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Serie: Technische Fensterentwicklung

Kammerolympiade und andere Disziplinen

_ In der Vergangenheit bestimmten neben den klimatischen Bedingungen die technischen Möglichkeiten und Wünsche an den Wohnkomfort die Entwicklung der Fenster. Erst die Aufbauphase nach dem 2. Weltkrieg brachte mit der notwendigen Serienfertigung neue Techniken, neue Werkstoffe und neue Anforderungen an das Bauteil Fenster. Keiner der am Bau Beteiligten konnte mit seinen Kenntnissen den Gebrauchswert der neuen Fenstergeneration beurteilen. Die sich neu entwickelnden Bewertungskriterien für Gebäude erforderten auch die Anpassung der technischen Regelwerke an die neuen Gegebenheiten. Um das notwendige Wissen in relativ kurzer Zeit gezielt verbreiten zu können, versuchte man, alle technischen Details in Normen zu regeln.

Forschungsprojekt „Konstruktionsmerkmale“

Auf dem neuen Weg in der Entwicklung der Fenster sollte nur mehr Grundsätzliches normativ festgelegt werden, was allerdings mehr Fachwissen vom Einzelnen fordert. Bauherr, Bauplaner und Bauleiter müssen über die notwendigen Kenntnisse verfügen, um im Normalfall die richtigen Entscheidungen ohne einen Sachverständigen treffen zu können. Die bis dahin übliche Ausbildung konnte das Wissen nicht im notwendigen Umfang vermitteln. Das Bundesbauministerium beauftragte daher das ift Rosenheim mit der Zusammenstellung der wesentlichen Merkmale zur Konstruktion von Fenstern.

Die Entwicklung zum „aufwendigeren Fenster“ stand in der Kritik – sowohl hinsichtlich Rahmen und Beschlag als auch Aussehen. Kritisiert wurde im Wesentlichen die Kostenentwicklung. Was das Fenster der 80er-Jahre aus damaliger Sicht unnötig verteuerte, waren zu hohe Anforderungen an die Oberfläche und das ästhetische Detail, die Architektur der gegliederten Fenster und „überhöhte“ technische Anforderungen.

Einerseits standen Bauherr und Architekt mit einer sehr hohen Erwartungshaltung und dem Wunsch nach kostengünstigen Produkten; in der Regel fehlten dem Bauherrn jedoch objektive Entscheidungshilfen. Andererseits musste der Fensterhersteller die Qualität seines Bauteils sicherstellen. Mit dem Forschungsprojekt „Konstruktionsmerkmale für Fenster“ sollte eine Basis für eine gemeinsam tragbare Lösung gefunden werden. Der im Jahr 1986 veröffentlichte Forschungsbericht [3] ist eine Ergänzung zum Bericht „Entscheidungskriterien zur Auswahl von Fenstern“ [2]. Er bietet eine Unterstützung bei der täglichen Arbeit hinsichtlich funktionaler Leistungsbeschreibungen, bei der Fixierung von Anforderungen und bei der detaillierten Konstruktion. Grundlegende Angaben zu Werkstoffen und Zubehörteilen sowie zu Fensterarten und Systemen schaffen eine gute Basis für weitere Planungen. Ein breiter Raum ist den Einflüssen technischer Anforderungen auf die Konstruktion der Fenster gewidmet. Beispiele ergänzen den Bericht ebenso wie eine Zusammenstellung der vom ift Rosenheim erarbeiteten Richtlinien und Tabellen, beispielsweise zu Verglasung, Anstrich, Lamellierung, Verträglichkeit und Statik.

Kunststofffenster gewinnt Marktanteile

Die ersten Kunststofffenster aus einem mit Weich-PVC überzogenen Stahlrahmen wurden 1956 angeboten. Im Jahr 1959 folgten Fenster aus PVC hart (heute PVC-U). Profilgeometrien und -konstruktionen waren noch nicht werkstoffgerecht ausgebildet und orientierten sich an den Holzfenstern. Die Vielzahl der in der Folgezeit entwickelten Systeme versuchte sich aus Wettbewerbsgründen zu differenzieren. Unterscheidungsmerkmale waren Anzahl und Anordnung der Dichtungen sowie die Anzahl der Hohlkammern in den Profilen.

