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AI4BI: Artificial Intelligence for Building Industry

Schlaue Fassaden – AI im Glas- und Fassadenbau

_ Betrachtet man speziell das Bauwesen, so ist es eine der Branchen mit der niedrigsten Digitalisierungsrate. Neue Technologien werden infolge der langen Lebensdauer von Baustrukturen und den damit verbundenen Vorbehalten vor Risiken nur äußerst zögerlich eingeführt.

Hält man sich allerdings vor Augen, dass rund 7 % aller Erwerbstätigen weltweit im Bausektor arbeiten, besteht ein erhebliches Marktpotenzial in der Entwicklung und dem Transfer von neuen Ansätzen aus der AI in diese Branche.

AI im Glas- und Fassadenbau

Der Glas- und Fassadenbau ist im Bereich der industriellen Herstellung und Weiterverarbeitung von Gläsern hochgradig technisiert, da Minderqualitäten in der Verarbeitung zu fatalen Ereignissen in dessen Montage, Bau und/oder im Betrieb führen können. Demzufolge werden hochpräzise Maschinen für die Glasverarbeitung eingesetzt, um den spröden Werkstoff so zu veredeln, dass er höchste Qualitäten vorweist.

Die Maschinentechnik für die Glasveredlung wird ständig optimiert. Hier können aufgrund des hohen Digitalisierungsgrades AI-Technologien einfach angebunden und für eine schnellere und systematischere Verbesserung der Produktion und Herstellung eingesetzt werden.

Prozessparameter lassen sich auf einfache Weise infolge vorhandener Daten (ggf. in Echtzeit) optimieren und so der Produktionsablauf verbessern. Zusätzlich lassen sich mithilfe von In-Line-Scannern weitere Daten hinsichtlich der Produktionskontrolle verwenden, um so eine valide und quantitative Kategorisierung von neuen Bauprodukten zu schaffen.

Die Idee für den Einsatz von AI liegt in der In-Line Beobachtung von Mustern im Glas, z. B NiS-Einschlüsse, Schnittkanten bzw. gebrochene Glaskanten, und der Möglichkeit, daraus quantitative Aussagen hinsichtlich Bruchfestigkeiten abzuleiten ohne diese experimentell zu testen.

Gerade im Glas- und Fassadenbau kommen ferner neue Werkstoffe, speziell vielfältige Polymere, zum Einsatz, deren Materialmodellierung sich aufgrund ihrer Thermomechanik deutlich komplizierter als bei etablierten Baustoffen darstellt.

Was liegt im Trend?

Eine AI-unterstützte Modellierung der technischen Eigenschaften dieser Werkstoffe ist eine der aktuellen Entwicklungen in der Forschung. Hierbei nutzt man (die oft durch die Zulassungsverfahren bereits erhobenen) großen Datenmengen zur Charakterisierung des Werkstoffs unter quasi-statischen, gealterten und zyklisch-ermüdeten Randbedingungen. Nun lässt sich ein AI-basiertes Materialmodel kalibrieren. Das passende Stichwort hier lautet „Data-Driven-Material-Modelling“.

Zur Erinnerung: Die Fassade hat vor dem Hintergrund der Nachhaltigkeit und Energieeinsparung in den vergangenen Jahren enorm an Bedeutung gewonnen.

Hier sind zwei Ursachen zu unterscheiden: Einerseits bestimmt die Fassade die Gestaltung und Wahrnehmung des baulichen Objekts für die Nutzer und Öffentlichkeit, andererseits ist die Gebäudehülle ein signifikantes bauliches Subsystem für den Nutzerkomfort.

Im Fassadensegment stehen so der AI daher gleich drei Anschlusspunkte zur Verfügung:

  • AI-aided Design und Entwurf
  • AI-aided Predictive Maintenance
  • AI-aided Home/Office Building – Intelligent Home

Während das AI-unterstützte Design derzeit sehr wenig entwickelt und beforscht ist, gibt es grundsätzliche Strategien zur Einbindung einer AI für das Überwachen (Monitoring) und Instandhalten (Maintenance) von technischen Systemen mit einer Ereignisvorhersage (Prediction) durch eine AI.

Der besondere Fokus im Fassadenbau ist jedoch die Entwicklung von geeigneten und aussagekräftigen Merkmalen (Features), die eine bautechnisch sinnvolle und eindeutige Klassifizierung des jeweiligen Fassadenzustands erlauben. Die Optimierung der Nutzer-Behaglichkeit und deren Manipulation, z. B. durch eine Steuerung der Lichtlenkungs- oder Heizungssysteme, sind bekannt, allerdings finden diese bis dato bei allen Ansätzen zum „Smarthome“ keine Beachtung. Eine AI lässt sich hier auf bauphysikalische Kriterien erweitern und die Nutzerdaten so auswerten, dass ein Gebäude (Wohnraum/Arbeitsnutzung) die Vorlieben des jeweiligen Nutzers mit der Zeit über vielfältige Datenströme erlernt und sich auf ihn einstellt.

Diese Idee geht weit über aktuelle Ansätze zum „Smarthome“ hinaus, sodass eine begriffliche Abgrenzung des „Intelligent Home/Office“ Sinn macht. Der Grundsatz dabei lautet: „Das Gebäude lernt seinen Nutzer kennen“

So erkennt ein Gebäude den Nutzer

Grundsätzlich halten wir die Einführung von AI Technologien im Glas- und Fassadenbau sowie seinen benachbarten Industrien für sehr gut möglich, da die essentielle Bestandteile einer AI, nämlich das Vorliegen von Daten, bereits in vielfältiger Weise erfüllt ist.

