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Interview mit R. Seufert & W. Jager von Wicona 

“An Nachhaltigkeit kommt die Branche nicht mehr vorbei“

GLASWELT – Wie sehen Sie Wicona heute aufgestellt?

Ralf Seufert – Wir fühlen uns sehr gut aufgestellt. Dabei sind wir in allen maßgeblichen Wachstumsregionen aktiv und dort gut positioniert. Wir haben vor Kurzem den Sprung in die USA gemacht. Das ist ein sehr interessanter Markt. Und dort ist insbesondere die deutsche Qualitätsarbeit, Stichwort „Made in Germany” und „German Engineering“, sehr gefragt.

Werner Jager – Wir designen und entwickeln alle unsere Produkte in Ulm, wo auch unsere Entwicklungsabteilung sitzt. Mit unserem Standort-Bekenntnis (www.wicona.de) geben wir den Kunden auch die Sicherheit, dass die Technik stimmt.

Glaswelt – Warum wird der hiesige Markt international als so wichtig angesehen?

Seufert – Nun, lassen Sie es uns so sagen, die DACH-Region ist weltweit betrachtet der technische Leitmarkt für Fassaden und Fenster.

Jager – Hierzulande haben wir einfach die höchsten Anforderungen. Was Hochtechnologie angeht, gibt es natürlich auch noch weitere Märkte, etwa London. Auch diese Stadt ist ein interessanter Markt, denn dort entstehen viele, qualitativ sehr hochwertige Objektbauten und Hochhäuser. Selbst durch den Brexit wird die Nachfrage dort wohl nicht abreißen.

Glaswelt – Warum sind die Hochhäuser in London sowie in anderen Städten für Wicona interessant?

Jager – Hochhäuser werden mehr und mehr zu Multipurpose-Gebäuden, die sowohl Wohnen als auch Office, Hotels und Shops und teils auch öffentliche Einrichtungen umfassen. Ein solcher Mix stellt sehr hohe und in einigen Fällen sehr unterschiedliche Anforderungen an die zugehörigen Fassaden und damit auch an uns. Was uns natürlich weiter vorantreibt.

Glaswelt – Erlauben Sie mir einen kurzen Rückblick: Welche Erkenntnisse ziehen Sie aus der BAU, was steht nun oben auf der Agenda?

Seufert – Die Nachhaltigkeit stand auf der BAU bei unserem Messeauftritt im besonderen Fokus. Insbesondere mit Infinitive Aluminium. Unsere Systemlösungen mit Infinitive Aluminium haben den höchsten Anteil an wiederverwertetem End-of-Life-Aluminium im Markt. Wir sprechen hier von einem Anteil an recycelten Aluprofilen in Höhe von 75 %. Die Herstellung ist unabhängig zertifiziert und komplett nachverfolgbar. Direkt im Nachgang zur BAU konnten wir bereits erste Projekte direkt abschließen. Mit den Themen Nachhaltigkeit, Werkstoffnutzung und -wiederverwertung sind wir auf fruchtbaren Boden gestoßen. Stichwort: Ich war schon einmal ein Fenster.

Jager – Wir haben auf der Messe auch das Konzept von unserem Next- Studio gelebt, denn wir haben unsere Partner mit eingeladen, an unserem Stand auszustellen. Dort waren dann auch Exponate aus der Praxis und von Projekten zu sehen, die aktuell gebaut werden. Ebenso gab es die Produkte unserer Kunden zu sehen. Wenn einer der Partner ein tolles Produkt hat, wollten wir das auch zeigen, das macht für uns eine lebendige Partnerschaft aus.

Glaswelt – Für Wicona ist also Recycling das ganz große Thema und Sie wagen in der Branche einen Vorstoß, bitte erläutern Sie das.

Jager – Für uns als Unternehmen war die Nachhaltigkeit schon immer ein wichtiger Aspekt bei unserer strategischen Ausrichtung. Das machen wir schon seit Jahren. Und jetzt richten wir den Fokus auf den recycelten Aluminium-Anteil unserer Profile und damit auf die CO2-Reduzierung. Die Recycling-Qualitäten haben sich in den letzten beiden Jahren maßgeblich verbessert. Man kann sagen, die Wiederverwertung des Wertstoffs entspricht heute 1:1 der Qualität des Primär-Aluminiums. Damit können wir Architekten und Investoren zudem Vorteile bieten. Stichwort: Gebäudezertifizierung sowie Cradle-to-Cradle.

Seufert – Unser Konzern will bis 2020 nahezu CO2-neutral zu werden. Unser neues Recyclingwerk steht deshalb hier in Deutschland (in Dormagen bei Köln), um auch die Transportwege kurz zu halten. Unter anderem damit sind wir beim Schließen des Wertstoffkreislaufes in der Branche einzigartig. Und wie gesagt, das Rohmaterial, das wir in den Markt bringen besteht zu mindestens 75 % aus Recyclat.

