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Absturzschutzsicherung in der Fassade

Wenn der Gutachter im Unrecht ist

_ Gerade bei Großbaustellen ist es mittlerweile fast schon an der Tagesordnung, dass mehrere Experten gleichzeitig von unterschiedlichen Seiten als Kontrollinstanz eingeschaltet werden. Dass dabei die zu beachtenden Regelwerke unterschiedlich ausgelegt werden können, ist unter solchen Voraussetzungen nicht immer auszuschließen. Ein Streitpunkt sind häufig die Themen Bruchsicherheit und Absturzsicherung bei Fensterverglasungen.

Im vorliegenden Fall zweifelte der Auftraggeber bei einem Großbauvorhaben die Abnahmefähigkeit der absturzsichernden Maßnahmen bei Fenstern ab dem 3. Obergeschoss eines fast fertiggestellten Bürogebäudes an und reagierte mit einer Mängelrüge gegenüber dem Generalunternehmer.

Zu diesem Zeitpunkt waren die Montagekolonnen des Fassadenbauers bereits von der Baustelle abgezogen und die Fassadenarbeiten quasi abgeschlossen.

Die Mängelrüge sorgte vor dem Hintergrund der großen Anzahl der eingebauten Fenster und des ungünstig gewählten Zeitpunktes für viel Aufregung unter den Beteiligten. Es ging schließlich um ein sicherheitsrelevantes Thema, bei dem der Gesetzgeber keinerlei Ausreden duldet.

Die Mängelrüge konnte jedoch zugunsten des Fassadenbauers und des Generalunternehmers durch rechtzeitiges Hinzuziehen von KD Fassadenplanung entkräftet werden. Nachfolgend die Argumente, wie die Mängelrüge letztlich zum Vorteil aller Beteiligten entkräftet werden konnte.

Was wurde an der Absturzsicherung gerügt?

Die Höhe der ausgeführten massiven Brüstung betrug im vorliegenden Fall knapp 1,0 m. Bis zum 2. Obergeschoss waren aufgrund der geringeren Absturzhöhe von weniger als 12 m und der inklusive Blendrahmen 1,0 m hohen Fensterbrüstung keine weiteren Maßnahmen erforderlich.

Ab dem 3. Obergeschoss reichte jedoch diese Brüstungshöhe aufgrund der zunehmenden Absturzhöhe nicht mehr aus. Im Rahmen der Werk- und Montageplanung des Fassadenbauunternehmers wurde aus Zeitgründen einer absturzsichernden Stange der Vorzug gegeben, anstatt die Isolierverglasung im Flügelrahmen absturzsichernd auszubilden.

Die Stange wurde außenseitig mittels verdeckt liegender Schrauben an dem Blendrahmen des Aluminiumfensters auf der notwendigen Höhe von 1,10 m fixiert.

Die Isolierverglasung wurde baugleich mit den Fenstern in den unteren Geschossen aus einfachem Float-Glas hergestellt und war somit weder absturzsichernd noch bruchsicher.

Laut Mängelrüge hätte die Isolierverglasung trotz der außenseitig angebrachten Stange zusätzlich noch bruchsicher ausgebildet werden müssen. Begründet wurde diese Forderung mit der neu eingeführten DIN 18008-4 (früher TRAV) und insbesondere den Technischen Regeln für Arbeitsstätten ASR A1.6.

Demnach hätte die Angriffsseite des 3-fach-Isolierglases mindestens aus ESG ausgeführt werden müssen, um die Verletzungsgefahr im Falle eines Anpralls gegen die Scheibe auf ein Minimum zu begrenzen.

Eine VSG-Scheibe hätte an dieser Stelle gleichzeitig die Aufgabe der Bruchsicherheit und die absturzsichernde Funktion der Stange übernommen.

Bauordnungsrechtliche und baunebenrechtliche Relevanzen

Bei Verglasungen ist grundsätzlich zwischen den bauordnungsrechtlichen und baunebenrechtlichen Vorschriften zu unterscheiden. Das Verhindern von Absturzgefahr bei der Verglasung ist eine bauordnungsrechtlich relevante Vorschrift (DIN 18008-4).

Die Minimierung der Verletzungsgefahr bei Glasscheiben ist hingegen eine baunebenrechtliche Angelegenheit (Arbeitsstättenverordnung ArbStättV / Technische Regeln für Arbeitsstätten).

Bei bauordnungsrechtlich relevanten Fragen ist als erster Ansprechpartner das Bauaufsichtsamt als untere Bauaufsichtsbehörde zu kontaktieren.

Für Fragen zur ArbStättV als Teil des staatlichen Arbeitsschutzes ist z. B. in NRW das zuständige Dezernat für betrieblichen Arbeitsschutz der jeweiligen Bezirksregierung erster Ansprechpartner.

Das schreibt der Gesetzgeber vor

Nimmt man sich als Beispiel die BauO NRW vor, so wird schnell klar, dass hier die Anforderungen im Hinblick auf die Brüstungshöhe nicht gänzlich nachvollziehbar sind.

Bei den Absturzsicherungen unterscheidet der Gesetzgeber hier zwischen horizontalen und vertikalen Flächen. Nach § 41 Absatz 4 der Landesbauordnung NRW sind Öffnungen in begehbaren Decken und Dächern (horizontale Flächen) mit mehr als 12 m Absturzhöhe durch Umwehrungen mit einer Mindesthöhe von 1,10 m zu schützen. Bei einer Absturzhöhe unter 12 m ist eine Geländerhöhe von 0,9 m ausreichend.

