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Gläser für Intelligente Fassaden, Teil 1

Ganz schön smarte Gläser

_ Seit Jahrzehnten wird an adaptiven, selbstregulierenden Gläsern gearbeitet. Denn damit bestünde die Chance, dass alle statischen oder besser alle nicht anpassbaren Glaslösungen sukzessive von smarten, steuerbaren (= aktiven) Systemen abgelöst werden. Smart ist so zu verstehen, dass das Glas erkennen kann, was der optimale Zustand aller Anforderungen zum jeweiligen Zeitpunkt ist.

Vom Markt akzeptierte, kommerziell tragfähige Lösungen, die zudem nachhaltig und umweltfreundlich sind, werden sich nur dann umsetzen lassen, wenn ein maximaler Nutzerkomfort damit einhergeht. Dabei gilt: Die nachhaltigste Energie ist die eingesparte Energie.

Alle Fragen rund um Beschattung, Blendung und das Tageslicht werden leider häufig immer noch unabhängig und als Einzellösungen betrachtet.

Da bisher in der Regel statische Lösungen, beispielsweise mechanisch verstellbare Systeme wie Jalousien, Fensterläden etc. zur Verfügung standen, war der Erfolg insbesondere von übergreifenden Ansätzen auch nur begrenzt möglich.

Heute sind jedoch intelligente Fassaden gefragt, also übergreifende und aktive Lösungen, die sich in die Gebäudesteuerung mit einbinden lassen.

Aufgaben „intelligenter“ Fassaden

Was muss solch eine Fassade leisten?

  • Tageslichtversorgung, Raumausleuchtung: Ziel: gesundheitsfördernd und komfortabel. Dies verlangt, dynamische, automatisierte Beschattung sowie Lichtlenksysteme.
  • Sonnenschutz, thermischer Komfort: Vermeidung thermischer und visueller Lasten.
  • Nutzen von Sonnenlicht als Wärmequelle im Winter; Reduzierung der solaren Wärmeeinträge im Sommer (Senken der Kühllasten).
  • Optimierte Tageslichtnutzung zur Senkung des Energieverbrauchs durch Beleuchtung, inklusive Einsatz von Lichtlenkung; Berücksichtigung von Blendschutz.

Weitere Funktionen und Anforderungen sind:

  • Schallschutz nach innen und außen,
  • Frischluftzufuhr für den Innenraum,
  • Freier Blick nach außen und nach innen,
  • Senkung der Betriebskosten,
  • Ressourcenschonung/Umweltverträglichkeit,
  • Energetische Autarkie ohne fossile Energie.

Klassifizierung adaptiver Gläser

Man unterscheidet aktive (schaltbare) und passive (reaktive) Systeme. Die passive Wirkweise kommt etwa mit phototropen, thermotropen oder thermochromen Verglasungen zum Tragen. Die aktive Wirkweise wird bisher durch elektrochrome, gasochrome Systeme sowie Verglasungen auf Basis von Polymer-Dispersed Liquid Crystals (PDLC), Suspended-Particle-Devices (SPD) und seit kurzem durch Flüssigkristall-basierte LCW Liquid Crystal Windows repräsentiert.

Elektrochrome Gläser

Schaltbare Systeme waren in der Vergangenheit im Wesentlichen als elektrochrome Schichtsysteme (EC-Systeme) im Markt erhältlich. Die Elektrochromie bezeichnet die reversible Farbänderung bzw. Transmissionsänderung eines Materials infolge einer elektrochemischen Reaktion.

EC-Elemente ändern durch Anlegen einer elektrischen Gleichspannung ihre Absorptions-, Transmissions- und Reflexionseigenschaften. Die Transmission im sichtbaren und im nahen Infrarot-Spektralbereich wird zum Teil durch die erhöhte Absorption reduziert – ein Nachteil.

Heute sind EC-Elemente langlebig und zuverlässig und können im Rahmen der Lebensdauer ihre Farbe über die Fläche beibehalten und haben gleich hohe Schaltbereiche.

Es gibt mittlerweile sehr einfach zu bedienende Steuerungssysteme, die elektrische Leistung liegt bei etwa 2 W/m².

Bekannte Hersteller von EC-Gläsern sind: Sage Glass/Saint-Gobain, View Dynamic Glass Inc. (USA), EControl aus Plauen und AGC Glass Europe/Kinestral Technologies Inc. (Marke: Halio).

