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Neues Online-System zur Erfassung von Anisotropien

Zerstörungsfreie Qualitätskontrolle

_ Deutsche Glasverarbeiter und -veredler finden sich in Bezug auf Know-how und der herstellbaren Glasqualitäten an der Weltspitze und exportieren große Mengen an veredelten Gläsern ins Ausland. Die VitroDUR GmbH entwickelt im aktuellen BMWi-ZIM-Forschungsprogramm „Gläsernes Glas“ seit September 2015 gemeinsam mit der Softsolution GmbH in Kooperation mit der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen sowie der Hochschule München ein Online-Verfahren zur Qualitätssicherung.

In entspanntem Glas breitet sich Licht in alle Richtungen gleichmäßig aus. Entstehen Spannungen im Glas, wird das Substrat zum doppelbrechenden Medium. Bei Einscheibensicherheitsglas (ESG) und teilvorgespanntem Glas (TVG) werden durch Erhitzen des Substrats auf über 600 °C und abschließendem raschen Abkühlen an der Glasoberfläche Druckspannungen und im Glasinneren Zugspannungen eingeprägt. Nachdem es sich bei Glas um einen schlechten Wärmeleiter handelt, verringern sich beim Abkühlprozess die Temperaturen an den Ecken und Kanten schneller als in der Fläche. Je dicker das Glas, desto ausgeprägter wird dieser Effekt. Auch direkt unter den Luftdüsen kühlt das Glas schneller ab. Dadurch stellen sich über die Fläche verteilt nicht an jeder Stelle absolut identische Druckspannungen ein.

Schickt man Licht durch ein unter Spannung stehendes Glas, sind je nach Wellenlänge unterschiedliche Richtungsänderungen innerhalb der Glasmasse die Folge. Die Lichtwellen treten mit einer gewissen Verzögerung, d. h. versetzt zueinander wieder aus dem Glas aus. Wird das Licht durch natürliche oder künstliche Faktoren polarisiert, werden diese Verzögerungen als graue oder farbige Flecken-bzw. Streifenmuster sichtbar. Diese sogenannten Irisationen (Bild 01) sind die unmittelbare Folge von Spannungen im Glas und werden als Anisotropie bezeichnet. Je ungleichmäßiger die Verteilung der eingeprägten Spannungen, desto stärker ausgeprägt sind die Anisotropien und die unter polarisiertem Licht wahrnehmbaren Irisationen.

Bei sichtbarem Sonnenlicht handelt es sich um unterschiedlich lange, elektromagnetische Wellen im Frequenzbereich von 380 bis 780 nm. Die Wellen bewegen sich zufällig verteilt in alle Raumrichtungen transversal schwingend von der Sonne weg. Man kann sich die Ausbreitung der einzelnen Wellenlängen des Lichts vereinfachend als Sinuswellen vorstellen.

Eine künstliche Polarisation des Lichts erreicht man, durch die Verwendung von sog. Polarisationsfiltern, welche nur Licht mit einer einzigen, definierten Schwingungsrichtung passieren lassen. Die Anordnung und Wahl dieser und weiterer optischer Hilfsmittel haben einen erheblichen Einfluss auf das sich ergebende Anisotropiebild und deren Verwendung für ein Analyseverfahren. In natürlicher Umgebung kann Licht je nach Standort, Sonnenstand und Wetterbedingung sogar ohne optische Hilfsmittel in der Erdatmosphäre polarisiert werden. Darüber hinaus kann eine Polarisation des Lichts auch durch Reflexion an Medien, wie beispielsweise Wasser oder Glas erfolgen. Das hier vorgestellte Analyseverfahren nutzt gezielt die künstliche Polarisation zur Qualitätssicherung und Optimierung der Glasqualität.

Qualitätssicherung beim Verarbeiter

Die Produktnormen für ESG und TVG schreiben für jede Glasart und -dicke, im Zuge der werkseigenen Produktionskontrolle, eine kontinuierliche Überprüfung der Bruchspannungen und Auswertung der Bruchstruktur nach einem entsprechenden Stichprobenplan vor.

Obwohl die Produktnorm optional auch geeignete optische Verfahren zur Feststellung der eingeprägten Spannungen erwähnt, gibt es bislang keine praktikablen zerstörungsfreien Methoden. Daher werden in der Praxis mehrmals täglich Scheiben eigens zu Prüfzwecken angefertigt und zur Überprüfung der erzielten Qualität zerstört.

Die Produktqualität ist jedoch auch in hohem Maße von den Bearbeitungen, vom Format und den Einzelabmessungen der Scheiben abhängig. Mit den genommenen Stichproben kann die erreichte visuelle Qualität an den von den Proben abweichenden Scheiben nach bisherigen Methoden nur abgeschätzt werden. Sie beruht daher überwiegend auf den Erfahrungen des Ofenführers. Durch objektive Messung der Verzögerungen lassen sich hingegen die an der Glasoberfläche eingeprägten Spannungsunterschiede erfassen und soweit anlagentechnisch möglich, minimieren. Somit kann mit der neu entwickelten Messmethode eine reproduzierbare Qualität für alle Formate und Abmessungen sichergestellt werden.

