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Im Interview mit Sven Gábor Jánszky

“Der Headhunter wird jede Woche zweimal klingeln“

Glaswelt – Herr Jánszky, werden wir in der Zukunft in einem Land mit Vollbeschäftigung leben?

Sven Gabor Jánszky – Genau das wird passieren. Die Prognosen sind dabei eindeutig: Der deutsche Arbeitsmarkt verliert in den kommenden zehn Jahren 6,5 Millionen Arbeitskräfte, weil die vielen Babyboomer in Rente gehen und nur die geburtenschwachen Jahrgänge nachrutschen. In der Summe ergibt das über die kommenden Jahre dauerhaft eine nicht zu füllende Lücke an fehlenden Arbeitskräften. Die optimistischen Studien sagen eine Lücke von 2 Millionen voraus, die Pessimisten gehen von 5,2 Millionen aus. Um es einfach zu sagen: Wir werden erleben, dass bei ordentlich ausgebildeten Mitarbeitern jede Woche zweimal der Headhunter klingelt.

Glaswelt – Können dann die Mitarbeiter ihre Einstellungsbedingungen diktieren? Müssen Unternehmer mit einem deutlichen Lohnanstieg rechnen?

Jánszky – Das ist für gut ausgebildete Mitarbeiter der „Himmel auf Erden“. Sie bekommen mehr Macht und mehr Geld. Sie können ständig zwischen fünf oder zehn Jobangeboten wählen. Aber für Unternehmen ist das eine Katastrophe. Ihnen droht das, was wir im vergangenen Jahr schon einmal bei einem Stellwerk der Deutschen Bahn in Mainz gesehen haben. Dort haben über drei Wochen die Spezialisten gefehlt. Was war die Folge? Die Züge fuhren an Mainz vorbei. Das Produkt wurde also nicht produziert. Genau das droht in allen Branchen. Wer sich als Unternehmen darauf nicht vorbereitet, für den droht tatsächlich eine Katastrophe.

Glaswelt – Handwerksbetriebe und auch größere Fensterhersteller – also Industriebetriebe – klagen schon jetzt darüber, dass man gute Leute kaum mehr findet, bzw. auch immer schwieriger halten kann. Wie wird sich das in Zukunft darstellen?

Jánszky – Was wir heute erleben ist im Vergleich zu den kommenden Zuständen noch ein Paradies. Für die kommenden zehn Jahre gehe ich davon aus, dass die heute übliche „Anstellung auf Lebenszeit“ auf etwa 30 - 40 Prozent der Gesamtarbeitnehmer zurückgeht. Auf der anderen Seite entstehen etwa 30 - 40 Prozent sogenannte Projektarbeiter. Diese sorgen für einen tiefgreifenden Wandel der Arbeitswelt. Denn die lassen sich nicht auf Lebenszeit anstellen, sondern nur für ein Projekt; also für maximal 2 - 3 Jahre. Danach wechseln die Projektarbeiter zumeist wieder das Unternehmen. Für die Unternehmen wird das eine schwere Situation. Sie werden sich also für eine von zwei grundlegenden Strategien entscheiden müssen. Entweder werden sie zu einem „Fluiden Unternehmen“ oder zu einer „Caring Company“. Ich habe diese beiden Strategien in meinem Buch am Beispiel von zwei Personalleitern des Jahres 2025 beschrieben. Beide leben in unterschiedlichen Welten: Melanie Polenz ist Personalchefin im Mittelstand; Thomas Krüger bei einem Konzern. Beide gehen ganz unterschiedliche Wege, dem Fachkräftemangel zu begegnen und ihren Mitarbeiterbedarf zu sichern.

Glaswelt – Welche verschiedenen Strategien müssen Handwerks- und Industriebetriebe entwickeln, um ihre Personalfragen in der Zukunft zu klären?

