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Interview mit Frank Ensslen vom AK Kantenfestigkeit

Schlechter Schnitt – erhöhte Bruchgefahr

Glaswelt –  Herr Dr. Ensslen, welche Faktoren beeinflussen die Qualität beim Glaszuschnitt?

Frank Ensslen – Der Schneidprozess von Glas – im eigentlichen Sinne zunächst das Anritzen der Glasoberfläche mit einem Schneidrädchen und das nachträgliche Brechen entlang der angeritzten Oberfläche – unterliegt vielfältigen Einflussfaktoren. Wesentlich für das industrielle Verfahren sind Schneiddruck und -geschwindigkeit, die Schneidrädchengeometrie bzw. der Schneidwinkel und die Zusammensetzung der verwendeten Schneidflüssigkeit. Dazu kommen die Erfahrung des Glaszuschneiders, die Glaszusammensetzung sowie das Alter des Glases beim Schneiden. Diese Einflüsse bestimmen letztendlich das Bruchverhalten bzw. das Bruchbild an der Schnittkante und somit die Kantenqualität.

Glaswelt – Gibt es eine „glatte“ Schnittkante?

Ensslen – Mikroskopisch gesehen erfolgt beim Zuschnitt eine außerordentliche Schädigung der Glaskante mit vielen, gravierenden Verletzungen (vgl. Fotos) – lotrecht zur Ritzbahn entstehen beidseitig Begleitsprünge bzw. sublaterale Risse (Seitenrisse), parallel zur Kantenfläche entsteht der Tiefenriss (später die Bruchkante, s. Skizzen)

Glaswelt – Warum ist die Qualität der Zuschnittkante so wichtig?

Ensslen – Die Schnittqualität beeinflusst den Lasteintrag an der Kante und ist zudem die Basis für Kantenbearbeitungen wie das Säumen, Schleifen etc. Diese Kantenausführungen sind in DIN 1249-11, die zurzeit zur Überarbeitung ansteht, geregelt und zwar als rein optisches Merkmal (ohne nähere geometrische Angaben). Basierend auf den bisherigen Untersuchungen des AK „Kantenfestigkeit“ ist herauszustellen, dass sich aus den optischen Eigenschaften nicht zwangsläufig auf die mechanische Qualität (z.B. Kantenzugfestigkeit) schließen lässt.

Glaswelt – Wo sehen Sie aktuell Handlungsbedarf für die Verarbeiter?

Ensslen – Es muss eine Beurteilung der Kantenqualität mit definierten Kriterien erfolgen. Bis dato wurde vernachlässigt, dass die Bearbeitungsqualität dem Herstellungseinfluss und den damit verbundenen Prozessparametern unterliegt. Hier ist man lange Zeit von einhelligen Fertigungs- und Qualitätsstandards in der Branche ausgegangen. Aber diese kann es aufgrund der enormen Vielfalt an Kantenbearbeitungsmaschinen und Fertigungsprozessen nicht geben.

Als Grundvoraussetzung für gute Ergebnisse beim Zuschnitt und bei den weiteren Bearbeitungsschritten sind allerdings die entsprechend richtigen Parametereinstellungen sowie eine kontinuierliche Wartung von Schneidanlagen bzw. Kantenautomaten/Bandschleifern unabdingbar. Ein Beispiel: Wir konnten anhand unserer Untersuchungen (mit statistisch ausgewerteten Ergebnissen) feststellen, dass eine gute Floatglas-Schnittkante eine höhere Festigkeit aufweisen kann, als z. B. eine (schlecht) geschliffene Floatglas-Kante, und das beim selben Hersteller.

Glaswelt – Wo sehen Sie Stolperfallen für die Verarbeiter in Sachen Zuschnitt und Kante?

