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Die Fertigung muss fließen

_ In vielen Unternehmen werden regelmäßig Maßnahmen zur Verbesserung ihrer Qualität umgesetzt. Trotzdem stagniert in fast jeder Firma das Qualitätsniveau nach einer gewissen Zeit. Dieses Phänomen und weitere Verbesserungsaspekte beleuchtet der japanische Produktionsspezialist für die GLASWELT Leser auf Basis einer Veröffentlichung in „Roto Inside“.

GLASWELT – Woran liegt es, wenn in Unternehmen – trotz vielfältiger Verbesserungsansätze und Maßnahmen – die Qualität stagniert, was sind die Ursachen hierfür?

Hitoshi Takeda – In vielen Produktionen werden Aktivitäten zur Qualitätsverbesserung nur dann in Angriff genommen, wenn das Qualitätsniveau des fertigen Produkts oder das Kunden-Feedback zu bestimmten Prozessen als problematisch eingestuft wird. Nehmen wir etwa den Anlauf eines Neuprodukts. Durch zusätzliche Prüfungen verbessert sich die Qualität zu Beginn sehr stark, verfestigt sich dann mit der Zeit auf einem gewissen Niveau und verändert sich kaum noch.

Um die Qualität in den Fertigungsprozessen stetig zu verbessern, reicht es nicht aus, diese durch abschließende Prüfungen zu sichern. Es müssen stets die Ursachen offenkundiger Schwächen oder Schäden auf jeder Stufe der Produktion eliminiert werden. Nur so kann dauerhaft Qualität erzeugt werden.

GLASWELT – Wie muss Ihrer Meinung nach eine Fertigung aufgebaut und organisiert sein, um Qualität zu erzeugen?

Takeda – Um diese zu erzeugen, reicht es nicht aus, dass ein Produkt in der Fertigung Schritt für Schritt vervollständigt und erst am Ende geprüft, gegebenenfalls nachgearbeitet wird. Vielmehr ist es notwendig, dass jeder Schritt im Prozess im Sinne der Gutteilerzeugung gesteuert wird und nur einwandfreie Produkte in den nachfolgenden Prozessschritt weitergegeben werden. Dafür müssen Fehler erfasst und zeitnah Maßnahmen zu ihrer Beseitigung umgesetzt werden.

GLASWELT – Wie sieht eine Umsetzung in der Praxis aus?

Takeda – Hilfreich ist beispielsweise die Einführung eines Qualitätstisches. An diesem Tisch werden fehlerhafte Teile aus dem gesamten Fertigungsprozess gesammelt. Ein Team analysiert die Fehler und definiert Maßnahmen, die ein Wiederauftreten verhindern. Wichtig ist dabei die Integration von Mitarbeitern aus mehreren Fertigungsstufen, da Fehler meist auf mehreren Produktionsstufen sichtbar werden.

Die Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen wird z. B. durch die Produktionsleitung wöchentlich kontrolliert. In der Roto Dachfensterfertigung wird das schon sehr konsequent umgesetzt. Die erzielten Qualitätsverbesserungen sprechen für sich. Und das Lean Team des Herstellers Roto unterstützt bereits erfolgreich auch andere Fensterhersteller bei der Umsetzung eines erstklassigen Qualitätsmanagements.

GLASWELT – Was ist bei der Umsetzung aller Maßnahmen zu beachten?

Takeda – Wichtig ist neben einer schnellen Umsetzung der Maßnahmen auch die Messung ihrer Wirksamkeit, sonst sind alle Verbesserungsvorschläge vergebens und die Motivation der Mitarbeiter sinkt. Bei der Umsetzung der Maßnahmen sollte man sich auch nicht von eventuellen weiteren Problemen abschrecken lassen. Meine Devise ist immer: „Erst an einer Stelle den Prozess verbessern, beobachten und analysieren und dann darüber nachdenken, wie die nächsten Probleme gelöst werden können“.

GLASWELT – Sie haben eben das „Roto Lean“-Team angesprochen, das Fenster- und Türenhersteller berät. Was verstehen Sie unter Lean?

