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Im Interview mit Dr. Constantin Greiner

Wofür bezahlt der Kunde in der Zukunft?

Glaswelt – Herr Dr. Greiner, Sie haben auf dem Münchner Fenstergipfel im Herbst 2017 mit wichtigen Branchenplayern über die Digitalisierung der Fensterbranche gesprochen. Worum ging es hauptsächlich in dieser Diskussion?

Dr. Constantin Greiner – In der Fensterindustrie zeichnet sich seit Jahren eine Transformation ab, die alle betrifft. Ziel der Diskussion war es, die wichtigsten Unternehmen aus verschiedenen Segmenten der Branche zusammenzubringen und zu sehen, wo sie beim Thema Digitalisierung die Schwerpunkte setzen. Der digitale Wandel umfasst so viele Bereiche – nur, wer sich überlegt, was tatsächlich den Kundennutzen steigert, kann hier die richtige Richtung einschlagen. Deshalb stand bei der Diskussion auch die Frage „Wie hilft die Digitalisierung, unsere Probleme zu lösen?“ im Mittelpunkt.

Glaswelt – Wie ist die Branche generell aufgestellt, was die Digitalisierung angeht?

Dr. Greiner – Alle beschäftigen sich irgendwie damit – kaum ein Unternehmen hat jedoch echte Digital-Strategien. Aktuell sind es deshalb eher die endkundennahen Unternehmen wie Somfy oder neue Player, wie zum Beispiel vitraum.de, die hier die Nase deutlich vorne haben. Verglichen mit anderen Branchen ist der Ideenreichtum jedoch noch nicht so stark ausgeprägt, was die Nutzung digitaler Chancen angeht.

Glaswelt – In welchen Bereichen – von den Produktionsprozessen, den Produkten, der Interaktion mit den Kunden bis hin zum Vertrieb – ist die Branche schon am weitesten entwickelt? Und wo haben die meisten Fensterbauer den größten Nachholbedarf in Bezug auf die Digitalisierung?

Dr. Greiner – Im Vertrieb sind natürlich die Unternehmen, die nahe am Endkunden agieren, weit vorne. Sie können über ihren Service große Datenmengen aufbauen, die Aufschluss über die Vorhaben und Bedürfnisse der Kunden geben. Andere Unternehmen sind auch erste Schritte in Richtung 4.0 gegangen. In Bezug auf die Produkte ist man punktuell weiter. Hier stellt sich eher die Frage, wie man sie verkauft bekommt und wie der klassische Fensterhandel damit umgeht.

Glaswelt – Es ging in dem Fenstergipfel darum, Ideen zu erarbeiten, um gemeinsam besser zu werden. Kann man denn in diesem Punkt überhaupt gemeinsam besser werden, liegt es nicht vielmehr an jedem einzelnen, sich mit den Chancen und Risiken der Digitalisierung auseinanderzusetzen?

Dr. Greiner – Natürlich muss jeder einzelne seinen Ansatz finden, hier wird die Branche nicht auf „abwartende“ Unternehmen Rücksicht nehmen. Allerdings gibt es auch gemeinsame Themen. Die Kundenerwartungen haben sich durch die Digitalisierung verändert. Schnelligkeit und Convenience sind zu den wichtigsten Faktoren beim Kauf von Fenstern geworden. Eine einheitliche Software, Schnittstellen und gemeinsam genutzte Datensätze werden die Voraussetzung dafür sein, dass diese Erwartungen erfüllt werden können und dass die gemeinsame Lieferperformance verbessert werden kann.

Glaswelt – Eine lebhafte Diskussion entwickelte sich offenbar zwischen traditionellen Industrievertretern und Vertretern von Online-Plattformen. Was waren hier die Standpunkte?

Dr. Greiner – Hier ging es weniger um Statements, als um die unterschiedliche Art und Weise von Lösungsansätzen für aktuelle Probleme. Die Vertreter der Digitalwelt sehen zum Beispiel in der Digitalisierung eine Chance, die Qualitätssicherung der Montage zu verbessern, während einige Hersteller die Grenzen dieser digitalen Standardisierung aufzeigen. Deutlich wurde aber auch, dass die Lösungsansätze der „jungen Disruptoren“ nicht zwingend die sind, die von den großen und äußerst profitablen traditionellen Fensterherstellern in Zukunft genutzt werden müssen. Und die Diskussion hat gezeigt: Die „Neueinsteiger“ mit digitalen Vertriebsmodellen haben in Bezug auf die Leadgenerierung Vorteile, aber in den nachgelagerten Prozessen sind sie von den alteingesessenen Herstellermarken abhängig.