Ensslen – Unsere Versuche zeigen: Eine relativ hohe Schädigung der Glaskante beim Zuschnitt kann durch spätere Bearbeitung, z. B. das Schleifen, evtl. nicht wieder wettgemacht werden. Hierfür muss dann eine höhere Schleifzugabe gewählt werden. Daneben gibt es in der Isolierglaspraxis das manuelle Säumen der Kante mit Bandschleifern. Dieses dient dazu, bei frei liegenden Kanten (z. B. Dachscheiben) groben Schnittverletzungen im Scheibenhandling vorzubeugen. Werkstofftechnisch bzw. mechanisch gesehen ist diese Art des Kantensäumens unter undefinierten Randbedingungen das Schlimmste, was man eigentlich tun kann.

Wir empfehlen, wenn möglich, darauf zu verzichten: Es ist besser, „die gute alte“ Schnittkante zu belassen wie sie ist und andere Schutzmechanismen zu ergreifen. Falls optisch erforderlich, sollte der Verarbeiter auf eine Scheibe mit sachgerecht bearbeiteter Kante ausweichen.

Glaswelt – Wie weiß jetzt der Verarbeiter oder der Mann im Zuschnitt, ob ein Kantenschnitt gut oder schlecht ausgeführt wurde?

Ensslen – Die mechanische Überprüfung, ob eine gute oder schlechte Kantenqualität von Floatglas vorliegt, lässt sich unter den gängigen Abläufen in der ISO-Fertigung nicht bewerkstelligen. Die Schnittqualität lässt sich lediglich durch visuelles Inspizieren feststellen oder „für geübte Ohren“ am Klang während des Brechvorgangs hören. Die Güte der Kante zeigt sich i.d.R. eher im Einbauzustand, wenn es beispielsweise um die thermische Beanspruchung (T) oder die Aufnahme hoher Lasten an der Glaskante geht.

Glaswelt – Bitte erläutern Sie das näher?

Ensslen – Um die Kantenfestigkeit (von Floatglas) in der Standard-Produktion zu ermitteln, sind gesonderte Nachweise durchzuführen. Dazu gehört vorrangig die experimentelle Überprüfung der Kantenfestigkeit. Zudem geht es auch um die allgemeine Identifikation von wesentlichen Prozessparametern und die Bewertung deren Einflusses auf die Rissausprägung/-verteilung an der Kante. Konzepte hierfür erstellen wir im Arbeitskreis. Ganz wichtig: Solche Nachweise müssen auch entsprechend vergütet werden. Das heißt, wenn ein Planer/Bauherr für ausgewählte Bauvorhaben eine höhere Festigkeit oder Sicherheit als üblich will, muss er bereit sein, mehr dafür zu bezahlen.

Glaswelt –  Sagen Sie bitte noch etwas zu den Testergebnissen der Versuche?

Ensslen – Wir konnten zeigen, dass in unseren Tests 31 von 33 Versuchsreihen (5 %-Fraktilwerte) den Ansatz von DIN 18008-1, Abschnitt 8.3.8, mit 36 N/mm² als „Daumenwert“ für die zugbeanspruchte Floatglas-Kante eingehalten haben.

Glaswelt – Was können Sie nach heutigem Stand den Verarbeitern mit auf den Weg geben?

Ensslen – Eine wesentliche Empfehlung lautet: Den Glaszuschnitt mit seinen vielseitigen Parametern nicht nur wirtschaftlich, d. h. auf die Produktivität, sondern auch im Hinblick auf die Glaskantenqualität zu optimieren. So lässt sich die Produktqualität insgesamt steigern, indem eine der Ursachen für Glasbruch vermieden wird. —

Die Fragen stellte Matthias Rehberger

Die Eckwerte des Testprogramms

  • 33 Versuchsreihen mit 1100 Vier-Punkt-Biegezugversuchen um die starke Achse in Anlehnung an EN 1288-3
  • Float im Format 1100 x 125 mm, Dicke 4, 6, 8 mm
  • Kante geschnitten, gesäumt und geschliffen
  • Mikroskopische Untersuchungen der Kante an je drei Proben pro Reihe
  • Herstellung der Glasproben bei sechs unterschiedlichen Glasveredlern

www.glas-fkg.org

Der Autor

Dr.-Ing. Frank Ensslen (Semco) ist Leiter des Arbeitskreises „Kantenfestigkeit“ beim FKG.

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