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Klimagerechtes Bauen durch autoreaktive Systeme

Die Fassade ist nur die halbe Miete

_ Wie sich das Raumklima eines Bauwerks vollständig ohne Heizung, Kühlung und maschinelle Lüftung in einem angenehmen Komfortbereich kontrollieren lässt, zeigt das 2226 Gebäude von Baumschlager Eberle Architekten in Lustenau und stellt aktuell die Referenz dar.

Grundlage hierfür ist die optimierte Nutzung der thermischen Masse kombiniert mit einer kontrollierten, automatisierten natürlichen Lüftung. Der Fensterflächenanteil der Fassade ist so weit reduziert, dass die natürliche Belichtung gegeben ist, eine sommerliche Überhitzung aber vermieden wird. Auch wenn dieser Ansatz nicht 1 : 1 auf andere Bauvorhaben übertragbar ist, verdeutlicht er das Potenzial passiver Systeme bei einer konsequenten Integration in die Architektur.

Nachdem sich in den vergangenen Jahrzehnten die energetische Qualität der Fassade teilweise erheblich verbessert hat, stellt sich zunehmend die Frage, wie sich das hinsichtlich dem Aufwand in den technischen Gewerken – Heizung, Lüftung und Kühlung (HLK) – auswirkt. Eine Reduzierung der Leistung und der Laufzeit der Anlagen reduziert den Energieverbrauch im Betrieb. Es bleibt die Frage, ob man die Qualität der Hülle so weit optimieren kann, dass man gänzlich oder zumindest teilweise auf HLK verzichten kann.

Das Gebäude in Lustenau hat dieses Ziel konsequent verfolgt. Neben der monolithischen, ca. 80 cm dicken Fassade und einem angepassten Fensterflächenanteil, wurde die thermische Masse der Geschossdecken wirksam exponiert (keine akustisch wirksame Deckenabhängung). Außerdem erzielt man mit der großen Raumhöhe – trotz reduziertem Fensterflächenanteil – eine sehr gute natürliche Belichtung.

Es zeigt sich, dass das definierte Ziel Einfluss nimmt auf die Fassade, aber auch alle anderen Bauteile, bis hin zu den Oberflächen und Ausstattungen, die großteils mit natürlichen Materialien gefertigt wurden, sodass Emissionen reduziert wurden. Ziel der integralen Gebäudeplanung war bisher, dass technische Einrichtungen die passiven Systeme ergänzen. Der konsequente nächste Schritt ist noch genauer zu prüfen wann und wie Technik als eigenständige notwendige Intelligenz einzusetzen ist.

Die thermische Masse des 2226 Gebäudes – vor allem die massiven Betondecken und die ca. 80 cm dicken Wände – beschreiben letztlich ein autoreaktives System: Die thermischen Schwankungen zwischen Tag und Nacht werden durch die Aufnahme oder Abgabe von Wärme ausgeglichen. Dadurch stellt sich ein sehr stabiles Raumklima ein. Für diese Wärmeregulierung sind weder Sensoren noch Aktoren erforderlich, die „Intelligenz“ liegt ausschließlich im Material

Der Wunsch nach Transparenz

Mit dem Wunsch nach Transparenz stellt sich die Frage, wie sich derartige Funktionen auf mehr gläserne Gebäude übertragen lassen. Die Kletterhalle in Brixen (Martin Mutschlechner, Stadtlabor + Wolfgang Meraner) ist ein sehr gutes Beispiel für eine rein geometrisch gelöste Adaptivität.

Einer gläsernen Hülle ist eine gelochte Blechhülle vorgelagert. Der Lochanteil der Metallhülle garantiert die Versorgung mit Tageslicht, wobei trotzdem eine sehr hohe Transparenz erzielt wird.

Der Lochdurchmesser entspricht der Materialstärke, dadurch wird die sommerliche solare Direktstrahlung mit einem Sonnenwinkel über 45 ° vollständig verschattet, während die flachstehende Sonne im Winter teilweise transmittiert und zur Raumerwärmung beiträgt.

Das vorgelagerte Blechkleid ist weder in seiner Form noch bezüglich der physikalischen Eigenschaften veränderlich. Eine Adaption an die unterschiedlichen Jahreszeiten und Orientierung erfolgt rein geometrisch. So verändert sich nicht die Geometrie, aber der Sonnenstand im Verlauf des Jahres bzw. des Tages. Eine gekoppelte Simulation der thermischen Vorgänge und Tageslicht wurde benutzt, um die Fassade mit ihren einzelnen Schichten und Beschichtungen zu optimieren

Kluge Bauteile

Es gibt zahlreiche Ansätze, selbstregulierende Systeme in gläsernen Gebäudehüllen zu integrieren. So hat Doris Sung (DO|SU Studio Architecture) durch die Nutzung von Bimetall selbstreagierende Verschattungssysteme entwickelt.

Das Metall besteht aus zwei Schichten mit unterschiedlichem Ausdehnungskoeffizient – sprich unterschiedlicher Längenausdehnung, wenn sich das Metall erwärmt – wodurch sich das Metall verformt (krümmt).

In der Konzeption neuer Gebäude hat sich der Entwurfs- und Planungsprozess in den letzten Jahren verändert. Durch konzeptionelles, ganzheitliches Entwickeln von Bauvorhaben in interdisziplinären Planungsteams entstehen vermehrt zukunftsfähige Gebäude, die ihren Nutzern mit einem minimalen Aufwand an Umweltenergie ein auf seine Bedürfnisse abgestimmtes optimales Raumklima bieten.

Hierbei werden autoreaktive Systeme zunehmend an Bedeutung gewinnen, da sie die Aufenthaltsqualität optimieren und gleichzeitig den Aufwand in Bau und Betrieb (sowohl Energie als auch Wartung und Instandhaltung) minimieren.

Neben traditionellen entwurfsrelevanten Parametern wie Städtebau und Gebäude-/Fasaden-Orientierung ist die Abstimmung von passivem Gebäudekonzept, Anlagentechnik und Energieerzeugung als Voraussetzung für energieeffiziente, nachhaltige Bauwerke in das Bewusstsein von Architekten und Fachplanern und damit in den Planungsalltag übergegangen – vor allem bei der Entwicklung neuer Gebäude.

Wenig Beachtung findet derzeit noch die Bilanzierung der eingesetzten Stoffströme. Vor allem bei Gebäuden, bei denen zunehmend die Materialität funktionale Aspekte übernimmt ist – neben dem Ressourcenverbrauch im Gebäudebetrieb – auch die im Material gebundene graue Energie über die Lebensdauer zu bilanzieren. —

Prof. Thomas Auer, TU München

PowerSkin Konferenz 2017

Die Konferenz am 19. 01. 2017 auf der BAU behandelt drei Hauptthemen: Umwelt, Fassade und Baustruktur. Dazu werden neueste wissenschaftliche Forschungen und Entwicklungen sowie aktuelle Projekte vorgestellt. Weiter wird die Rolle der Gebäudehülle im Hinblick auf CO2-neutrale Bauwerke, den Gebäudebetrieb, graue Energien, Energieerzeugung und Energieeinsparung mittels Fassaden untersucht.

Veranstalter sind die Messe BAU, die Forschungsinitiative Zukunft Bau, die TU München mit Prof. Thomas Auer, die TU Darmstadt mit Prof. Jens Schneider und die TU Delft mit Prof. Ulrich Knaack.

Weitere Informationen und Tickets unter

www.powerskin.org

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