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Investitionsgrund Flexibilität

_ Nein, der Aufbau auf obigem Bild ist kein Nahverkehrszug – auch wenn es auf den ersten Blick so aussieht. Die neue Produktionsanlage der St. Galler Klarer Fenster AG ist räumlich schwer zu überblicken, weil sie erstens sehr komplex angeordnet ist und zweitens genau in den frisch ausgebauten Produktionsraum hineinpasst. In der 13,5 x 42 m langen Halle bleibt kaum ein Schritt Freiraum um die neue Weinig-Anlage aus der Conturex-Reihe.

Fenster produziert die Firma Klarer schon länger: Für Privatkunden, Architekten und als Zulieferer auch für andere Schreiner. „Bereits 1895 wurde der Betrieb gegründet, damals allerdings war das Unternehmen noch in einem anderen Familienbesitz“, sagt Co-Geschäftsführer Ludwig Klarer. 1979 ist Vater Josef Klarer als Projektleiter in den damaligen Fensterbetrieb eingetreten und hat das Unternehmen 16 Jahre später übernommen. Die beiden Söhne Ludwig und Josef Klarer Junior führen heute den Betrieb und auch die nächste Generation steht mit Adrian Klarer bereit.

Organisatorisch ist die Unternehmenszukunft also gesichert – was eine Anlageninvestition rechtfertige.

Eigentlich war der Betrieb technisch auch bisher schon sehr gut aufgestellt. Mit der 22-jährigen verketteten Durchlaufanlage von SCM hat man sehr flexibel und effizient produziert. Die Produktionskette bestand aus einem Vierseiter, einer Zwei-Wellen-Schlitzanlage mit Teiledrehung, einer Bohranlage für Setzholz- und Kämpfer-Dübel, einer Längsprofiliereinheit und einer eingebundenen Schleifmaschine. Zum Umfahren der Flügel stand ein Umfälzautomat mit Eintauch- und Gegenlauffräser zur Verfügung.

Flexibilität als Investitionsargument

Schon die alte Anlage war so ausgelegt, dass sie nur von einer Person bedient wurde. Doch was bewegte die Klarer Fenster AG zur Investition? „Die alte Anlage war uns einfach zu wenig flexibel“, erläutert Klarer. Es habe immer wieder viel Aufwand bereitet, die Anlage auf neue Rahmen- und Flügelprofile anzupassen – obwohl man durch die Auslegung mit zwei Hauptspindeln zum Schlitzen der Fensterfriese bereits einigermaßen flexibel gewesen sei. Die Bearbeitung von immer dickeren Werkstücken (=Bautiefen der Fenster) erfordere zudem entsprechend großformatige Schlitz- und Profilwerkzeuge. Wer seine Werkzeuge in millimetergenaue Zonen auf der Spindel unterbringen muss, gerät schnell an die Grenzen der Auslegung seiner Maschine: Entweder man beschränkt sich auf die vorgegebene Zonen, oder splittet die Bearbeitung von noch dickeren Friesen auf mehrere Durchgänge auf. Beides macht kaum Sinn, schränkt die Möglichkeiten ein, oder verlangsamt die Produktion. Platzprobleme auf den Spindeln war also einer der Hauptgründe für die Neukonzipierung. Kein Grund war hingegen die Produktionskapazität: Der Ausstoß an der alten Anlage entsprach in etwa dem der jetzt neu konzipierten Produktionslinie.

