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Welche Mängel und Schäden muss der Endkunde tolerieren?

Richtlinie = Regelwerk?

_ Stellen wir uns zwei unterschiedliche Szenarien vor, die man von der täglichen Arbeit auf der Baustelle kennt.

01: Das Haus ist im Bau. Die Fenster werden geliefert und eingebaut. Die Scheiben weisen im Scheibenzwischenraum nun Schmutz und sichtbare Saugerabdrücke auf. Hierbei handelt es sich offensichtlich um einen Mangel, der dann vorliegt, wenn der Käufer nicht erhalten hat, was vereinbart wurde oder was er erwarten konnte.

02: Das Haus ist zum Bezug fertig. Die Endreinigung ist durchgeführt. Die Scheiben weisen Kratzer auf. In diesem Fall handelt es sich vermutlich um einen durch Sachverständige zu beurteilenden Schaden.

Der Lieferant bzw. Handwerker nimmt die Beurteilung, z. B. von Kratzern, häufig nach der „Richtlinie zur Beurteilung der visuellen Qualität von Glas im Bauwesen“ 1) vor. Ist das zulässig?

Was muss ein Fensterglas leisten?

Transparente Verglasungen von Fenstern und Fassaden haben neben der Erfüllung der technischen Anforderungen primär die Aufgabe, Licht in den Raum zu lassen und eine ungehinderte Durchsicht von innen nach außen zu ermöglichen.

Eine Bewertung von Auffälligkeiten und optischen Beeinträchtigungen, wie zum Beispiel Kratzern, sollte nach dem Gesichtspunkt erfolgen, inwieweit die Funktion der Gläser, etwa die Durchsicht, bei normaler Nutzung behindert oder beeinflusst wird.

Entscheidend bei der Beurteilung ist die Durchsicht durch die Scheibe und nicht die Aufsicht.

Die „Richtlinie zur Beurteilung der visuellen Qualität von Glas im Bauwesen“ ist von interessierten Kreisen erarbeitet worden, deren Hauptaugenmerk darauf ausgerichtet ist, unvermeidbare oder nur mit sehr großem Aufwand vermeidbare Beeinträchtigungen von hochwertigen Bau-gläsern bis zu einer bestimmten Größenordnung zuzulassen.

Es handelt sich demnach um eine Anwendungsrichtlinie innerhalb der Beziehung zwischen Hersteller und Verarbeiter von Glasprodukten.

Nein, die Richtlinie ist keine anerkannte Regel der Technik!

Aber was gilt nun gegenüber dem Endkunden? Die Richtlinie ist kein Regelwerk für die Beziehung zwischen Lieferanten und Endabnehmern. Anderes gilt nur, wenn die Beurteilung von Mängeln und Schäden an Verglasungen nach dieser Richtlinie vertraglich vereinbart wurde.

Die Richtlinie ist keine Norm, die als anerkannte Regel der Technik gelten kann, auch wenn sie inzwischen langjährig existiert. Sie dient als Hilfsmittel bei der Bewertung von zumutbaren oder nicht zumutbaren Beeinträchtigungen.

Dies bedeutet keinesfalls, dass Glasfehler und optische Erscheinungen unterhalb der hierin beschriebenen Grenzen keine Mängel oder Schäden darstellen. Sind also Kratzer oder andere Beeinträchtigungen vorhanden, so wird mit dieser Richtlinie lediglich eine Hilfestellung bei der Beurteilung der Zumutbarkeit gegeben.

Die Beurteilung der Auswirkung von Beeinträchtigungen ist von einem Sachverständigen vorzunehmen.

Anwendung der Richtlinie

In der Richtlinie ist vorgegeben, dass die Beurteilung zum Beispiel nur bei diffusem Licht, das heißt bei Bewölkung erfolgen darf.

Aus Sachverständigensicht kann jedoch nicht ignoriert werden, dass über das Jahr gesehen sehr häufig die Sonne scheint und mögliche Beeinträchtigungen nur dann deutlich sichtbar sind. Die Beurteilung kann aus diesem Grund sehr wohl auch bei Sonnenschein erfolgen.

Sind zum Beispiel Saugerabdrücke auf dem Glas vorhanden, die nur auf einer regenfeuchten Glasoberfläche sichtbar werden (Foto 01), heißt es in einer Urteilsbegründung des Amtsgericht Iserlohn 2) unter anderem:

„… Unmittelbarer Zweck einer Fensterscheibe ist es zu isolieren und die Durchsicht zu gestatten. Dem Einbau einer Fensterscheibe liegen jedoch letztlich auch ästhetische Erwägungen zugrunde. … Auch Kreise in einer geringen Anzahl begründen einen Mangel. … Bei der Beurteilung eines Sachmangels legt das Gericht die Richtlinie zur Beurteilung der visuellen Qualität von Glas nicht zugrunde. … Sie wurde von den Parteien des Rechtsstreits auch nicht in dem Werkvertrag einbezogen. Schließlich ist die Richtlinie auch nicht zur Beurteilung der Frage zugrunde zu legen, was die übliche Beschaffenheit eines Werkes darstellt.“

Ähnlich dürfte die Begründung lauten, wenn Saugerabdrücke oder Kratzer nur bei Sonnenschein sichtbar sind (Fotos 02 und 03). Hier ist auch deren Art und Größe zu berücksichtigen.

Bei der Beurteilung sollte unter anderem auch die Raumnutzung mit einfließen.

So ist zum Beispiel eine Verglasung in einem Badezimmerfenster oder das Fenster eines Abstellraums anders zu beurteilen, als eine Verglasung in einem Büro oder ein großflächiges Wohnraumfenster.

Bei Fällen, in denen nicht auf objektive Beurteilungskriterien zurückgegriffen werden kann, bleibt es dem Sachverständigen vorbehalten eine Beurteilung der Zumutbarkeit, unter Umständen auch unter dem Gesichtspunkt des Üblichen vorzunehmen. Die „Richtlinie zur Beurteilung der visuellen Qualität von Glas im Bauwesen“ kann hier allenfalls eine Hilfestellung leisten,

Das Fazit der Autoren

Doch die letztendliche Beantwortung der Frage nach der Mangelhaftigkeit eines Werkes ist eine Rechtsfrage, die nur ein Gericht auf Grundlage eines von einem Sachverständigen vorgelegten Gutachtens beantworten kann.—

Fußnoten

1) „Richtlinie zur Beurteilung der visuellen Qualität von Glas im Bauwesen“ Herausgeber: Bundesverband Flachglas e. V., Troisdorf; Bundesverband der Jungglaser und Fensterbauer e. V., Hadamar, Bundesinnungsverband des Glaserhandwerks, Hadamar; Bundesverband Glasindustrie e. V., Düsseldorf; Verband der Fenster- und Fassadenhersteller e. V., Frankfurt am Main

Die Autoren vom SAK Glas

Der Sachverständigen Arbeitskreis Glas (SAK Glas), besteht aus neutralen, öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen auf dem Fachgebiet Glas und Glasanwendungen. Die Mitglieder sind

  • öBuV Dieter Balkow, Aachen
  • öBuV Wolf-Dietrich Chmieleck, Witten
  • öBuV Dr. Reinhold Marquardt, Vöhl
  • öBuV Hans-Herbert Zimmermann, Mülheim/Ruhr