Takeda – Der Begriff Lean, beziehungsweise das Lean Management, beschreibt vor allem eine Denkweise und eine persönliche Haltung aller Menschen in einem Unternehmen. Natürlich gibt es inzwischen sehr bewährte Methoden der Produktionssteuerung, die mit dem Begriff Lean verbunden sind und die man einfach beschreiben könnte. Das sind Methoden, die zur Reduzierung von Verschwendung im Unternehmen dienen sowie zur Verbesserung von Durchlaufzeiten und Qualität. Aber viel wichtiger ist es mir, immer wieder zu unterstreichen: Es geht um die Menschen und ihre Einstellung. Nur die Mitarbeiter können dafür sorgen, dass ein Unternehmen mit höchster Effizienz genau die Leistungsmerkmale entwickelt, die vom Kunden als nutzenstiftend und kaufentscheidend angesehen werden.

GLASWELT – Wann hat ein Unternehmen Ihrer Meinung nach die besten Chancen, Lean Management erfolgreich umzusetzen?

Takeda – Ohne eine überzeugte und umsetzungswillige Geschäftsführung funktioniert es nicht. Nur wenn sich die Firmenspitze direkt beteiligt und hinter der Philosophie steht, kann Lean erfolgreich umgesetzt werden. Lean ist kein Projekt, das man hinter sich bringt. Lean ist eine Denkweise, die ständig im Unternehmen vorgelebt und bei allen trainiert werden muss. Das Wissen jedes Einzelnen in der Firma um die vielen Möglichkeiten zur Verbesserung im Detail wird gebraucht.

GLASWELT – Welchen Einfluss haben Mitarbeiter auf den Erfolg?

Takeda – Den wirklich entscheidenden. Toyota hat sich als Pionier der Lean Fertigung vergegenwärtigt: Wir bauen keine Autos, sondern entwickeln Mitarbeiter, die die besten Autos bauen wollen. Um ihr Ergebnis zu verbessern und ihren Erfolg zu sichern, wollen viele Unternehmer zuerst die Produktivität ihrer Maschinen steigern oder einfach neue kaufen.

GLASWELT – Reicht das nicht schon aus?

Takeda – Nein. Um die Stückkosten zu reduzieren ist es mindestens ebenso notwendig und förderlich, das Mitdenken und die Eigenverantwortung der Mitarbeiter zu fördern. Es nützt wenig, wenn nur eine einzelne Maschine schnell arbeitet. Die Produktivität wird nur dann deutlich gesteigert, wenn die ganze Fertigung im Fluss ist und nirgendwo Zeit verschwendet wird. Und die Mitarbeiter wissen selbst am besten, wo sie unnötig Zeit verlieren. Die meisten von ihnen wollen ja produktiv und erfolgreich sein. Man muss nur die Rahmenbedingungen dafür schaffen als Führungskraft. Das ist die vielleicht wichtigste Erkenntnis aus den unzähligen Lean Projekten, die ich mitgestalten durfte.

GLASWELT – Eine Fertigung im Fluss bildet die Basis für Lean. Was verstehen Sie darunter?

Takeda – Fertigung im Fluss heißt, dass alle Teile und Produkte ohne Unterbrechung, also ohne Zwischenlagerung in einem Fluss an die nächste Fertigungsstation weitergegeben und dort sofort weiterverarbeitet werden. Das spart das Einlagern und Bewegen von Teilen, vermeidet Such- und Wegezeiten im Unternehmen. An einigen wenigen Stellen in einer Produktion werden standardisierte Materialpuffer benötigt, aber grundsätzlich sollten diese vermieden werden. Wie das praktisch aussieht, kann man am Beispiel der Roto Wohndachfensterfertigung in Bad Mergentheim sehr gut umgesetzt sehen.

GLASWELT – Was sind nach Ihrer Erfahrung die Ursachen, warum eine Fertigung im Fluss nicht erreicht wird?

Takeda – Häufig gibt es zu viele Unterbrechungen im Fertigungsablauf, da an irgendeiner Stelle Material schneller produziert wird als unmittelbar weiterverarbeitet werden kann. Oft findet auch keine klare Trennung zwischen Fertigungs- und Logistiktätigkeiten statt. Das heißt, dass Mitarbeiter ihre Arbeit im Produktionsprozess unterbrechen, um Material zu holen und weiterzutransportieren. Eine große Herausforderung, insbesondere in der variantenreichen Fertigung, die bewältigt werden muss ist, Arbeitsinhalte so zu organisieren und zu steuern, dass ein kontinuierlicher Fluss überhaupt möglich wird.

GLASWELT – Warum versuchen viele Firmen nicht die angesprochene Fertigung im Fluss umzusetzen sowie weitere Lean Prinzipien?