Als Zusatznutzen sollen die Produktionsprozesse und die Eigenüberwachung effizienter werden. Fallen im Laufe der Produktion die Spannungsunterschiede etwa durch Änderung äußerer Einflüsse zu groß aus, soll dies unverzüglich erkannt und die Prozessparameter angepasst werden.

Neues Messverfahren schafft Abhilfe

Ziel des Forschungsergebnisses ist es, eine Methode zur quantifizierbaren Messung der Anisotropien in der Glasfläche zu gewinnen und dieses in einem Online-Mess-System anzuwenden. Verschiedene Forschungsprojekte haben gezeigt, dass die zerstörungsfrei prüfende, flächenförmige Methode der Polarisationsoptik (Bild 02) zur objektiven Bewertung geeignet ist, da aus ihr quantitative Messwerte gewonnen werden können.

Im Rahmen des zu entwickelnden Verfahrens durchlaufen die zuvor thermisch vorgespannten Gläser einen Scanner, der die Anisotropie innerhalb der Scheibe mithilfe von polarisiertem Licht erfasst. Dabei sind Bereiche innerhalb einer Scheibe mit hoher Anisotropie durch Anpassung und Kalibrierung der produktionsbedingten Faktoren innerhalb des Vorspannprozesses zu minimieren. Der speziell entwickelte Scanner (Bild 03) weist prinzipiell den gleichen Aufbau wie ein Polariskop auf.

Zur Generierung von Polfilteraufnahmen thermisch vorgespannter Gläser verfügt der Scanner über lichtempfindliche Zeilensensoren sowie über telezentrische Lichtmodule. Die Lichtmodule sind mit einer speziellen Polarisator-Folie ausgestattet (polychromatisches Licht), wie in Bild 04, Punkt 1 dargestellt, und die Sensoren mit einer darauf abgestimmten Analysator-Folie (Bild 04, Punkt 2) und ergeben somit den idealen Aufbau eines typischen Polariskops. Die Besonderheit des Aufbaus liegt einerseits in dem für Softsolution typischen modularen Aufbau, der Scanbreiten bis zu einer Gesamtbreite von 4800 mm erlaubt, und andererseits in der ebenfalls für Softsolution typischen telezentrischen Beleuchtungstechnik.

Die Vorteile der telezentrischen Beleuchtung und des damit verbundenen Lichteinfalls, der immer normal zur Scheibenoberfläche ist, sind auch hier unbestritten. Tote Winkel, die gerade im Kantenbereich zu Problemen bei der Bewertung der Kantenmembranspannung führen, können so zu 100 % vermieden werden.

Auch der Weg, den das polarisierte Licht durch den zu prüfenden Glaskörper beschreitet, ist aufgrund des über die gesamte Inspektionsbreite konstanten Winkels von exakt 90° immer gleich lang und führt somit zu keiner Verfälschung des Bewertungsergebnisses, dessen Basis die Verzögerung des Lichtes ist. Das bildgebende System ist unter anderem mit einem geschwindigkeitsgebenden Inkremental-Drehgeber verbunden, welcher die aktuelle Transportgeschwindigkeit erfasst und aus den einzeln erfassten Bildzeilen ein Gesamtbild erstellt. Unterschiedliche Transportgeschwindigkeiten können damit kompensiert werden. Die somit generierte Polfilteraufnahme in einer Auflösung von bis zu 400 × 400 dpi wird anschließend mittels Software ausgewertet und in Bezug auf Höhe und Verteilung der Anisotropie über die Scheibe pixelgenau analysiert. Der Scanner wurde bereits erfolgreich in den Produktionsprozess von thermisch vorgespannten Glasprodukten implementiert. Damit ist innerhalb von Sekunden eine Aussage über die Spannungsverteilung möglich. Als nächster Schritt erfolgt die Auswertung mit produktionsspezifischen Randbedingungen, die einen Einfluss auf die Anisotropie haben.

Durch die Definition von Grenzwerten soll eine zeitnahe Reduktion der visualisierten Spannungsunterschiede durch korrektive Anpassungen innerhalb des Produktionsprozesses ermöglicht werden.—

Steffen Dix, Thomas Fiedler, Benjamin Schaaf, Hermann Sonnleitner

Die Forschungs-partner:

  • RWTH Aachen, Prof. Dr.-Ing. Markus Feldmann, Institut für Stahlbau; Mitarbeiter: Pietro Di Biase, Dr.-Ing. Ruth Kasper, Benjamin Schaaf
  • Hochschule München, Prof. Dr.-Ing. Christian Schuler, Labor für Stahl- und Leichtmetallbau, Mitarbeiter: Steffen Dix
  • Anlagenbau und Softwareentwicklung: Softsolution GmbH, Thomas Schuller, Hermann Sonnleitner, Andreas Hammerschmidt
  • Glashersteller VitroDUR GmbH, Uwe Bergmann / Thomas Fiedler (Uniglas GmbH)

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