohnt sich mal in der Norm zu blättern und sich die Tabellen und Hinweise anzuschauen. Wenn Sie Mauerwerksteine ansprechen, dann muss ich Sie z. B. auf die Tabelle NA.2 in der EN 1627 aufmerksam machen. Diese Tabelle beschreibt die „Zuordnung der Widerstandsklassen von einbruchhemmenden Bauteilen zu Massivwänden“ basierend auf DIN 1053-1. Auf den folgenden Seiten sind noch Hinweise zu Porenbetonwänden und Holztafelwänden zu finden; weitere Tabellen geben Auskunft über die Klassifizierungen und Zuordnungen von Beschlägen, usw.

Sie sehen, die Normenreihe bietet sehr viel Unterstützung für die Auswahl der Komponenten und die Montage der einbruchhemmenden Elemente.

Glaswelt – Wann werden Sicherheitsprüfungen nur noch im Komplettsystem (Fenster, Wandanschluss, inklusive Rollladen/Sonnenschutz) erfolgen, und wie sind Sie darauf vorbereitet?

Ehle – Für das Prüfinstitut Velbert würde das keine besondere Vorbereitung bedeuten. Die Frage ist nur, ob es Sinn machen würde, grundsätzlich nur noch mit Wandanschluss, Rollladen, Sonnenschutz etc., also im Komplettsystem zu prüfen. Je mehr Parameter hinzukommen, desto spezieller bzw. individueller ist der Prüfaufbau. Eine Übertragbarkeit auf andere Systeme ist immer schlechter realisierbar. Die Anzahl der Prüfungen würde dann deutlich ansteigen, weil der geprüfte Aufbau in der Kombination wahrscheinlich nicht häufig gewünscht wird. Die Prüfergebnisse müssten sofort in Frage gestellt werden, wenn z. B. der Wandanschluss oder die Rollläden geändert werden. Darüber hinaus würden die Prüfungen auch deutlich teurer werden, da alleine schon die Probekörper aufwendiger werden.

Die Systematik, die heute angewendet wird, d. h. ein Fenster oder eine Tür isoliert zu betrachten, hat aus meiner Sicht erst einmal viele Vorteile. In den meisten Fällen ist das bloße Fenster oder die bloße Tür das Angriffsziel, das sich dem Angreifer darbietet. Rollläden sind über Tag meistens eingefahren und würden in den üblichen Ausführungen kein besonderes zusätzliches Hindernis darstellen. Der Wandanschluss als Angriffsziel ist in der Kölner Studie nicht einmal erwähnt, d. h. von den Tätern werden diese Bereiche nicht als Schwachstelle angesehen. Man konzentriert sich bei den Prüfungen auf das Wesentliche. Das spart Aufwand und Kosten. —

Die Fragen stellte Matthias Rehberger, der Chefredakteur der GLASWELT.

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