Glaswelt – Was hat die Digitalisierung mit der Montagequalität zu tun?

Dr. Greiner – Sehr viel – zum Beispiel, wenn die Dokumentation der Montage über eine App oder die Liveschaltung auf eine Baustelle erfolgen kann. Auch wenn das heute noch kaum einer so sehen will: Es wird die zwingende Notwendigkeit bestehen, dieses Nadelöhr aufzudehnen. Digitale Werkzeuge werden dazu einen Teil beitragen. Handwerksbetriebe müssen digitaler arbeiten, um auch junge Menschen für Handwerksberufe zu begeistern.

Glaswelt – Was schätzen Sie, wie groß wird der Branchen-Umsatzanteil sein, der 2020 über online-Plattformen getätigt wird?

Dr. Greiner – Schwierige Frage – ich würde jedoch behaupten, dass eine Verfünffachung des heutigen Volumens eher konservativ geschätzt ist.

Glaswelt – Wird der Preis durch Online-Geschäftsmodelle zum schlagenden Faktor?

Dr. Greiner – Nein, sicherlich nicht. Der Preis ist nur ein Kriterium im Kaufentscheidungsprozess der Endkunden. Kunden, die heute online Fenster & Montage „kaufen“, machen das nicht, um Geld zu sparen, sondern weil das Internet der Kanal ist, über den sie auch ihre sonstigen Einkäufe tätigen. Bequemlichkeit, Schnelligkeit und „Transparenz“ sind eher die Treiber dieses Verhaltens. Bisher sehen die Betreiber von Plattformen den Angreifern aus Osteuropa noch deutlich gelassener entgegen, als dies traditionelle Industrievertreter tun, da sie um die Vorteile von „Made in Germany“ wissen.

Glaswelt – Variantenvielfalt oder Spezialisierung im Bereich Fenster: Wo liegen die Chancen – und was sind die Risiken?

Dr. Greiner – Aktuell regelt diese Frage gerade der Markt, denn die Variantenvielfalt wird kaum „bezahlt“, was speziell die traditionellen Hersteller massiv zu spüren bekommen. Auch hier stellt sich immer wieder die von uns diskutierte Frage „Wofür bezahlt der Kunde in der Zukunft?“. Am erfolgreichsten sind Unternehmen, die sich auf eine Zielgruppe, einen Vertriebskanal oder auf bestimmte Produkte spezialisiert haben. Die Antwort ist deshalb nicht zwingend mehr Vielfalt, aber auch nicht die komplette Standardisierung, sondern eine klarere strategische Positionierung, die am Kunden der Zukunft ausgerichtet ist.

Glaswelt – Was erwartet ein Endkunde vom Fensterbauer in Bezug auf die digitale Sichtbarkeit und seine Geschäftsprozesse?

Dr. Greiner – Erwartungen? Er hat drei Ansprüche! Es soll bequemer sein, als zum Händler zu fahren, so einfach, dass er es versteht und so vollständig, dass an alles gedacht wurde.

Glaswelt – Was sind die heutigen Erfolgsfaktoren eines Bauelementeanbieters? Welche Argumente haben im modernen Fenstervertrieb die höchsten Prioritäten?

Dr. Greiner – Hier sind die Unterschiede zwischen den Segmenten Renovieren, Neubau und Objekt signifikant – den „One size fits all“-Ansatz kann es deshalb nicht geben. Auf die unterschiedlichen Ansprüche in geeigneter Weise eingehen zu können, ist bereits eine Fähigkeit, die nicht überall zu erkennen ist. Der digitale Vertrieb von Bauelementen wird weiter zunehmen. Eine schnelle Angebotserstellung und Service „auf Augenhöhe“ des Endkunden sind aber nicht nur im Onlinevertrieb Erfolgsfaktoren. Die veränderten Kundenansprüche bekommt auch der traditionelle Handel zu spüren.

