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Fluch oder Segen oder unausweichliches Schicksal?

_ Um die Tragweite der Auswirkungen der zunehmenden Digitalisierung für den einzelnen Arbeitnehmer beschreiben zu können, ist Industrie 4.0 zunächst in den Gesamtkontext des Internets der Dinge, international Internet of Things (IoT) genannt, einzuordnen.

Das Internet der Dinge setzt sich einerseits aus den sogenannten „Embedded Systems“, damit sind Geräte gemeint, die Daten senden, verarbeiten und empfangen können, und andererseits aus den globalen Datennetzen zusammen.

Das kann der Wasserkocher sein, der vom Büro aus via App für 18 : 00 Uhr auf 85 °C programmiert werden kann, der Kühlschrank, der selbstständig bestellt, Amazons Alexa, die via Spracherkennung logische Sätze erkennt und mit den in der Cloud liegenden Algorithmen analysiert und Antworten gibt, oder auch der Fitnesstracker, welcher der Krankenkasse mitteilt, wann jemand wie welchen Sport gemacht hat.

Alle diese Anwendungen zählen genauso zum Internet der Dinge wie die Computerprogramme, die diese Daten sammeln (Big Data), logisch aufbereiten (z. B. durch Data Mining-Prozesse) und Schlüsse ziehen bzw. Antworten geben (Predictive Analytics/Predictive Maintenance). Alle erhobenen Daten sind ständig und überall in der Cloud verfügbar.

Folglich beschreibt das Internet der Dinge einen seit Langem etablierten Prozess innerhalb unserer Gesellschaft, der durch die Erfindung von autark kommunizierenden Geräten und aktuell durch große Unternehmen wie Google, IBM, Amazon, Microsoft und viele weitere Datensammler immer weiter vorangetrieben wird.

Einordnung von Industrie 4.0 in den Gesamtkontext

Industrie 4.0 hingegen ist definiert als die „Vernetzung von autonomen, sich situativ selbst steuernden und selbst konfigurierenden, wissensbasierten, sensorgestützten und räumlich verteilten Produktionsressourcen, so die Definition des Fraunhofer Instituts. Zu diesen Ressourcen zählen Produktionsmaschinen, Roboter, Förder- und Lagersysteme, Betriebsmittel, inklusive deren Planungs- und Steuerungssysteme.

Demnach ist Industrie 4.0 ein kleiner, dennoch aber ein sehr bedeutender Teilbereich des Internets der Dinge. Industrie 4.0 legt den Fokus der Digitalisierung, also des Empfangens, Verarbeitens und Sendens von Daten, eben auf die Industrie. Für Unternehmen bedeutet das konkret, dass sich damit ihre Flexibilität erhöhen lässt, so dass selbst Losgröße 1 wirtschaftlich gefertigt werden kann. Dazu kommt, dass die sogenannte Fertigungs- und Vertriebskette („Time to Market“) verkürzt wird.

Weiter lassen sich damit Prozesse durch zusätzliche Informationen automatisieren oder zumindest erleichtern, die Kundenzufriedenheit über ein höheres Qualitätsniveau und schnellere Bereitstellung steigern sowie eine deutliche Senkung der Herstellkosten erreichen.

Rahmenwerk der Bundesregierung

Fast man die eingangs genannten Punkte nun zusammen, bedeutet es, dass die Bundesregierung einem der fortschreitenden Digitalisierung unserer Gesellschaft immanenten Prozess einen Namen gegeben hat (Industrie 4.0) und diesen mittels diverser unterstützender Maßnahmen zu beschleunigen versucht, um die Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandortes Deutschland langfristig zu sichern.

Doch auch wenn die Bundesregierung das Thema Industrie 4.0 bereits seit 2013 mittels Förderprojekten und neu installierten Institutionen (www.plattform-i40.de) forciert, sind die Ansätze zur Umsetzung von Branche zu Branche extrem unterschiedlich.

Und die Anforderungen an Endanwender, Maschinenbauer, IT-Unternehmen, Automatisierungstechniker und Wissenschaft ändern sich seit Jahren massiv und vor allem sehr schnell.

