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Interview mit Prof. Eduard Schmutz, Kunstakademie Stuttgart

“Oft fehlt es an Mut, mit kräftigen Farben umzugehen“

Glaswelt – Finden Sie, dass in Deutschland zu wenig mit Farbe gebaut wird oder eher nicht?

Prof. Eduard Schmutz – Farbe und Licht sind grundlegende Themen in der Architektur. Der Umgang mit Farbe ist quantitativ schwer zu beurteilen. In Deutschland gibt es eine Reihe von Architekten, die sich der Farbgestaltung besonders annehmen.

Glaswelt – Welche Wirkung haben Farben auf uns Menschen? Stimmt das Sprichwort „Bunt ist gesund“?

Prof. Schmutz – Über die Wirkung und Beziehungen zwischen Menschen, Farben und Räumen gibt es eine Vielzahl von physiologischen und psychologischen Studien und Erkenntnissen. Diese Fragen können deshalb nicht pauschal beantwortet werden. Allein an den verschiedenen Vorlieben der Lieblingsfarben kann man erkennen, dass jeder Mensch sehr individuell auf Farben reagiert. Das Sprichwort „Bunt ist gesund“ wird leider viel zu oft falsch verstanden. Denken Sie nur z. B. an die verzweifelten Versuche, durch Farbe öffentliche Räume in Krankenhäusern oder Arztpraxen „aufzuhübschen“. Auf der anderen Seite fehlt es oft an Mut bei Architekten und Bauherrn, mit kräftigen Farben umzugehen. Leider wird die architektonische Wirkung von Farbe bei Bauherrn wie Architekten oft vergessen. Wenn z. B. die Berge in der Ferne blau erscheinen, verbinden wir diese Farbe mit Entfernung. Verwendet man also Blau in Innenräumen wirkt der Raum größer. Leider werden Farben heute oft nur dekorativ eingesetzt.

Glaswelt –  Kann man dann mit der Farbwahl in der Architektur (Gebäudehülle) und bei der Innenraumgestaltung direkten Einfluss auf das Wohlbefinden der Nutzer ausüben?

Prof. Schmutz – Man kann! Sowohl positiv wie auch negativ. Warm-kalt, beruhigend-agressiv, Tag und Nacht, jung und alt, es gibt kaum Grenzen in der Beeinflussung der Wahrnehmung von Raum durch Farbgestaltung. Wenn Sie von Gebäudehülle sprechen – und dabei die Gebäudefassaden meinen – so stehen diese im Kontext der Stadt, des Stadtraumes und haben deshalb eine andere Verantwortung gegenüber dem Ort, in dem Sie wirken. Der Innenraum ist eher privat und kann dadurch individueller auf den jeweiligen Nutzer abgestimmt werden. Grundsätzlich bin ich jedoch der Meinung, dass man die (Farb-) Gestaltung ganzheitlich betrachten muss.

Glaswelt – Es reicht also nicht, dass der Fensterbauer dem Bauherrn vorschlägt, einfach farbige Fensterrahmen in die Wand zu setzen?

Prof. Schmutz – Leider nein. Mit farbigen Fensterrahmen werden viele Fassaden leider unglücklich verunstaltet. Das Einbeziehen der Reflexion, der Innen-Außenbezug spielt ebenso eine wichtige Rolle, wie die Wirkung des Glases in Bezug auf die Wandflächen – das Glas erscheint bei Tage in der Regel eher Dunkelgrau und ist nicht transparent oder weiß ist wie viele glauben.

Glaswelt – Wo sehen Sie Unterschiede bei der Farbgestaltung für Vorhangfassaden (Glas-Metallfassaden) gegenüber Fenstern (für Lochfassaden)?

Prof. Schmutz – Vereinfacht dargestellt entwickelt sich die Lochfassade aus der massiven, tragenden Wand während bei der Vorhangfassade (curtain wall) das Tragwerk des Gebäudes und das Tragsystem des Raumabschlusses voneinander gelöste Strukturen darstellen. Die Entwicklung der Fassadengestaltung geht einher mit der Entwicklung der Glastechnik bzw. den Scheibengrößen. Die klassische Lochfassade wird bestimmt durch die Materialität der Wand und somit wird deren Farbgebung entsprechend beeinflusst. Interessant sind gegenüber der Vorhangfassade die Tiefen der Laibungen, die bei der Farbgestaltung bezüglich Lichtumlenkung und Körpermodulation eine nicht unerhebliche Rolle spielen. Denken Sie beispielsweise an die historischen Häuser im Engadin mit den tiefen, konischen Fensterausschnitten.

Bei den Vorhangfassaden wurde international viel gesündigt. Durch die innovative Glastechnologie ist es heute jedoch außerordentlich spannend, solche Fassaden zu entwickeln, die auf den Ort und den Individuellen Komfort der Nutzer reagieren können. Die Gebäudetechnologie in Bezug auf Nachhaltigkeit spielt eine wesentliche Rolle. Dabei ist die Farbe ein entscheidender Faktor, z. B. durch verändernde Lichtdurchlässigkeit, wechselnde Farbigkeit oder interaktive Anwendungen.