Nicht nachvollziehbar ist die Regelung nach § 41 Absatz 5. Hier schreibt der Gesetzgeber bei Fenstern (vertikalen Flächen) mit einer Absturzhöhe von über 12 m zunächst eine Brüstungshöhe von lediglich 0,9 m und bei Absturzhöhen unterhalb von 12 m eine Brüstungshöhe von 0,8 m. Unter Fensterbrüstung versteht die Landesbauordnung offensichtlich eine massive Brüstung.

Denn bei raumhohen Verglasungen, bei denen sich unterhalb des Fensters eine Verglasung als Ausfachung befindet, verschärft die Landesbauordnung wiederum die Anforderungen an die Brüstungshöhe und orientiert sich dabei an den Mindesthöhen für horizontale Flächen gem. § 41 Abs. 4: Mindestens 1,10 m hohes Geländer ab 12 m Absturzhöhe. Der Gesetzestext lautet wörtlich: „Soll die Absturzsicherung im Wesentlichen durch eine Umwehrung, wie Geländer, erbracht werden, so sind die Mindesthöhen nach Absatz 4 einzuhalten.“

In diesem Zusammenhang darf nicht vergessen werden, dass für Reinigungsarbeiten laut BG BAU „Glas- und Fassadenreinigung“ Umwehrungen oder Geländer immer und überall mindestens 1,0 m hoch ausgebildet sein müssen.

Die Brüstungshöhen gemäß BauO NRW sind deshalb im Hinblick auf die Glasreinigung nicht ausreichend! Insofern war die gewählte Höhe der Absturzstange von 1,10 m bei einer Absturzhöhe von mehr als 12 m im 3. Obergeschoss die regelkonforme Entscheidung.

Was verlangt jetzt die DIN 18008-4?

Eine absturzsichernde Verglasung hätte im vorliegenden Fall gemäß DIN 18008, Teil 4, nach Kategorie C2 ausgeführt werden müssen. Die DIN verlangt bei dieser Kategorie auf der stoßzugewandten Seite der Isolierglasscheibe entweder VSG, ESG oder VG aus ESG.

Die Vorgabe lautet wörtlich: „Für Mehrscheiben-Isolierverglasungen der Kategorien C1 und C2 darf für die stoßzugewandte Seite nur VSG, ESG oder VG aus ESG verwendet werden.“ Laut dieser Definition wäre die Mängelrüge von Seiten des Bauherren berechtigt gewesen. Oder nicht?

So wurde die Mängelrüge entkräftet

Die DIN 18008-4 kommt hier nicht zur Geltung, da ja die Brüstung bereits 90 cm hoch ist und die im Fensterahmen fixierte Stange, die absturzsichernde Aufgabe bereits übernimmt. Die Kombination aus Brüstung und Stange erfüllt so alle Anforderung in Sachen Absturzsicherung.

Zum anderen schreiben die technischen Regeln für Arbeitsstätten keinerlei bruchsichere Verglasungen für die Fenster als solche vor.

In der Arbeitsstättenverordnung ArbStättV (Ziffer 1.6) und den zugehörigen Technischen Regeln für Arbeitsstätten ASR A1 sind Anforderungen im Hinblick auf die bruchsichere Ausbildung von Glasscheiben lediglich für „Lichtdurchlässige Wände“ (Vergleiche Ziffer 4.3) vorgesehen.

Zur Konkretisierung des Anwendungsbereiches werden gemäß Ziffer 3 „Begriffsbestimmungen“ der ASR A1.6 die sicherheitsrelevanten Bauteile im Einzelnen definiert. Hier werden unter anderem „lichtdurchlässige Wände“ gemäß Ziffer 3.9 wie folgt beschrieben:

„Lichtdurchlässige Wände sind Wände mit lichtdurchlässigen Flächen, die bis in die Nähe des Fußbodens reichen und aus Glas, Kunststoff oder anderen transparenten Materialien bestehen.“ Auch das Bauteil „Fenster“ wird dort gemäß Ziffer 3.1 per Definition festgelegt. Die ASR A1.6 macht so eine eindeutige Abgrenzung zwischen dem Bauteil „lichtdurchlässige Wände“ bzw. raumhohe Verglasungen und dem Bauteil „Fenster“ bzw. Verglasungen mit einer massiven Brüstung.

Insofern fanden die Technischen Regeln für Arbeitsstätten ASR A1.6 in Sachen Bruchsicherheit der Verglasung keine Anwendung, da es sich hier vom 3. Obergeschoss (und höher) um Fenster handelt und diese mussten laut ASR nicht bruchsicher ausgeführt werden.

Da weder die Glas-DIN 18008 noch die ASR in diesem Fall zur Geltung kommen, war der Mängelrüge jegliche Grundlage entzogen.

Das Fazit des Autors

Mit der Entkräftung der zunächst plausibel erscheinenden Mängelrüge waren kostenintensive Mängelbeseitigungsmaßnahmen zugunsten des Generalunternehmers und vor allem aber eine drohende Verzögerung der Inbetriebnahme des Bürogebäudes zugunsten des Bauherrn vom Tisch. Der Verfasser empfiehlt dringend, bei derartig speziellen und kostspieligen Fragen den Fassadenplaner /-berater frühzeitig in den Prozess einzubinden.—

Der Autor

Karan Djalaei ist Gründer und Geschäftsführer der KD Fassadenplanung und berät private Investoren, Projektentwickler, Architekten, GUs und öffentliche Auftraggeber in allen Fragen rund um die Gebäudehülle in der Projektierungs- und Realisierungsphase. Ein Lehrauftrag für Fassadentechnik am Institut für Technik und Ökologie (ITECH) der FH Köln sowie Fachvorträge runden sein Engagement ab.

www.kd-fassadenplanung.de