Industrie 4.0 in der flachglasverarbeitenden Industrie

Mit Blick auf unsere Branche, die sich seit Jahren mit zunehmender Automatisierung aktiv in Richtung der Digitalisierung bewegt, beschreibt der Begriff Industrie 4.0 den Wandel weg von der manuellen Produktion.

Es ist der Wandel hin zu digitalisierten und (teil-)automatisierten Produktionen und Prozessen wie z. B. automatischen Bestellungen, Statusabfragen, Maschinenansteuerungen oder der Einlastung und Verschiebung von Kapazitäten.

Über kurz oder lang müssen alle Marktteilnehmer, die wettbewerbsfähig bleiben wollen, prüfen, wie sie durch zusätzlich bereitgestellte Dienste, wie z. B. die datenbasierte Automatisierung von (Fertigungs-)Prozessen oder zusätzlichen Schnittstellen oder die Bereitstellung von Daten, diese Entwicklung sinnvoll für sich und ihre Firma nutzen können.

Massenarbeitslosigkeit durch Automatisierung?

Während die Möglichkeiten durch Industrie 4.0 für das einzelne Unternehmen einerseits zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit dienen, bedeutet es andererseits, dass künftig zunehmend Tätigkeiten, die heute durch Menschen durchgeführt werden, mehr und mehr automatisiert bzw. durch Roboter ausgeführt und damit wegrationalisiert werden.

Eine Untersuchung der ING DIBA kam 2015 zu dem Ergebnis, dass von rund 30 Millionen untersuchten sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten mehr als 16 Millionen Beschäftigte gefährdet sein werden (Quelle: ING DIBA).

Eine Studie des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages kam 2016 zum Ergebnis, dass 42 Prozent der Beschäftigten in Deutschland in Berufen mit hoher Automatisierungswahrscheinlichkeit arbeiten. Das Risiko, dass große Teile der Bevölkerung durch die Digitalisierung Gefahr laufen, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, ist folglich nicht unbegründet.

Wenn IT Menschen ersetzt – Watson, übernehmen Sie!

Viele einfache Aufgaben werden heute bereits von IT-Systemen übernommen. Ein Beispiel dafür ist das von IBM entwickelte System Watson: Hinter diesem Begriff verbirgt sich eine semantische Suchmaschine, die Antworten auf Fragen gibt, die in natürlicher Sprache eingegeben werden.

Dahinter steckt eine riesige Wissensdatenbank, auf Basis derer mehr als 100 parallel ablaufende Algorithmen Zusammenhänge erfassen, Hypothesen erstellen und diese bewerten. Die Vision ist, Watson überall dort einzusetzen, wo logische Entscheidungen getroffen werden müssen. Im Januar 2017 wurden bereits über 30 Mitarbeiter einer japanischen Versicherung durch die Watson-Plattform ersetzt.

Die Zukunft ist nicht weit weg

Weitere Alltagsbeispiele sind beispielsweise selbstfahrende Lkws (die Teststrecke A9 ist seit 2015 in Betrieb), die neben dem Wegfall der Personalkosten auch deutlich effizienter werden, da sie unter anderem keine Pausen machen oder einhalten müssen, Kühlketten werden nicht mehr unterbrochen, die Ware ist schneller am Ankunftsort.

Auch selbstfahrende Autos sind heute schon bei Uber, Google und diversen Automobilherstellern in der Erprobung: Die Idee ist, sowohl private als auch Firmenwagen durch selbstfahrende Taxis zu ersetzen. Warum?

Der Nutzen ergibt sich durch eine einfache Rechnung: Bei einem unterstellten Nutzungsgrad eines Autos von heute ca. 5 Prozent am Tag (basierend auf 24 Stunden), lässt sich dieser zukünftig auf 30 – 40 Prozent steigern, da sich jeder überall und jederzeit ein umherfahrendes Taxi per App rufen kann.