Jánszky – Die großen Unternehmen und Konzerne in den Metropolen dieser Welt werden zu sogenannten „fluiden Unternehmen“. Sie werden sehr professionell im „Anziehen“ und „Abstoßen von Projektarbeitern agieren. Ihr Ziel ist nicht mehr die Mitarbeiter zu binden, sondern sie in das lebenslange, persönliche Netzwerk der Führungskräfte aufzunehmen, um immer wieder die Möglichkeit zu haben, den Projektarbeiter für ein Projekt zurückzuholen. Die kleineren und mittelständischen Unternehmen in der Provinz werden dagegen zu Caring Companies. Sie müssen versuchen Bindungen nicht zum Mitarbeiter, sondern in sein soziales Umfeld aufzubauen. Hier werden in meinem Buch unternehmenseigene Pflegedienste für die Eltern der Mitarbeiter, unternehmenseigene Schulen für die Kinder der Mitarbeiter und viele andere Maßnahmen eines Corporate Life beschrieben. Das klingt aus heutiger Sicht manchmal etwas idealistisch. Ist es aber nicht! Es ist für die Unternehmen nüchternes Kalkül: Rechnen Sie sich einfach nur aus, was es kostet 40 Prozent der Mitarbeiter alle drei Jahre in einem leergefegten Arbeitsmarkt neu anwerben zu müssen. Nehmen Sie nur die Hälfte dieses Geldes und Sie werden ein Corporate Life aufbauen, das zu echter Bindung der Mitarbeiter führt.

Glaswelt – Bedeutet Investition in die Zukunft, dass man einen hohen Automatisierungsgrad im Unternehmen etablieren muss? Wird es das Ziel sein, dass man nur noch wenig hochqualifiziertes Personal zur Anlagensteuerung und „preiswertes“ Personal für die einfachen Arbeiten benötigt?

Jánszky – Das muss man von Unternehmen zu Unternehmen sehr individuell betrachten. Wir Strategieberater wissen, dass der richtige Weg sehr stark von der Unternehmenskultur, der Führungsmentalität und dem Top-Management abhängt. Aber generell gesprochen gibt es für die Unternehmen zwei Möglichkeiten, mit der permanenten Lücke an Mitarbeitern umzugehen: Entweder sie automatisieren so viel wie möglich, um qualifiziertes Personal zu sparen. Oder sie erweitern ihr Mitarbeiterpotenzial dramatisch. Dies geht nur, indem sie die Möglichkeit für ältere Menschen schaffen, in Teilzeit oder projektweise weiterzuarbeiten. Wir Trendforscher gehen davon aus, dass die Menschen in Zukunft mindestens bis 75 arbeiten wollen. Dies gilt aber nicht nur für Hochqualifizierte. Den größten Mangel erwarten wir in den kommenden Jahren in der Qualifikationsstufe der typischen Facharbeiter. Nur von den Minderqualifizierten gibt es dann noch zu viele.

Glaswelt – Eine ganz andere Frage: Wie sehen Sie als Trendforscher das Fenster der Zukunft – sagen wir in 15 Jahren. Welche Funktionen vermissen Sie aktuell an Ihren Fenstern?

Jánszky – Das Fenster wird genauso digital, wie alle anderen Dinge in den Häusern. Die Experten sprechen von 50 Milliarden vernetzten Geräten im Jahr 2020, bis 2030 kann ich die Zahl gar nicht abschätzen. Was sind diese 50 Milliarden Geräte? Dies sind Spiegel, Tische, Tapeten, Kühlschränke, Uhren, Brillen, ICE-Sitze, Autos … etc. Es wäre ein großes Wunder, wenn das Fenster die einzige Ausnahme wäre. Sicherlich wird sich das Fenster in die zunehmende Automatisierung und Vernetzung der Häuser einpassen. Es wird zusammen mit den anderen Geräten automatisch die Helligkeit, die Luftqualität, vielleicht auch Sonneneinfall und Temperatur in den Häusern regeln.—

Die Fragen stellte GLASWELT Chefredakteur Daniel Mund

Das Buch zum Thema

Sven Gábor Jánszky stellt am Beispiel von zwei Personalleitern die Recruitingwelt der Zukunft vor. Beide gehen ganz unterschiedliche Wege, um dem Fachkräftemangel vorzubeugen und das Know-how von Mitarbeitern längerfristig an das Unternehmen zu binden. Bei ihren fiktiven Gesprächen erarbeiten sie gemeinsam Lösungen.

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