Glaswelt – Arbeiten Sie mit marktaktiven Anbietern zusammen, ich denke hier z. B. an die Aluminium-Recyclinginitiative A/U/F?

Seufert – Das ist einer unserer Partner in diesem Segment, die uns helfen, die Stoffströme – ca. 30 % der Alu-Schrotte im deutschen Baumarkt – zu kanalisieren. Neben A/U/F arbeiten wir mit weiteren Partnern zusammen.

Glaswelt – Zurück zu den Märkten, wie wichtig ist für Sie die DACH-Region bei der weiteren Marktentwicklung und welche Rolle spielen die internationalen Märkte?

Jager – Wir haben starke Ambitionen in der DACH-Region weiter stark zu wachsen, das Gleiche gilt für Osteuropa. Hierzu stocken wir gerade unsere Kapazitäten auf, insbesondere auch bei der Logistik und Beschichtung.

Seufert – In allen Märkten suchen die Verarbeiter einen optimalen Service. Und überall zählt Geschwindigkeit, Geschwindigkeit und nochmals Geschwindigkeit. Deshalb ist für uns die Kontrolle über die Wertschöpfungskette so wichtig. Nur so können wir einen optimalen Fertigungsprozess erzielen und die Prozesse selbst.

Glaswelt – Gegenwärtig ist der Neubau noch der Treiber, ab 2020 soll sich das abschwächen, wie sehen Sie diese Entwicklung?

Seufert – Generell sehen wir den Markt als sehr intakt an, wir sind in der Boomphase, ebenso wie unsere Metallbaupartner. Das wird auch für die nahe Zukunft gelten. Und es ist richtig, dass heute der Neubau (noch) stark dominiert, dennoch haben wir immer auch die Sanierung im Blick.

Glaswelt – Viele Verwaltungsbauten der 70er-, 80er- und 90er-Jahre stehen zur Sanierung an, wie sehen Sie dieses Potenzial und welche Systeme haben Sie hierfür im Programm

Jager – Hier stehen für uns einerseits Verbundfensterkonstruktionen im Fokus, also unsere 115er-Serie inklusive Sonnenschutz. Damit bieten wir Bauherren, Planern und Fassadenbauern ein Rundum-sorglos-Paket an. Die Systeme der 115er-Serie umfassen gleichzeitig den Schallschutz, der neben der Energieeffizienz immer wichtiger wird. Weiter kommen bei der Sanierung auch unsere Element-Fassaden zum Tragen, die für dieses Einsatzgebiet prädestiniert sind.

Glaswelt – Wird der Sanierungsmarkt in Zukunft generell für Sie wichtiger?

Seufert – Der Neubau und die Sanierung sind beide für uns wichtig. Entsprechend bedienen wir beide Märkte.

Glaswelt – Wicona bietet heute auch eine Closed Cavity Fassade an. An welche Zielgruppe richten Sie sich mit solchen Komplexsystemen?

Seufert – Insbesondere an Investoren, die mittel- bis langfristig planen und agieren. Closed Cavity Systeme bringen dem Investor entsprechende Vorteile, insbesondere durch den integrierten Sonnenschutz, der weniger Wartung erfordert und so die laufenden Kosten senkt.

Jager – Closed Cavity von Wicona ist für unsere Partner nicht komplex, denn wir unterstützen die Metallbauer entsprechend. Darüber hinaus projektieren wir die komplette Luftversorgung des Systems. Das bedeutet, wir übernehmen für den Fassadenbauer einfach die für ihn ungewohnten Arbeiten. Dazu kommt, dass wir für unsere Closed Cavity Fassade eine 10-Jahres-System-Garantie gewährleisten. Mit solchen Maßnahmen geben wir den Handwerkern auch Sicherheit.

Glaswelt – Welche großen Herausforderungen sehen Sie für Verarbeiter?

Seufert – Der Fachkräftemangel ist aktuell die wesentliche Herausforderung. Es gilt mehr denn je, junge Menschen für die Baubranche zu begeistern und zu gewinnen.

Glaswelt – Welche Unterstützung bietet Wicona in Sachen Digitalisierung?

Jager – Wir unterstützen die Metallbauer mit Konstruktionssoftware, inklusive den Details und der Maschinenansteuerung. Weiter können die Fassadenfachleute mit unseren Softwaretools auch ihre Montage planen. Gleichzeitig richten wir generell bei unseren Konstruktionen ein hohes Augenmerk auf weniger Bauteile. Das wiederum hilft den Fassadenbauern ihre Lagerhaltung zu reduzieren.