Glaswelt – Und welche Rolle fällt dem Sonnenschutz zu, etwa farbigen Markisen, die die Erscheinung der Gebäudehülle maßgeblich beeinflussen?

Prof. Schmutz – Intensive Farben bei Markisen oder Jalousien beeinflussen durch Reflexion in hohem Maße den Innenraum. Dies kann einerseits sehr stimulierend, andererseits aber auch extrem störend sein – je nach Nutzung der Räume. Der Sonnenschutz kann aber auch zur Lichtlenkung, zur Wärmedämmung und zur Akustik einiges beitragen. Durch die mehrschichtigen Glaskonstruktionen in Verbindung mit anderen Materialien und Technologien gibt es einen hohen Gestaltungsspielraum, der den äußeren Raumabschluss in hohem Maße positiv beeinflussten kann. Schon allein durch die Lage des Sonnenschutzsystems zur Fassade (außen liegend, dazwischen, innen liegend – eher ungünstig aber manchmal die einzige Lösung) ergeben sich extreme Unterschiede.

Glaswelt – Die Drucktechnik für Fassadengläser hat in den letzten Jahren durch den Digitaldruck rasante Fortschritte gemacht, was halten Sie von den Möglichkeiten, Glasflächen vollflächig zu bedrucken?

Prof. Schmutz – Beton ist aber „unschuldig“ hat Artur Rüegg von der ETH-Zürich einmal festgestellt. Dies trifft im übertragenen Sinn auch auf die Bedruckung von Fassadengläsern zu – man kann viel Unsinniges erzeugen. Auf der anderen Seite erschließen neue Techniken immer auch neue Sichtweisen und Gestaltungsmöglichkeiten und führen zu spannenden Diskursen insbesondere auch in Bezug auf der Gebäudegestaltung gegenüber seiner Umgebung. Technologie, Materialität, Ornament und Farbe müssen – sowohl von Architekten und Ingenieuren wie auch von Stadtplanern und Behörden – in erweiterten Zusammenhängen gedacht werden.

Glaswelt – Farbige und bedruckte Designgläser spielen auch bei der Innenraumgestaltung eine immer wichtigere Rolle, wo sehen Sie hier die Trends?

Prof. Schmutz – Die Gestaltungsmöglichkeiten sind fast unbegrenzt und das ist erst einmal sehr erfreulich. Unsere Erfahrungen zeigen, dass die gewünschte Transparenz und die gewünschte Farbigkeit oder Wirkung der Bedruckung in der Planung nur über viele Muster und Probedrucke zum gewünschten Ziel führen. Bei einer Farbkarte (z. B. RAL/NCS) ist es einfacher. Beim Glas wird durch die „Farbigkeit“, Spiegelung und Stärke des Glases in Verbindung mit der Lage und Anzahl der Farbfolien (bei VSG), der Lage der Druckschicht des Motivs die Gestaltung sehr komplex.

Zudem kommen jetzt auch in ihrer Farbigkeit elektronisch steuerbare Gläser auf den Markt. In der Entwicklung bezüglich Flexibilität solcher Gläser in Verbindung mit Licht, Elektronik und den entsprechenden Steuerungsmöglichkeiten stehen wir noch am Anfang. Die individuelle Anpassungsfähigkeit und die Überlagerung verschiedener nutzungsbezogener Funktionen durch digitale Steuerungen bieten ein unerschöpfliches Gestaltungspotenzial.

Glaswelt – Welche Rolle spielt im Innenraum das Wechselspiel zwischen Farbe und Licht?

Prof. Schmutz – Die Entscheidende – Farbe wird sichtbar durch Licht. Das Wechselspiel von Tageslicht und Kunstlicht verändert die Farbgebung in unendliche Nuancen und Atmosphären. Trotz vielfältiger heute zur Verfügung stehender Mess- und digitaler Simulationsmöglichkeiten, ist die 1:1 Beleuchtungsprobe vor Ort in Verbindung mit Material und Farbe unersetzbar.

Ein gutes Beispiel ist das Doppelhaus von Le Corbusier in der Weißenhofsiedlung in Stuttgart (heute Weissenhofmuseum). Das Farbkonzept ist präzise auf die sonnige Lage des Gebäudes ausgerichtet und reagiert in der Farbwahl präzise auf die Lichtreflexion der Wände.

Glaswelt – Wenn wir von Farbgestaltung sprechen, wer sollte hier den Nutzer beraten, nur der Planer? Oder welche Rolle spielt dabei der Handwerker?

Prof. Schmutz – Wie beim Fußball meint jeder, er versteht etwas von Farbe. Dies ist aber auch hier leider falsch. Die Komplexität bei der Farbgestaltung ist erheblich und verlangt vom Planer ein hohes Fachwissen. Im Idealfall basiert die Planung auf Teamarbeit. Architekten, Designer, Lichtplaner, Farbspezialisten, Handwerker und viele andere können nur im entsprechend zusammengestellten Team die beste Lösung erzielen. Das interdisziplinäre Zusammenarbeiten ist hier der entscheidende Faktor.—

Die Fragen stellten Matthias Rehberger und Maria Maier.

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