Damit würden dann nur noch 25 Prozent der heutigen Autos benötigt. Weiteres Plus: Diese Fahrzeuge stehen wiederum permanent zur Verfügung. Zusatzeffekt: Ein großer Anteil der Jobs in der Automobilindustrie und in den angrenzenden Wirtschaftszweigen kann so wegfallen.

Und das ist für die Hersteller durchaus attraktiv: Die Unternehmen sparen viele Kosten ein, da keine Versicherungsbeiträge, Spritkosten, Steuern usw. anfallen. Die Gesellschaft benötigt keine Radarfallen mehr und die Autobranche weniger Zulieferer (Lenkrad, Rückspiegel …) etc.

Aufgabe der Institutionen

Durch die stetig steigende Geschwindigkeit der digitalen Entwicklungen (der Druck, der Erste zu sein, ist durch den Kapitalmarkt determiniert) nimmt gleichermaßen die Komplexität der durch IT-Systeme abzubildenden Aufgaben weiter zu, was weitere Arbeitskräfte überflüssig macht.

Übrig bleiben in einem solchen Szenario hochkomplexe Aufgaben, für die viele oder sogar das Gros der heute in der Branche beschäftigten Arbeitnehmer nicht ausgebildet ist. Die Unternehmen und die Arbeitnehmer, die mit der Digitalisierung nicht Schritt halten wollen oder können, werden über kurz oder lang auf der Strecke bleiben. Fraglich ist, was mit diesen (in Kürze) frei werdenden Arbeitskräften am Arbeitsmarkt passieren soll?!

Demgegenüber eröffnen durch die Digitalisierung neu entstehende Wirtschaftszweige auch Möglichkeiten für neue Arbeitsplätze und Ausbildungswege. Ob dies allerdings so schnell geschehen wird, wie Arbeitsplätze wegfallen, ist nicht vorhersehbar.

Die Aufgabe der Institutionen wird es sein, Rahmenbedingungen zu schaffen, um die durch die Digitalisierung zunächst wegrationalisierten Arbeitnehmer durch ein soziales Netz aufzufangen oder entsprechend weiterzubilden, ohne die Wirtschaft zu schwächen. Ob dies gelingt oder ob die Entwicklung hin zu einer Zwei-Klassen-Gesellschaft weiter voranschreitet, werden die nächsten Jahre zeigen. —

Die Begriffe zur Digitalisierung

  • <b>Internet der Dinge (IoT): </b>Ziel des Internets der Dinge ist es, automatisch Informationen aus Maschinen, Produkten etc. zu erfassen, miteinander zu vernetzen und deren Informationen in Echtzeit allen Nutzern/Beteiligten verfügbar zu machen. Über die jeweiligen Zustandsinformationen lassen sich auch zukünftige Bedarfe simulieren, z.&#8196;B. Maschine muss in drei Tagen gewartet werden.
  • <b>Smart Factory</b>: Digitalisierte, vernetzte Produktion/vernetzte Maschinen.
  • <b>Big Data</b>: Daten, die in der Smart Factory oder im IoT gesammelt werden.
  • <b>Embedded System:</b> Geräte/Maschinen/PC/Smartphones, mit der Möglichkeit ausgestattet, Daten zu empfangen, zu senden und zu verarbeiten
  • <b>Cloud</b>: Datenspeicher im Internet, in den sich auch alle Produktionsdaten auslagern bzw. sichern lassen. Weltweiter Datenzugriff wird so möglich.
  • <b>Predictive Maintenance</b>: Vorausschauende Wartung: Eine Maschine ist in der Lage zu erkennen, wann sie gewartet werden muss, und gibt diese Info an den Bediener weiter, zudem kann sie vor möglichen Ausfällen warnen.
  • <b>Data Mining</b>: Systematische Auswertung aller in der Produktion anfallenden (Big Data) Daten mit Ziel, die Produktion permanent zu optimieren.

Der Autor

Dr. Jan Schäpers ist seit einigen Jahren für den Glassoftware-Spezialisten Hanic tätig und heute als Geschäftsführer im Führungsteam des Unternehmens.

www.hanic.de

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