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Interview mit Ulrich Tschorn

“Die Branche hat schon länger vergessen, Mehrwerte zu verkaufen“

Glaswelt – Herr Tschorn, die Isolierglasanbieter sind gefrustet: Gläser würden zwar den Hauptteil der Eigenschaften eines Fensters ausmachen, aber dieser Stellenwert würde sich in der Endkunden-Wertigkeit nicht widerspiegeln. Haben Sie Verständnis für diese Auffassung? Ist der Rahmen tatsächlich (fast) nur zum Öffnen da, wie es Herr Grönegräs formulierte?

Ulrich Tschorn – Das kann flächenbezogen sicher so gesehen werden. Für mich gilt die Frage des wertigen Verkaufens für das ganze Fenster. Die Branche hat schon seit vielen Jahren vergessen „Mehrwerte“ als solche zu verkaufen. Großflächige Verglasungen sind in manchen Gebäuden aktuell in Mode. Der Rahmen gibt die Öffnung und die gestalterische Unterteilung und macht die einfache Glasfläche interessant. Ein Architekt sagte einmal nach einer schlecht ausgeführten Modernisierung: „Die stechen meinen Häusern die Augen aus“ und meinte damit die fehlenden gestalterischen Rahmenanteile. Auch die Themen Automation, Sicherheit, Zugang, etc. sind ein Rahmen- und Beschlagsthema.

Glaswelt – Stimmt es, dass Fensteranbieter gegenüber den Endkunden eher die Rahmeneigenschaften thematisieren bzw. in den Vordergrund stellen und die vielen Optionen beim Glas gar nicht an den Mann und an die Frau bringen?

Tschorn – Mit dem U-Wert hat der Verkäufer doch schon ein Glasthema angesprochen. Ornamentverglasungen, Schallschutz, Sicherheit, … das sind doch alles Themen, die auch das Glas beinhalten und als solche verkauft werden. Selbst Sonnenschutzglas wird verkauft – vielleicht noch nicht als schaltbare Version.

Glaswelt – Warum manifestiert sich der Eindruck, dass diejenigen, die am Verkaufstresen bzw. in der Endkundenberatung stehen, nicht in der Lage sind, das Sonderausstattungs-Potenzial auszuschöpfen oder dieses gar zu verramschen?

Tschorn – Wir haben aufgrund der Vertriebsstruktur und unter schwankendem Preisdruck leider immer wieder Betriebe, die mit „Winteraktionen“ beginnen und diese dann zum Standard erklären. Dies trifft nicht für alle Betriebe zu. Der VFF hat in vielen Veranstaltungen das Thema „Mehrwert“ nach vorne getragen. Aktuell z. B. über das Thema Automation. Der Vergleich zur Autoindustrie ist zwar schwierig, zeigt aber auch eine Veränderung in der „Standardausstattung“. Es gab mal eine Zeit, da war der Sicherheitsgurt noch Sonderausstattung gegen Mehrpreis. Das bedeutet, dass sich Ausstattungen nicht mehr als „Mehrwert“ verkaufen lassen. Der Preisdruck im Fenstermarkt hat leider in den vergangenen Jahren nicht die in der Autoindustrie – oder anderen Produkten – möglichen Produktpreise zugelassen.

Glaswelt – In Ihrer aktuellen Branchenprognose sprechen Sie von stabilen Zuwächsen um drei Prozent für 2015 – gemessen an der Anzahl der tatsächlich eingebauten Fenster. Täuscht diese Aussage nicht darüber hinweg, dass deutsche Hersteller im nächsten Jahr eher mit zurückgehenden Umsätzen konfrontiert sein werden?

Tschorn – Sie sprechen mit dieser Frage den ausländischen Marktanteil im deutschen Fenstermarkt an. Damit haben Sie recht. Aufgrund der wenigen positiven Märkte in Europa stehen wir natürlich überproportional diesem Wettbewerb gegenüber. Hier ist es umso wichtiger, sich noch näher an den Endkunden zu begeben und mit der Individualisierung der angebotenen/verkauften Produkte aus der Vergleichbarkeit zu kommen.

Glaswelt – Haben Sie den Eindruck, dass sich deutsche Fensterbauer auf die globalisierten Märkte mit immer höheren Importanteilen – und gleichwohl auch größeren Exportchancen – eingestellt haben?

Tschorn – Das ist pauschal gar nicht zu beantworten. 55 Prozent der in Deutschland hergestellten Fenster werden über B2B vermarktet. Das ist der einfachste Weg ausländischer Anbieter, in den Markt zu gelangen. Viele der deutschen Hersteller haben gute Kundenbindungen, die nicht am Preis alleine anhängend sind. Das ist zukünftig noch viel wichtiger. Wohin die Entwicklung geht, kann ich heute nicht beurteilen. Vielleicht ist der Vergleich zu den ersten japanischen Autos in Deutschland und der nachfolgenden Entwicklung – bis hin zum Niederlassungskonzept der Autokonzerne – angebracht und eine Zukunftsvision.

Glaswelt – Sie hoffen auf den Aktionsplan für Energie und Klima der Bundesregierung, der am 3. Dezember beschlossen werden soll. Kennen Sie die Details? Werden durch solche Beschlüsse nicht womöglich auch Sanierungsvorhaben einfach nur verschoben, um schließlich an bessere Förderbedingungen zu gelangen?

Tschorn – Es gab im Vorfeld dazu viele Sitzungen in unterschiedlichen Gremien, in denen die Vorschläge vieler Verbände zusammengetragen wurden. Wir sollten den 3. 12. abwarten und nicht vorher spekulieren. Die Politik kennt die Risiken einer langen Vorlaufzeit für Förderungen und wird die sicher vermeiden. Das bedeutet, es wird eine sofortige oder gar rückwirkende Einführung von solchen Maßnahmen diskutiert.—

Die Fragen stellte GLASWELT Chefredakteur Daniel Mund.

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