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Kommentar zur neuen Glasbemessungsnorm DIN 18008 (Teil 01)

Wer großzügig plant, wird belohnt

_ Vieles bleibt, manches ändert sich –und das teils gravierend. Linienförmig gelagerte Verglasungen wurden bisher nach der technischen Regel TRLV konstruiert und bemessen. Zukünftig wird dies nach DIN 18008-2 erfolgen. Dieser Normenteil enthält die Konstruktionsvorgaben für Horizontal- und Vertikalverglasungen sowie das Rechenverfahren für die Klimalasten und die Lastverteilung. Der Nachweis der Tragsicherheit ist nach DIN 18008-1 zu führen, darauf wird nach einigen Anmerkungen zu den Konstruktionsvorgaben näher eingegangen.

Konstruktionsvorgaben weitgehend unverändert

Die Konstruktionsvorgaben der TRLV, d. h. die vorgeschriebenen Glasarten, zulässigen Stützweiten, PVB-Mindestfoliendicken etc., wurden weitgehend unverändert in die Norm übernommen. Diesbezüglich wird der Umstieg also leicht fallen, insbesondere da sich die TRLV-Vorgaben inkl. der Nachweiserleichterung für Vertikalverglasungen teils wortgleich in der Norm wiederfinden.

Neu hinzu gekommen bei Horizontalverglasungen ist, dass nun auch Bohrungen und Ausschnitte zulässig sind, sofern nachgewiesen ist, dass die Resttragfähigkeit nicht beeinträchtigt wird. Außerdem sind in Verbindung mit DIN 18008-3 bei Horizontal- und Vertikalverglasungen nun auch Kombinationen aus linien- und punktförmiger Lagerung zulässig.

Einige Konstruktionsgrenzwerte, wie die zulässige Glasdurchbiegung, wurden geändert und teils vereinfacht. Diese Änderungen sind zu beachten, da sie bemessungsrelevant sein können (siehe Tabelle).

Neues Sicherheitskonzept

Die wichtigste Änderung ist, dass mit DIN 18008 nun das Sicherheitskonzept der Teilsicherheits-beiwerte auch bei der Glasbemessung eingeführt wird. Seit Jahren wird es bereits in vielen anderen Gewerken, z. B. dem Stahlbau, angewandt. DIN 18008-1 enthält noch einen entsprechenden Verweis auf DIN 1055-100, die mittlerweile zurückgezogen und durch DIN EN 1990 + NA ersetzt wurde.

Statt mit einem einzigen globalen Sicherheitsbeiwert, der nach TRLV bereits in die zulässigen Biegezugspannungen der TRLV-Tabelle 2 eingerechnet ist, wird nun mit diversen Sicherheits- und Kombinationsbeiwerten und gerechnet. Diese Beiwerte wirken beim Nachweis auf der Lastseite lasterhöhend und belastbarkeitsmindernd auf der Belastbarkeitsseite.

Hinzu kommen auf der Belastbarkeitsseite weitere Konstruktions- und Modifikationsbeiwerte kc, kmod, etc.

Damit lässt sich der Tragwiderstand des Glases Rd je nach Glasart und Lagerung, sowie bei nicht planmäßig thermisch vorgespanntem Glas (Floatglas) auch je nach Lasteinwirkungsdauer, aus dem charakteristischen Wert der Biegezugfestigkeit fk nach folgender Formel berechnen:

Der Berechnungsaufwand ist bei diesem Sicherheitskonzept zwar deutlich höher. Jedoch werden die Berechnungen heutzutage mithilfe von Software durchgeführt, sodass der höhere Aufwand kaum auffällt.

Vorteile bei ESG und TVG, Nachteile bei „Handtuchformaten“

In den meisten Fällen resultieren aus dem neuen Sicherheitskonzept nur geringe, oftmals positive Unterschiede gegenüber einer Bemessung nach TRLV. So ist vertikales Einfachglas aus Floatglas und VSG/Float unter Windlast geringfügig belastbarer als nach TRLV, thermisch vorgespannte Gläser ESG und TVG sind in allen Anwendungen sogar merklich belastbarer. D. h. viele Glasaufbauten, die nach TRLV nachweisbar waren, sind auch nach DIN 18008-2 nachweisbar.

