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Interview mit Volker Burkhardt, Akzo Nobel Functional Chemicals GmbH

Gefahr für Isolierglas-Hersteller im Verzug

Glaswelt – Welche Eigenschaften sollte ein Isolierglasdichtstoff (Dichtstoff) generell haben?

Volker Burkhardt – Als Grundvoraussetzung für einen elastischen Isolierglas-Dichtstoff ist mindestens zu fordern, dass der Dichtstoff bereits während der Durchhärtung eine sehr gute Adhäsion zu Glas und dem verwendeten Abstandhaltersystem aufbaut und so dafür sorgt, dass der Scheibenzwischenraum gegen eindringende Feuchtigkeit sowie gegen Gasverlust nach außen abgedichtet ist. Ein möglichst niedriger Wasser- und Ar-Gasdiffusionswert des Dichtstoffes ist hierfür absolute Voraussetzung.

Glaswelt – Was ist noch relevant?

Burkhardt – Eine gute UV- und Alterungsbeständigkeit in Kombination mit hoher innerer Festigkeit und gutem Dehnverhalten ist notwendig. Nur so bleiben über die Nutzungsdauer der ISO-Einheit die dichtenden und strukturgebenden Eigenschaften des Dichtstoffes im Isolierglasverbund auch erhalten. Adhäsives Haftversagen zu Glas oder Abstandhaltern ist nicht akzeptabel.

Glaswelt – Wie sieht es mit der Verträglichkeit aus? Was muss hier gewährleistet sein?

Burkhardt – Die Dichtstoffe müssen zu PVB-Folien verträglich sein, entsprechend den Kriterien der ift-Richtlinie DI-02/1. Ein nach ISO EN 1279 geprüfter und zertifizierter Dichtstoff auf Basis von Polysulfid-Polymeren, wie z. B. Thioplast G, erfüllt alle diese Anforderungen.

Glaswelt – Und was kann passieren, wenn ein Dichtstoff ein ungeeignetes Polymer enthält?

Burkhardt – Alle Dichtstoffhersteller sind schon seit Jahren mit einem massiven Kostendruck konfrontiert. Der Druck zur Kosteneinsparung äußerte sich in den letzten Jahren u. a. darin, dass der Polymergehalt in Dichtstoffen stetig abnahm. Nun finden wir seit Kurzem in Dichtstoffen, dass bisher bewährte Polymersysteme gegen ungeeignete Polymere ausgetauscht werden.

Glaswelt – Woher kommen solche Produkte?

Burkhardt – Wir haben gerade ein Produkt eines Dichtstoff-Herstellers aus der Türkei bei uns intern geprüft. Dieser verwendet ein auf Polyether-Polyol basiertes Polymer aus Russland, welches wie die bewährten Polysulfid-Polymere ebenfalls über Thiol (SH-) Endgruppen verfügt und mittels einer Mangandioxid-Paste zu härten ist.

Glaswelt – Welche Auswirkungen kann dieses Polymer in einem Dichtstoff haben, in Bezug auf Gasdichte und Wasserkondensation?

Burkhardt – Die untersuchten Dichtstoffe härten für die Anwendung im Isolierglas zu weich und zu wenig elastisch aus und können damit ihrer Aufgabe als elastische und strukturgebende Versiegelung nicht mehr nachkommen. Eine ausreichende UV-Stabilität des Dichtstoffes ist ebenfalls nicht gegeben, sodass selbst die Minimalanforderung von 96 Stunden UV/Wasser Bewetterung entsprechend der EN ISO 1279-4 nicht erfüllt wird. Wir haben zudem ein eindeutiges Schrumpfverhalten des Dichtstoffes festgestellt.

Dies führt zu einer erhöhten Spannung des ausgehärteten Dichtstoffes an Glas und Abstandhalter und letztlich zu adhäsivem Haftversagen des Dichtstoffes.

Die auf Polyisobutylen (PIB)-basierende Primärversiegelung wird somit in ihrer Funktion nicht mehr durch den Sekundär-Dichtstoff unterstützt. Die ISO-Einheit würde in Folge davon wegen Undichtigkeit ausfallen.

Glaswelt – Gibt es weitere Risiken

Burkhardt – Wir glauben ja. Wird der Dichtstoff bei 80 °C gelagert, kommt es zu einem signifikanten Anstieg der Shore A Härte von anfangs Shore A 40 auf bis zu Shore A 90. In Folge verliert der Dichtstoff seine Elastizität und sein Haftverhalten zu Glas und Abstandhalter vollständig.