In den 60er- und 70er-Jahren wurden auch Profile aus glasfaserverstärktem Polyester, aus Polyurethan und aus Holz-Kunststoff angeboten. Eine gewisse Marktbedeutung erlangte davon nur Polyurethan.

In den 60er-Jahren war der a-Wert (Fugendurchlasskoeffizient) die einzige objektive Beurteilungsgröße. Speziell bei Kunststofffenstern wurde er – unabhängig von weiteren notwendigen Eigenschaften – als alleiniges Qualitätsmerkmal hervorgehoben. Eine Weiterentwicklung setzte durch die Möglichkeit ein, auch andere Eigenschaften prüfen und beurteilen zu können. Begünstigt wurde dies Ende der 70er-Jahre durch die RAL-Gütesicherung [4].

Ebenso bildeten Ergebnisse aus ift-Forschungsarbeiten u.a. zu Falzausbildung [5] und Verglasung [6] eine Basis für die Weiter- und Neuentwicklung von Kunststofffenster-Systemen (Bild 1).

Aufgrund des steigenden Marktanteils und eines hohen Anteils in der Altbausanierung war es notwendig, technische Regeln für den Einbau und die Abdichtung der Kunststofffenster zu erarbeiten. Auf Grundlage von ift-Forschungsberichten [7, 8] wurden die „Einbaurichtlinien für Kunststofffenster“ erstellt [9]. Kurz darauf entstand die Richtlinie „Prüfung von mechanischen Verbindungen bei Kunststofffenstern“, um eine Beurteilungsgrundlage für mechanische Verbindungen bei Pfosten- und Riegelprofilen zu schaffen. Die genannten Richtlinien wurden aktualisiert und besitzen nach wie vor ihre Gültigkeit.

Die Entwicklungen führten zu einer Angleichung der Konstruktionen, welche über die 80er- und 90er-Jahre Bestand hatten:

  • Fenster aus extrudierten, harten PVC-Profilen,
  • mit einer Hauptkammer inkl. metallischem Verstärkungsprofil sowie
  • mindestens einer Vorkammer,
  • Farbgebung überwiegend Weiß.

Dieses Prinzip hat sich sehr lange bewährt und am Markt durchgesetzt. Für Kunden wurde es allerdings durch die Ähnlichkeit der Systeme und die schwer erkennbaren Detailverbesserungen zunehmend schwieriger, Qualitätsmerkmale einzelner Profile zu erkennen.

Olympische Disziplin Kammeranzahl

Mit der immer kürzeren Abfolge von Aktualisierungen der Wärmeschutz- und der Energieeinsparverordnung begannen die Profile zu „wachsen“. Der Begriff der „Kammerolympiade“ wurde in diesem Zeitraum geprägt. Die Erweiterung der Profile durch zusätzliche Kammern oder die Unterteilung bestehender Kammern erzeugte mehr oder weniger große Fortschritte beim Uf-Wert, dem Wärmedurchgangskoeffizienten des Profils. Der Marketingaspekt durch die leicht zu vermittelnde Formel „je mehr Kammern desto besser“ lief aber irgendwann ins Leere und tiefgreifende Veränderungen am Kunststoffprofil wurden möglich und nötig. Neben der Profildicke und der Unterteilung in Luftkammern haben die geometrische Ausführung und das Material der Verstärkung, die Ansichtsbreite (und damit der Glasanteil), die Unterteilung des Falzraums mit Dichtungen und Profilwandungsdicken ebenfalls großen Einfluss auf den U-Wert des Kunststofffensters (Bild 2).

Dadurch wurden Mitte der 2000er-Jahre Techniken wie die Glasklebung interessant. Damit konnte durch die mittragende Wirkung des Glases speziell bei großen Flügeln mit geringen Profilansichtsbreiten der Einsatz von massiven Verstärkungen begrenzt werden.

Kunststofffenster heute

Wie alle Fenster stehen auch Kunststofffenster vor den Herausforderungen der Gegenwart. Dies sind

  • großformatige Flügel und hohe Gewichte,
  • Zusatzfunktionen wie Lüftung, Sonnenschutz, zu integrierende Sicherheitsaspekte,
  • Vielfalt an Gestaltungsmöglichkeiten bezüglich Oberfläche, Formen, …
  • Transparenz bei Wirkungen bzgl. Umwelt und Gesundheit.