Seufert – Dazu kommt, dass unsere Architektenberater zudem auch den Metallbau mit beraten und zwar gemeinsam mit dem Vertrieb, das hilft den Planern und den ausführenden Handwerkern gleichermaßen. Wir wollen alle Prozessbeteiligten beim kompletten Entstehungs- und Entwicklungsprozess mit begleiten, inklusive den Bauherren sowie Finanzinvestoren, die wir ebenfalls beraten. Hier kommt wieder das Konzept des Next-Studios zum Tragen und die Einbindung unserer Partner.

Glaswelt – Wie schätzen Sie den Trend ein, künftig die Gebäudetechnik in die Fassade auszulagern sowie dort Energie zu gewinnen?

Jager – Wir hatten diesen Ansatz bereits vor 15 Jahren vorgestellt. Das ist interessant, aber das wird erst richtig zum Tragen kommen, wenn einer den Hut hierfür aufzieht, also als Komplettsystem-Integrator auftritt. Wir haben hier im Konzern das Know-how und das Wissen und wir haben bereits auch TEmotion Systeme von 2004 als Konzept, das wir jederzeit weiterentwickeln und optimieren können. Und vor gut 10 Jahren haben wir Heizen, Lüften und Speichern als Teile der Fassadenfunktion vorgestellt, inklusive aller Kabel und Rohre, alles wurde in der Fassade untergebracht. Bei solchen Systemen stellt sich jedoch immer die Frage: Wie kann man so etwas gewerkeübergreifend umsetzen. Wichtig hierbei ist, dass das Architkurkonzept des Gebäudes das mitträgt. Und was die Energiegewinnung in der Fassade angeht, damit hatten wir schon 1996/97 unseren Auftakt. Zum Einstieg hatten wir damals PV integriert. Weiter haben wir mit Rittersolar ein Solarthermie-Fassadensystem entwickelt.

Glaswelt – Vernetzung ist nicht nur in der Fassadentechnik ein Thema, sondern auch bei der Zusammenarbeit. Was war der Auslöser zur Gründung des Next-Studios?

Seufert – Für uns ist das Next-Konzept eine Win-win-Situation, wobei 1 + 1 = 3 ist. Jeder unserer Partner hat seine Kernkompetenz, genauso wie wir, und das wollen wir stärken. Genau das ist die Idee hinter Next und dem Next-Studio. Und das sind auch die Themen für die Zielgruppen, die hierher kommen, die sich über mehr als unsere Kernkompetenzen informieren wollen, also über das gesamte Spektrum der Gebäudehülle. Gleichzeitig ist das Studio auch ein Ort für Kommunikation und Austausch.

Jager – Wir haben hier keinen Wicona-Showroom, hier handelt es sich um ein Design-Studio mit hoher Informationsdichte. Ein wichtiger Part sind dabei Veranstaltungen, die diese Informationen weitertragen. Mit Next wollten wir die Themen der Zukunft aufgreifen, das was künftig die Branche beschäftigen wird. Das unterscheidet uns von einem Showroom. Der Besucher im Next sieht sich nicht nur Produkte an. Hier ist ein Ort, an dem er seinen Ideen freien Lauf lassen kann, hier schaffen wir viel Raum für Kreativität.

Glaswelt – Sie würden also sagen, der Schritt das Studio zu gründen hat sich gelohnt?

Seufert – Ja, auf alle Fälle. Die Besucher kommen hierher, um neues Wissen zu erhalten, darum geht es in erster Linie. Und das wird genutzt. Die Besucherzahlen sind weit höher als wir eingangs erwartet haben. Wir haben jeden Monat zwei bis vier Veranstaltungen; und wir sind praktisch ausgebucht. Dazu kommt, dass Frankfurt sehr gut mit Auto, Zug und Flugzeug zu erreichen ist, auch aus dem Ausland.

Glaswelt – Welche Rolle spielen die Partner und wie werden diese ausgewählt?

Seufert – Die Partner müssen sich gegenseitig ergänzen, jeder muss ein führender Player in seinem Bereich sein, sprich er muss Innovationskraft besitzen und Zukunftshemen mit besetzen. Das ist ein Muss. Wir schauen nach vorne und erwarten das auch von den Partnern.

Auch insgesamt müssen sich so die Partner pushen und gegenseitig befruchten, weiter nach vorne zu schreiten. Damit ändert das Studio auch permanent sein Erscheinungsbild. Das bedeutet, hier herrscht eine konstante Dynamik. Wir haben auch Partnerwechsel. Das ist Teil des dynamischen Konzepts.

Glaswelt – Könnten Sie sich vorstellen, solche Studios an anderen Orten und in anderen Ländern zu gründen?

Seufert – Ja, das ist aktuell in der Konzeption und wir wollen diese auch auf andere Länder übertragen. Wir haben hier insbesondere London auf dem Radar.—

Das Interview führte Matthias Rehberger.

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