Wenn die Elektronik streikt, geht nichts mehr

Als weiteren Investitionsgrund nennt Klarer das Alter der bestehenden Einrichtung. Klarer: „Nach 22 Betriebsjahren muss man sich schon überlegen, wie lange eine Anlage wohl noch zuverlässig funktionieren wird.“ Man wollte agieren, bevor es zu größeren Betriebsausfällen kommt. Zu Recht: Problematisch an so komplexen Anlagen ist nicht nur der mechanische Teil, sondern vor allem auch die Steuerung. Fallen einzelne Funktionen aus, kann es schnell zu unlösbaren Problemen kommen. „In der Steuerung auf einer Steckplatte einen schwachen Kontakt zu lokalisieren, ist buchstäblich die Suche nach der Nadel im Heuhaufen“, sagt Elektronik-Ingenieur Bruno Wildi vom Industrieelektronik-Entwickler Pilz AG. Zudem seien Standard-Elektronikkomponenten aus dieser Zeit nur noch schwer zu beschaffen – Spezialanfertigungen sowieso nicht. Der Ersatz einer Anlage kann also auch dann schon angezeigt sein, wenn die mechanischen Komponenten noch „gut in Schuss“ sind.

Bewährte Technologie

Der Aufbau der neuen Anlage basiert im Kern auf der bewährten Conturex-Technologie von Weinig. Auf einer 35 m langen Bearbeitungsstrecke werden die Fensterteile an drei CNC-Portalen vorbeigeführt, die darauf laufenden Fräsaggregate sorgen für eine Rundum-Bearbeitung an den Hölzern. Die eigentliche Bearbeitung der Holzteile beginnt aber bei einem Zufuhrlager, welches sechs Sechsmeter-Kanteln aufnehmen kann und diese automatisch zu einem Kappaggregat fördert. Das Opticut S 60 Zuschnittzentrum längt die Fensterteile längenoptimiert auf Rohmaß ab. Dann durchlaufen die Teile eine Vierseitenhobelmaschine mit sechs Wellen, wovon zwei Wellen stehend und vier Wellen liegend angeordnet sind. Die senkrecht angeordneten Wellen sind konventionell bestückt, eine davon ist zusätzlich zum Vorfräsen des Glasfalzes beim Holz-Metall-Fenster eingerichtet.

Japanischer Finish

Von den liegenden Wellen sind zwei zum Vorhobeln der Flächen konzipiert. Zwei weitere Wellen sind mit Feinsthobelmesser des japanischen Werkzeugherstellers Kanefusa bestückt.

Die Schneiden dieser zwei Hobelköpfe sind mit einer Hartschicht versehen, welche einen sehr spitzen Schnittwinkel zulässt. Die dadurch erreichte Oberflächenqualität am Werkstück ist sehr hochwertig, sodass an den Sichtflächen kein Längsschliff mehr notwendig ist.

Der Flächenfinish erfolgt über ein Planschleifaggregat in der Linie. Längs geschliffen wird aber noch in der Bearbeitungslinie selber: Die Glaswange am Holz-Metall-Flügel wird direkt auf dem letzten der drei Portalen mit einem CNC-Schleifaggregat auf beschichtungsfähiges Niveau gebracht.

Fitschband-Schlitz im Durchlauf

Das für Spezialanwendungen reservierte Portal ist mit einer Universalspindel bestückt, welche neben dem Wangenschliff auch die Markierung der Klipsverschraubung sowie das Fräsen von Simsnuten übernimmt. Hier ist aber auch ein ganz spezielles Aggregat installiert, welches sehr direkt mit der Marktausrichtung der Klarer Fenster AG zu tun hat: Mit einem Schwingmeißelstemmer lassen sich CNC-gesteuert die Schlitze für Fitschbänder erstellen. Alle systemrelevanten Bohrungen inklusive Markierung der Beschlagsbefestigung erfolgen auf einem Bohrautomat vor der Profilierung der Holzteile, also zwischen Vierseiter und Frässtraße.

Nach der Profilierung erfolgt die Austragung in ein Zwischenlager. Dort kontrolliert der Maschinist die Qualität der fertigen Teile. Gibt er das Stück zur weiteren Verwendung frei, erfolgt der Etikettenausdruck und das Teil wird beschriftet in einem Hordenwagen deponiert. Genügt ein Werkteil der strengen Beurteilung nicht, erfolgt die automatische Nachfertigung. Die Steuerung kontrolliert laufend Position und Arbeitsfortschritt an jedem einzelnen Teil. So können sich jederzeit dutzende Teile unbeschriftet im Produktionsprozess und in den Pufferlagern befinden, ohne das ein Durcheinander entsteht. „Wir können die Bearbeitungsqualität statistisch auswerten und gezielt eingreifen, wenn es in einem Bereich Probleme gibt“, weiß Ludwig Klarer.