Durch die Fokussierung auf den Wärmeschutz entwickelten sich auch stark asymmetrische Profilgeometrien, bei denen die aussteifenden Elemente (Armierungen) in den Innenbereich rückten. Zusätzlich stieg der Anteil an farbigen Profilen; er nimmt mittlerweile 30 bis 40 Prozent der abgesetzten Kunststofffenster in Deutschland ein. Durch die weiteren thermischen Verformungen, wie Schwindung und Längenausdehnung, kommt es zu erhöhten Bedienkräften und Undichtigkeiten unter Differenzklima (Bild 3). Diese können Funktionseinschränkungen bewirken, wie höhere Bedienkraft beim Öffnen und Schließen (Element klemmt), geringere Luft- und Schlagregendichtigkeit und geringere Schalldämmwerte.

Normative Grenzwerte für die maximale Verformung aufgrund thermischer Belastung bei Kunststofffensterprofilen existieren zwar nicht; die Funktion muss aber in jedem Fall auch nach klimatischen Belastungen sichergestellt sein. Die Systemhäuser von Kunststofffenstern kennen diesen Effekt und geben in den Systembeschreibungen und Verarbeitungsrichtlinien klare Vorgaben hinsichtlich Fertigung und Montage, beispielsweise:

  • Reduzierung von Maximalgrößen in Abhängigkeit von der Farbe,
  • Verwendung von geeigneten Verstärkungsprofilen (andere Geometrie und Wanddicke, besondere Stähle etc.),
  • zusätzliche Belüftungsbohrungen,
  • Befestigung zur Wand.

Dabei existiert natürlich in der Praxis der Konflikt, dass z. B. bei Abstrichen an Elementgrößen zusätzliche Kosten für konstruktive Maßnahmen selten akzeptiert werden.

Grenzen des Machbaren

Durch den Einsatz von 3-fach-Isolierglas erhöhen sich die Flügelgewichte ganz erheblich. Dies führt dazu, dass Standardbeschläge bereits bei normalen Aufbauten und großen Flügelformaten an ihre Grenzen stoßen. Bei Sondergläsern für den Schallschutz oder im Sicherheitsbereich, wie z. B. bei der Einbruchhemmung, können schnell die maximalen Belastbarkeiten erreicht werden. Ein besonderes Augenmerk ist auf die Anbindung der Beschläge an das Kunststoffprofil zu legen. Die handwerkliche Ausführung der Schraubverbindungen mit der Einhaltung der vorher ermittelten Verarbeitungsparameter (Eindrehmomente/Überdrehmoment und Einschraubtiefe) ist elementar für die Nutzungssicherheit der Fenster.

Die Hohlkammern und das Baukastensystem mit einer Vielzahl von Profilen ermöglichen die Integration von Zusatzfunktionen und Zusatzbauteilen. Die variable Ausstattung mit Lüftern, Gläsern Beschlägen mit Zusatzfunktionen ist möglich. Kombinationen mit Aluminiumschalen, Integralfenster, Verbundaufbauten decken einen großen Gestaltungs- und Leistungsbereich ab (Bild 4).

Die freie Kombination von Modulen zur Gestaltung des Wunschfensters ist allerdings noch Utopie. Dazu ist die Trennung von Funktionen, z. B. Tragstruktur sowie Wärmeschutz und Gestaltung, noch nicht konsequent vollzogen.

Die aktuell wichtigste Zusatzfunktion Einbruchhemmung ist mit Kunststoffprofilen jedoch seit Längerem konstruktiv gelöst. Optimierungspotenzial ist nach wie vor bei der Montage gegeben. Konstruktive Schwachstellen an Kopplungen oder auch Erleichterungen beim Einbau bzgl. Befestigung und Abdichtung sind Schwerpunkte der Entwicklung.