Takeda – Es gibt heute bereits viele Firmen, die Lean Prinzipien umsetzen und sehr profitabel sind. Dennoch gibt es in allen Branchen weltweit auch immer noch Unternehmen, die es nicht machen. Dafür gibt es mehrere Gründe. Zwar werden die Prinzipien verstanden, aber für die Umsetzung im eigenen Unternehmen fehlt in letzter Konsequenz der Wille – vor allem bei den Führungskräften. Diese müssen ein neues Führungsverhalten erlernen. Sie müssen lernen, sich als Förderer und Motivator ihrer Belegschaft, nicht als Einzelkämpfer im Kampf gegen Verschwendung von Zeit und Material zu verstehen.

Oft wird den Mitarbeitern auch zu wenig Zeit dafür eingeräumt, Verbesserungen in der Fertigung zu entwickeln und umzusetzen. Ursache ist ein eher kurzfristiges Denken im Management und die fehlende Vorstellungskraft, wie groß die Einsparpotenziale und Möglichkeiten zur Produktivitätssteigerung in fast jeder Firma sind.

GLASWELT – Würden Sie sich ein Umdenken wünschen?

Takeda – Bei einigen Unternehmern und Managern auf jeden Fall. Denn es kann in der Tat deutlich lohnender sein, einen sachkundigen Mitarbeiter damit zu beauftragen, auf die Suche nach Verschwendungen und besseren Prozessen zu gehen, als etwa eine neue Maschine zu kaufen. Vor allem aber würde ich mir wünschen, dass die Führungskräfte den gesamten Fertigungsprozess in ihrem Unternehmen unter dem Gesichtspunkt Kundennutzen betrachten. Immer wieder und fast schon ritualisiert.

Ihr Fokus darf nicht nur auf dem Tagesgeschäft, auf Einkauf und Verkauf liegen. Führungskräfte sind dazu da, eine Kultur permanenter Verbesserungsprozesse zu etablieren. Verstehen Sie mich nicht falsch: Die genannten Punkte gehören natürlich auch zu einer erfolgreichen Unternehmensführung, aber Gewinn gesteigert und Qualität verbessert wird meist durch den Blick fürs Detail und den festen Willen, tagtäglich besser und effizienter zu werden.

GLASWELT – Sagen Sie uns bitte noch, was Sie unter Qualität verstehen?

Takeda – Der Begriff Qualität wird heute vielfältig angewandt und hat sich auch mit der Zeit verändert. Einerlei aber, was die Qualität eines Produktes bestimmt, eines ist sicher: Die Qualität oder der praktische Nutzen von Produkten oder Dienstleistungen werden letztendlich durch den Kunden beurteilt, nicht durch den Verkäufer bzw. Produzenten.—

Foto: Roto

Buchtipp

So sparen Sie mit Umweltschutz Geld

Die Autoren des Fachbuchs „Ressourceneffizienz in der Produktion – Kosten senken durch Cleaner Production“ gehen der Frage nach, ob und wie sich in der Fertigung mit Umweltschutzmaßnahmen auch Geld einsparen lässt.

Um die Antwort vorwegzunehmen: Ja. Die Autoren zeigen auf, wie Firmen ihre Ressourcen mit umweltschonenden Verfahren effizienter einsetzen. Das ist möglich, wenn der Hebel bei Energie, Abwasser und Abfall an der Quelle angesetzt wird, denn weniger Abfälle und Emissionen sparen Geld für den Einkauf von Rohstoffen und Energie ein und senken die Abfallkosten bzw. die Kosten für dessen Beseitigung. Durch die richtige Kombination von Analysetechniken, teamorientierter Arbeitsweise und den Prinzipien des vorsorgenden Umweltschutzes, lassen sich nach Auskunft der Verfasser deutlich Kosten senken.

Der Autor Johannes Fresner hat mit über 200 Betrieben weltweit zusammengearbeitet und Programme zur Steigerung der Effizienz bei der Nutzung von Energie, Wasser und Rohstoffen durchgeführt und gibt in seinem neu aufgelegten Buch diese Praxiserfahrungen wieder.

http://www.symposion.de

Hitoshi Takeda

Der studierte Maschinenbauer war viele Jahre für einen großen Automobilzulieferer tätig. Dort war er in den Bereichen Fertigungssteuerung und -technik, Lieferantenabwicklung sowie im „Promotion Office“ für den Kaizen-Prozess tätig. 1990 gründete er die SPS Management Consultants und machte sich damit als Berater selbstständig. Er betreut in Japan, Korea und Europa (Schwerpunkt Deutschland) Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen.   https://takedasps.de/

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