Gründe, die den Markteinsatz electrochromer Gläser bremsen, sind u. a. begrenzte Breiten bis maximal 1,60 m/Farbgradient durch Spannungsabfall sowie nur blaue oder graue Glasfarben. Dazu kommen teils lange Schaltzeiten: von ~3 bis ~20 Minuten.

Sage, View und Halio können in einen Zustand TL~1 % wechseln. Das führt zu höherem Blendschutz, aber bei starken Farbverschiebungen.

Die Formgestaltung von EC-Gläsern ist meist begrenzt. Den größten Spielraum bis hin zu kreisrunden Scheiben bietet EControl. Nur EControl liefert als Endprodukt VSG, wobei die Weiterverarbeitung zu ISO möglich ist.

Kosten der elektrochromen Systeme liegen unisono bei > 600 Euro/m² inklusive Steuerung.

Schaltbare PDLC-Folien

Diese schaltbaren Systeme basieren auf einem Polymer-Flüssigkristallfilm, der zwischen zwei Gläsern eingebettet ist. Man spricht von Privacy-Gläsern.

So funktioniert das System: Innerhalb des Polymers befinden sich willkürlich orientierte Flüssigkristallmoleküle, die das einfallende Licht streuen, die Scheibe ist opak. Wird eine elektrische Spannung angelegt, ordnen sich die Flüssigkristallmoleküle und das Glas wird transparent.

PDLC funktioniert als Sichtschutz (z. B. Besprechungsräume), aber aufgrund der zu hohen Absorption nicht als Sonnenschutz. Wegen Trübung in der Durchsicht sind PDLC-Gläser für den Außenbereich nicht geeignet. Da es viele Folienanbieter gibt, sind Qualität und Preise weit gestreut.

Gläser auf Flüssigkristall-Basis

Seit rund zwei Jahren bietet der Flüssigkristall-Marktführer Merck schaltbare Gläser an, die heute unter dem Namen „eyrise“ am Markt sind. Die verwendeten licrivision-Flüssigkristalle sind farbstoffdotierte LC-Mischungen, die in schaltbaren Gläsern eingesetzt werden und die heute als Sonnen- oder Sichtschutz-Systeme für Fassaden und als Interieur-Anwendungen (Privacy) angeboten werden.

Für die Privacy-Varianten werden cholesterische LC-Mischungen verwendet, die ohne zeitliche Verzögerung von opak auf transparent schalten und fast ohne Streuung/Haze sind, wodurch sie für Fassaden verwendet werden können. Durch eine relativ niedrige Wechselspannung in der LC-Zelle regulieren die Komponenten der Flüssigkristallmischung sekundenschnell die Durchlässigkeit des Glases und steuern die Intensität von Licht, Trübung, Blendung und Transparenz.

Gläser auf LC-Basis erlauben eine fast beliebige Farbgebung für die Außenansicht und können derzeit bis zum Format von 160 × 3,50 m gefertigt werden und lassen sich bei Temperaturen von – 40 °C bis 120 °C verwenden, wobei sich die g-Werte noch optimieren lassen.

Merck hat in Eindhoven (NL) eine industrielle Fertigung aufgebaut.

Smarte Techniken in Entwicklung

Aktuell gibt es noch weitere Technologien in der Entwicklung, die noch nicht marktreif sind, z.B.:

  • Fluidglas – flüssigkeitsdurchströmte Glaselemente – Mikropartikel im Wasser (EU Projekt FP7-ENERGY-2013-1) Uni Liechtenstein,
  • Mikrospiegel – INA Institute of Nanostructure Technologies and Analytics, Uni Kassel.

Das Fazit des Autors

Entscheidend für die Marktdurchdring von smarten Gläsern ist nicht die Produktleistung alleine, sondern vor allem die zugehörige Steuerung. Der Markt benötigt hier intelligente selbstlernende Gebäude- bzw. Fassaden-Steuerungssysteme, die einerseits im Kontext aller bauphysikalischen Anforderungen einen optimalen Nutzerkomfort ermöglichen, andererseits den Energieverbrauch senken helfen (durch z. B. optimierten Sonnen- und Wärmeschutz; Senkung von Klima- und Beleuchtungskosten) und dadurch neben der Senkung der laufenden Betriebskosten auch zu einer nachhaltigeren Ressourcennutzung beitragen.

Lesen Sie im zweiten Artikelteil, wo sich solche adaptierbaren Gläser optimal einsetzen lassen und welche Fassaden hierfür geeignet sind.—

Dr. Helmut Hohenstein

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