Platz für 600 Werkzeuge

Über die statistische Auswertung der Fertigung kann man die Wechselintervalle für Schneiden definieren und so die Verbrauchsmaterialien gezielt nach einer vordefinierten Bearbeitungsstrecke auswechseln. Klarer: „Während der Probephase werden wir die Schneiden nach visuellen Kriterien auswechseln, also erst dann, wenn bei der Endkontrolle ein Abfall der Bearbeitungsqualität erkennbar ist.“ Zu erkennen, welches Werkzeug für welche Fläche eingesetzt wurde, ist sehr schwierig und braucht eine gute Übersicht. Bei momentan 96 einsatzbereiten HSK-Spindeln, die mit je drei bis vier Werkzeugen belegt sind, dürfte das recht schwierig sein.

Im Endausbau könnte die Anlage noch sehr viel flexibler werden. Bis zu 220 HSK-Spindeln mit maximal drei bis vier Werkzeugen und 24 kg pro Einheit lassen sich auf dem Linearwechsler hinter der 35 m-Frässtrecke platzieren. Die einzelnen Bearbeitungssequenzen müssen aber sehr sorgfältig aufeinander abgestimmt sein. „Mit der Tiefe der Fertigung leidet immer die Kapazität“, sagt Klarer. Darum seien auch die Zwischenlager extrem wichtig. Denn die Bearbeitung in den einzelnen Bereichen brauche nicht bei jedem Fenstersystem die gleiche Zeit. „Die aufwendigste Bearbeitung kann so die restlichen Stationen bremsen. Man muss also für möglichst ausgeglichene Bearbeitungszeiten in den Bereichen sorgen.“

(Zu) große Versprechen

Die Erarbeitung des Produktionskonzepts hat viel Zeit benötigt. „Von der ersten Idee bis zur Inbetriebnahme der Anlage sind rund drei Jahre ins Land gezogen“, berichtet Klarer. Zuerst hätten sie etwa ein Jahr lang selber geplant, die herzustellende Produktpalette inklusive Längen und Formate der Teile definiert und sich nach geeigneten Produktionskonzepten umgeschaut, die dazu in der Lage zu sein schienen. Im Rennen waren neben den deutschen Anbietern auch einige Italienische Anlagenbauer. Als Knackpunkt stellte sich aber bei den meisten Konzepten die Produktionsmenge heraus. In diesem Bereich klafft wohl bei einigen eine Lücke zwischen versprochener und realisierter Leistung.

Schließlich holten Klarers mit der Firma Tre Innova ausgewiesene Spezialisten an Bord. Fensterspezialist Linus Oehen erstellte aufgrund der Produktionsziele ein Pflichtenheft. Mit der Evaluation der Anlage stellten sich schon bald Fragen, wie die nach der Produktion in der Umbauphase oder die Einpassung der neuen Anlage in die Infrastruktur der Produktionshallen. Klarer: „Dass wir ein so großes Projekt nur angehen, wenn die Produktion unterbrechungsfrei an anderer Stelle erfolgen kann, war für uns von Anfang an klar.“ So hat man im hinteren Teil der Lagerhallen einen neuen Bereich geschaffen, in dem die neue Anlage räumlich unabhängig von der bestehenden aufgebaut werden konnte. Doch zuerst galt es, den Boden zu verstärken und Außenwände zu dämmen, denn für die neue Anlage musste das ehemalige Holzlager mit einbezogen werden. —

https://www.klarer.ch/

https://www.treinnova.ch/

https://www.weinig.com/de/ Halle 3, Stand 416

Stephan Wildi

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