Wettstreit der Materialien

Aktuell ist auch die Umweltverträglichkeit ein Kernthema. Dies wird es auch durch zunehmende Knappheit der Rohstoffe, Unbeständigkeit der Preise und wegen der Verantwortung für kommende Generationen in Zukunft bleiben. Im Wettbewerb zwischen PVC und Holz punkten Kunststofffenster bzgl. Dauerhaftigkeit und Preis, während Holz als der natürliche Rahmenwerkstoff ins Rennen geht. Alternative Stabilisatoren und das Etablieren von Verwertungskonzepten für Altfenster und Produktionsabfälle helfen, diesbezügliche Nachteile beim PVC-Fenster zu kompensieren. Forschungsprojekte zu evtl. vorhandenen VOC-Emissionen und Auswaschungen haben zudem keine auffälligen Ergebnisse geliefert [12, 13].—

Literaturnhinweise:

[1] 25 Jahre ift; Ein Überblick. 1991

[2] Froelich, H.: Entscheidungskriterien zur Auswahl von Fenstern. Forschungsbericht ift, 1981

[3] Froelich, H.; Hepp, B.; Löffel, G.; Schmid, J.: Konstruktionsmerkmale für Fenster. Forschungsbericht des ift, 1986

[4] Güte- und Prüfbestimmungen für Kunststoff-Fenster RAL-RG 716/1. Mai 1977

[5] Schmid, J.; Stiell, W.: Falzausbildung am Fenster. Forschungsbericht des ift, 1976

[6] Feldmeier, F.; Heinrich, R.; Schmid, J.; Stiell, W.:

Alterungsverhalten von Mehrscheiben-Isolierglas. Forschungsbericht des ift 1984

[7] Seifert, E.; Daler, R.; Heine, F.: Fenster bei Altbauerneuerung. Forschungsbericht des ift, 1979

[8] Blaschke,K.; Schmid,J.; Stiell,W.: Fenster-Anschluss zum Baukörper.ift-Forschungsbericht,1977

[9] Einbaurichtlinien für Kunststoff-Fenster. Hrsg.: ift und RAL, 1985

[10] Leuschner, I.: Entwicklungstendenzen bei Kunststofffenstern. ift, 2002

[11] Lass, J. P.: Kunstwerk Kunststoff-Fenster. Tagungsband Rosenheimer Fenstertage, ift, 2011

[12] Bliemetsrieder, B.: VOC emissions of plastic windows. Forschungsbericht des ift, 2015

[13] Bliemetsrieder, B.; Kaube, M.; Scherer, C.; Schwerd, R.; Schwitalla, C.; Externbrink, F.: Auswaschungen von Bauelementen. ift und Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP, 2016

ift-Forschungsprojekte von 1986 bis 1990

1986 Lamellierung von Holzfensterquerschnitten aus Seitenbrettern

1986 Konstruktionsmerkmale für Fenster

1988 Untersuchung über die Veränderung der Schalldämmung durch Kurzzeitprüfungen entsprechend der gebrauchsmäßigen Nutzung

1989 Fenstereinbau mit Zargen

1989 Fenster in der Stadtsanierung

1989 Rahmenverbindungen an Holzfenstern und Holztüren

50 Jahre ift Rosenheim

Das ift Rosenheim feiert 2016 sein 50-jähriges Bestehen. Deshalb wird in einer 10-teiligen Fachartikelserie die technische Entwicklung vorgestellt. Die einzelnen Beiträge beziehen sich auf Zeitfenster von 5 Jahren ab der Institutsgründung. Bisher haben wir über folgende Themen und Zeitfenster berichtet:

  • „Gegründet, um das Holzfenster besser zu machen“ (1966–1970): Heft 01/2016, S. 62 ff.
  • „Auf dem Weg zum energiesparenden Bauen“ (1971–1975): Heft 02/2016, S. 122 ff.
  • „Metallprofile zukunftsfähig machen“ (1976–1980): Heft 04/2016, S. 78 ff.
  • „Vom Monoglas zum Hochleistungs-ISO (1981-1985): Heft 05/2016, S. 120 ff.

Die Autoren

Gabriele Tengler, stv. Leiterin der Abteilung PR & Kommunikation beim ift, war viele Jahre für die technische Auskunft zuständig.

Ingo Leuschner, techn. Assistent der ift-Leitung bzw. Leitung von div. Forschungsprojekten (Holzfassaden, Beschlagtechnik, Verbundaufbauten, Oberflächen).

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