Glaswelt – Ist es vielleicht auch manchmal gut, nicht der Taktgeber zu sein, sondern abzuwarten, mit welcher digitalen Strategie der Wettbewerber erfolgreich agiert und anschließend gute Konzepte zu antizipieren?

Dr. Greiner – Oft kopieren Unternehmen die Verhaltensweisen erfolgreicher Mitbewerber, ohne zu verstehen, wieso sie genau erfolgreich waren. Gerade in der stark segmentierten Fensterbranche sind aber die Handlungsfelder und damit auch zielführende Lösungen zu individuell, als dass sich der Erfolg eines Unternehmens im anderen kopieren ließe. Unternehmen, die abwarten, werden „Opfer der Transformation“! Es ist daher die unternehmerische Pflicht zu handeln und den eigenen Weg zu finden. Dazu gehört auch, dass man die Zukunft seines eigenen Unternehmens in kreativer Weise vorausdenkt und einen Modus entwickelt, durch den man in einer sich konstant verändernden Welt handlungsfähig bleibt. Aussitzen funktioniert nicht.

Glaswelt – 2016 haben Sie in einer vielbeachteten Studie darauf hingewiesen, dass deutsche Fensterbauer auf die Wettbewerbskonzepte der Importeure ihre Antworten finden müssen – und dabei haben Sie den Preis-, den Sortiments- und auch den Geschwindigkeitsvorteil angesprochen. Hat sich die Branche seitdem besser positioniert?

Dr. Greiner – Meines Erachtens noch deutlich zu wenig. Ich stelle fest, dass viele Unternehmen gerade in einem verschärften Wettbewerbsumfeld dazu neigen, am Status Quo festzuhalten und sich extrem schwer damit tun, sich von alten Erfolgsrezepten zu lösen. Doch genau das ist notwendig, um sich im neuen Umfeld zu positionieren. Mir fehlen wagemutige Beispiele, in denen Unternehmen bewusst aus dem gewohnten Umfeld ausscheren – sei es bei der Angebotserstellung, sei es im intelligenten Erschließen von neuen Vertriebskanälen oder mit konsequenten Botschaften in Richtung der Endkunden.

Glaswelt – In der Studie im letzten Jahr haben Sie davor gewarnt, dass das Fensterprodukt selbst an Bedeutung verliert. Welche Themen muss also ein Fensteranbieter auf jeden Fall besetzen, um auch in Zukunft erfolgreich sein zu können?

Dr. Greiner – Hersteller sollten die Automation und Steuerung im Blick haben und die Integration in den geschlossenen Datenaustausch mit allen relevanten Stakeholdern suchen. Im Bereich „Smart Home“ bedeutet das auch die Auseinandersetzung mit Technologieunternehmen wie Google, Amazon und Co. Klar muss allerdings auch sein: Der Kern bleibt das Fenster. Die Hardware muss passen, ansonsten verpuffen alle anderen Fähigkeiten.

Glaswelt – Wird es 2018 wieder einen Fenstergipfel geben?

Dr. Greiner – Die Resonanz der ausgewählten Teilnehmer war sehr gut, deshalb ist eine Wiederholung nicht ausgeschlossen. Sicher ist, dass die Munich Strategy Group auch 2018 den Dialog mit Unternehmen aus der Fensterbranche suchen und sich bei aktuellen Themen einbringen wird.

Glaswelt – Herr Dr. Greiner, besten Dank für das Gespräch —

Die Fragen stellte Chefredakteur Daniel Mund.

Wer ist Dr. Constantin Greiner?

Dr. Greiner studierte Volkswirtschaft und BWL an der Ludwig-Maximilians-Universität München, bevor er an der Uni Tübingen promovierte. Nach unterschiedlichen Stationen im Bereich der Unternehmensberatung ist er seit der Gründung bei der Munich Strategy Group tätig, wo er den Geschäftsbereich Bau leitet. Zu seinen Kunden gehören Unternehmen des gehobenen Mittelstands der Bauzulieferindustrie. Greiner ist Referent und Autor zahlreicher Fachpublikationen. 2016 verfasste er die Studie „Deutschlands Fensterindustrie im Formcheck. Wie müssen sich Fensterhersteller strategisch ausrichten, um die Markt- und Wettbewerbskräfte zu beherrschen?“

www.munich-strategy.com

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