Die Isolierglas-Einheit ist damit diffusionsoffen gegenüber Feuchtigkeit und würde folglich durch Wasserkondensation im Scheibenzwischenraum in ihrer Funktion ausfallen. Das vor dem Hintergrund, dass Temperaturen von 80 °C in einer Fassade nicht unüblich sind.

Glaswelt – Welche Inhaltsstoffe werden in dem minderwertigen Dichtstoff verwendet?

Burkhardt – Der von uns untersuchte Dichtstoff enthält flüchtige organische Verbindungen, wie Lösungsmittel und nicht kompatible Weichmacher. Aus unserer Sicht ist die Bildung von Kondensat im SZR der ISO-Einheit damit nicht eine Frage des ob, sondern nur des wann.

Weiter ist zu erwarten, dass diese Komponenten die auf PIB basierende Primärversiegelung in der ISO-Einheit anlösen werden. Das PIB läuft dann ungehindert in den SZR ein. Die Reklamation von Kundenseite wäre vorprogrammiert.

Glaswelt – Konnten Sie bei Ihren Tests auch schädliche Inhaltsstoffe ausmachen?

Burkhardt – Bei den von uns intern untersuchten Dichtstoffen auf Basis des russischen Polymers haben wir „Di-Butylphthalat (DBP)“ als Weichmacher gefunden. Dieser steht unter dem konkreten Verdacht, „fruchtschädigend“ oder reproduktionstoxisch bei Menschen zu sein. Außerdem wurde ein Kresol-Derivat entdeckt, das als gesundheitsschädlich und umwelttoxisch eingestuft ist.

Glaswelt – Kann man aufgrund der genannten Eigenschaften einer solchen ISO-Einheit nach dem Einbau überhaupt noch von einem funktionsfähigen Fenster sprechen?

Burkhardt – Eine Isolierglasscheibe ist so lange funktionsfähig, wie der Dichtstoff seiner Aufgabe als elastische und strukturgebende Komponente nachkommen kann.

Nach unseren Langzeit-Prüfungen sind die aus der russisch-türkischen Zusammenarbeit entstandenen Dichtstoffe nicht in der Lage, die Funktion einer ISO-Einheit über einen bei uns geforderten Zeitraum sicherzustellen.

Glaswelt – Ist das noch innerhalb der Norm und erfüllt es die allgemeine Gewährleistung?

Burkhardt – Der genannte Isolierglas-Dichtstoff genügt nach meiner Ansicht nicht den Anforderungen der ISO EN 1279. Im vorliegenden Fall bewirbt der Hersteller seinen Dichtstoff aber mit einem Zertifikat nach ISO EN 1279. Dieses Zertifikat stammt noch aus der Vergangenheit und wurde für Dichtstoffe, basierend auf Polysulfid-Polymeren erteilt. Eine entsprechende Prüfung des neuen Dichtstoffes auf Basis des neuen Polymers ist mir nicht bekannt.

Glaswelt – Wer haftet für die Ausfälle der ISO-Einheiten beziehungsweise der Fenster?

Burkhardt – Für den Ausfall einer ISO-Einheit steht der Isolierglashersteller in der Gewährleistung.

Glaswelt – Wie reagieren Sie als Unternehmen auf das genannte Produkt?

Burkhardt – AkzoNobel kann allen Isolierglasproduzenten nur die Qualität der eigenen Polysulfid-basierten Dichtstoffe versichern und herausstreichen, dass diese sich über Jahre bei der Produktion von ISO-Einheiten bewährt haben. Die beschriebenen Gefahren, die mit dem Einsatz Polyether-Polyol-basierter Dichtstoffe einhergehen, haben sich bei Polysulfid-basierten Dichtstoffen unserer Kenntnis nach bislang nie materialisiert.

Glaswelt – Sehen Sie weitere Knackpunkte?

Burkhardt – Problematisch ist aus meiner Sicht, dass der vollständige Austausch der Polymerbasis durch den türkischen Dichtstoff-Hersteller hin zu einer Polyether-Polyol-Basis für Isolierglashersteller nicht ohne Weiteres erkennbar wird, da das Zertifikat nach ISO EN 1279 weiter verwendet wird, auch wenn dieses für ein Produkt auf Polysulfid-Basis und vor dem vollständigen Austausch der Polymerbasis erteilt worden war.—

Das Gespräch führte Matthias Rehberger.

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