Es gibt jedoch eine Ausnahme: 3-fach-Isoliergläser aus Floatglas oder VSG/Float mit kurzen Kantenlängen unter ca. 0,85 m, bei denen die Klimalast bemessungsrelevant ist (sogenannte „Handtuchformate“).

Derartige Isoliergläser zeigen nach DIN 18008-2 deutlich höhere Spannungsausnutzungen gegenüber Berechnungen nach TRLV und damit Einschränkungen bei den nachweisbaren Abmessungen. Das Bemessungsdiagramm (oben) zeigt den Unterschied am Beispiel eines gängigen Standard-3-fach-Isolierglases aus Floatglas.

Alles im „grünen Bereich“?

Berechnet wurde der Bereich zulässiger, d. h. nachweisbarer Abmessungen für ein vertikales Standard-3-fach-Isolierglas aus Floatglas im Aufbau 4/12/4/12/4. Es ist auf der Außenscheibe belastet durch Winddruck/-sog 0,8 kN/m².

Die Absorption beträgt 30 bis 50 %. Als Ortshöhendifferenz wurden die Standardwerte +600/-300 m gewählt, als max. Glasdurchbiegung a/100. Gerechnet wurde mit branchengeprüfter Glasbemessungssoftware unter Berücksichtigung von Membranspannungen. Im Diagramm rechts zeigt die hellgrüne Fläche die Ergebnisse nach DIN 18008-2 („grüner Bereich“). Die dunkelgrünen Linien markieren die entsprechenden Grenzen des „grünen Bereichs“ nach TRLV. Vernachlässigt man die nachweisbaren Abmessungen mit Kantenlängen kleiner ca. 0,15 m, ist Folgendes festzustellen:

1. Nach DIN 18008-2 sind bis zu ca. 0,20 m breitere oder höhere Formate nachweisbar als nach TRLV (Obergrenze des „grünen Bereichs“).

2. Nach DIN 18008-2 sind Formate mit kurzen Kantenlängen unter ca. 0,70 bis 0,85 m nicht mehr nachweisbar, während nach TRLV der Nachweis noch bis herab zu ca. 0,60 m kurzen Kantenlängen gelingt (Untergrenze des „grünen Bereichs“).

Ähnliche Ergebnisse mit nach DIN 18008-2 noch ungünstigeren (noch größeren) Untergrenzen erhält man, wenn die Witterungs- und Raumscheiben zwecks Absturzsicherung aus VSG/Float bestehen oder wenn asymmetrische Glasdicken vorliegen, wie sie für hohe Schalldämmwerte erforderlich sind.

Das erste Fazit des Autors

Dass DIN 18008-2 und TRLV hinsichtlich der Konstruktionsvorgaben weitgehend identisch sind, macht den Umstieg einfach. Und dass aufgrund des neuen Sicherheitskonzepts nun auch etwas größere Glasformate nachweisbar sind, ist eine schöne Sache. Unschön ist aber, dass damit das Problem „handtuchformatiger“ 3-fach-Isoliergläser nun schon ab ca. 0,85 m kurzer Kantenlänge beginnt. Ein großer Teil derartiger Isoliergläser, z. B. für hochwärmedämmende schmale Fensterflügel, Oberlichter oder Absturzsicherungen, lässt sich unter Norm-Randbedingungen nun nicht mehr nachweisen. Hier sind ortshöhenindividuelle Bemessungen oder vorgespannte Glasarten erforderlich. Nur wer großzügig, d. h. jenseits des „Handtuchformats“ plant, wird von der Norm belohnt.

Eine Diskussion der Ursachen und möglichen Lösungen des Problems der sogenannten „Handtuchformate“ sowie die Bemessungsdiagramme weiterer kritischer Aufbauten folgen im zweiten Teil des Beitrags in GLASWELT 11/2014.—

https://flachglas-markenkreis.de/

Der Autor

Dipl.-Ing. Martin Reick ist seit 2007 als Anwendungstechniker bei der Flachglas MarkenKreis GmbH tätig. Er betreut die Bereiche Sicherheitsglas und konstruktive Glasanwendungen und führt hierzu im Rahmen der GlasAkademie Schulungen durch. Daneben ist er Sprecher des Arbeitskreises Glasbemessung des Bundesverbands Flachglas sowie Autor von Fachveröffentlichungen zu aktuellen Glasthemen.

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