Eine erste Aufgabe wird es nun für die Branche sein, die vorhandenen Daten so zu strukturieren, dass eine AI mit ihren mannigfaltigen Techniken darauf arbeiten kann, um in Kombination mit dem Ingenieur-Expertenwissen zu erfolgreichen Projekten zu führen. Ferner ist die Mitarbeit von innovativen Unternehmen aus der Glasbranche gefordert, um erste Anwendungen von AI im Glas- und Fassadenbau möglich zu machen.

Nachgefragt bei den Forschern

Glaswelt – Was versteht man denn nun unter AI – Artificel Intelligence?

Dr. Michael Drass – lm populärwissenschaftlichen, etwas ungenauen Sprachgebrauch rund um die Themen fallen folgende Begriffe: AI, Machine Learning (ML) und Deep Learning (DL). Obwohl alle drei Begriffe häufig als Synonym verwendet werden, definieren diese streng genommen nicht die gleichen Inhalte.

Betrachtet man Abbildung 1 so erkennt man, dass AI der Übergriff für alle Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz ist. Demzufolge ist also AI ein übergeordnetes Konzept, das 1956 an der Dartmouth Universität vorgestellt wurde.

Glaswelt – Und was verbirgt sich dann hinter dem Begriff Machine Learning?

Dr. Michael Kraus – Machine Learning / Maschinelles Lernen (Bild 01) ist eine Unterform der künstlichen Intelligenz, die es Systemen ermöglicht, aus vorgegebenen Daten zu lernen und nicht durch explizite Programmierung Handlungen, Befehle oder Entscheidungen auszuführen bzw. zu treffen. Um maschinelles Lernen anwenden zu können, bedarf es drei wesentlicher Parameter: Große Menge an verfügbaren Daten; eine Struktur (Pattern) in den Daten; ein mathematisches Modell/markierte Daten. Sind diese vorhanden spricht man von Supervised Learning, wenn nicht spricht man von Unsupervised Learning.

Glaswelt – Und was ist Deep Learning?

Drass – Beim Deep Learning nutzt man sogenannte künstliche neuronale Netze, um vor allem Muster in Daten zu erkennen. Ein künstliches neuronales Netz basiert auf einer Sammlung von verbundenen Knoten, welche dem menschlichen Gehirn ähneln (Bild 02). Aufgrund ihrer Fähigkeit, nichtlineare Prozesse zu reproduzieren und zu modellieren, finden künstliche neuronale Netze in vielen Bereichen Anwendung. Anwendungsgebiete sind u. a. Fahrzeug- und Prozesssteuerung, Mustererkennung (Radar, Gesichtserkennung, Sequenzerkennung (Sprach-, Handschrift- und Texterkennung), E-Mail-Spamfilterung u.v.m.

Glaswelt – Warum ist der Einsatz von AI gerade im Glas- und Fassadenbau sinnvoll?

Kraus – Gerade der Glas- und Fassadenbau besticht durch sein Streben nach Superlativen in der Konstruktion. AI-Technologie kann hier helfen, um Produkte mit verbesserten Qualitäten herzustellen, Prozessabläufe in der Verarbeitung zu optimieren oder ein Monitoring von Glasbauwerken durchzuführen, Stichwort „Predictive Maintenance“ (vorausschauende Wartung) bzw. „ProtectedbyAI“.

Glaswelt – …und was ist AI-unterstütztes Monitoring und das Konzept von ProtectedbyAI?

Drass – Gerade bei imposanten Glasbauwerken, wie der Glacier Skywalk in Kanada oder der Glasrutsche SkySlide in Los Angeles, sind höchste Sicherheitsanforderungen an die Konstruktion über ihre gesamte Lebensdauer erforderlich. Um trotz genauster Berechnungsmethoden ein höheres Sicherheitsniveau für die Struktur zu gewährleisten, sind Wartungen in zyklischen Abständen erforderlich, die sich durch AI unterstützen lassen.

Glaswelt – Bitte erläutern Sie das genauer.

Drass – Da Wartungen gerade bei den genannten Beispielen sehr aufwendig und kostenintensiv sind, ist ein zuverlässiger und wirtschaftlich-ökonomischer Betrieb nur dann möglich, wenn Instandsetzungsmaßnahmen durch ein AI-unterstütztes Predictive-Maintenance-Konzept vorhergesehen werden.

Dabei gilt es über kontinuierlich gemessene Sensordaten den „gesunden“ Zustand des Bauobjekts zu erlernen und Anomalien im Strukturverhalten über Muster-Erkennung zu identifizieren. Weicht der intakte Zustand zu stark vom aktuell-gemessenen Zustand ab, sind Wartungsmaßnahmen zu ergreifen.—

Das Interview führte Matthias Rehberger.

In der nächsten Folge erläutern wir AI, Machine Learning und Deep Learning und zeigen auf, wie sich diese Tools konkret im Glas- und Fassadenbau einsetzen lassen.

Die Autoren

Dr. Michael A. Kraus und Dr. Michael Drass sind die Gründer des Start-ups M&M Network-Ing UG, das seine Arbeit auf Prozesse mit AI im Bauwesen konzentriert, mit Fokus auf Fassaden- und Glasbau sowie Produktion, und hierzu Unternehmen berät.

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