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Interview mit Prof. Markus Pretnar

“Jede Stadt hat ihr eigenes Lokalkolorit“

Glaswelt – Was ist Ihnen bei der Farbigkeit in den Städten Ihrer Reise entlang des Längengrades besonders ins Auge gefallen?

Prof. Markus Pretnar – Bestimmt die überraschendste Beobachtung war, dass sich lokale Farbvorlieben der einzelnen Städte nicht an Ländergrenzen halten, sondern diese durchaus überspringen können. Es sind eher regional bestimmte, kulturelle Vorlieben, die sich in der Farbigkeit der Städte erkennen lassen. Ein sehr gutes Beispiel hierfür sind die Städte Helsinki in Finnland und Tallinn in Estland, die strukturell sehr unterschiedlich sind, aber farblich einiges an gemeinsamen Traditionen aufweisen.

Glaswelt – Im Norden bunt im Süden matt. Wie sehen so die Unterschiede aus, in welchen Ländern werden welche Farben geschätzt?

Pretnar – Die Frage lässt sich kaum beantworten, denn ich habe in den jeweiligen Städten die Altstadtviertel genauso untersucht wie beispielsweise die Gewerbegebiete. Verkürzt kann man sagen, dass sich Gewerbegebiete oder Fußgängerzonen sehr stark ähneln, egal wo man ist. Gleichzeitig weisen ältere Bauwerke in einer Stadt häufiger die lokalen Materialien und damit auch entsprechenden Farbigkeiten auf. Sicherlich gibt es ein paar Klischees, die man auch nachvollziehen kann: Der Norden Europas ist durchaus farbiger, bunter als der Süden. Das mag auf die jeweiligen klimatischen Verhältnisse zurückzuführen sein. Wenn die Umwelt tendenziell trist und farbarm ist, dann schafft man sich farbige Abwechslung, das ist klar. Aber es gibt auch überraschende Ausnahmen: Bestes Beispiel ist die Stadt Czernowitz in der Ukraine, nahe der rumänischen Grenze. Eine so bunte, farbenfrohe Stadt, so weit im Süden hätte ich nicht erwartet.

Glaswelt – Welchen Einfluss hat das Wetter auf die Farbigkeit von Gebäuden und auch von Türen und Fenstern?

Pretnar – Die klimatischen Gegebenheiten haben bei den traditionellen Architekturen immer materielle und konstruktive Anpassungen und Lösungen hervorgebracht. Helle Farben reflektieren das Sonnenlicht besser als dunkle, daher sind im Süden die Architekturfarben auch generell heller. In regenreichen Regionen kommt es neben dem konstruktiven Holzschutz auch auf eine gute Wetterbeständigkeit der Materialien an. Hier sind es häufig farbige Lacke statt Lasuren, die verwendet werden. Gerade Fenster und Türen werden häufig farbig abgesetzt, um beispielsweise einen Akzent, ein Highlight, gegenüber einer zurückgenommenen Fassadengestaltung zu setzen.

Glaswelt – Was außer dem Wetter beeinflusst die Farbigkeit noch?

Pretnar – Auch die Umgebung, lokale Traditionen sowie lokale Moden beeinflussen die Farbgebung. Sicherlich sind es die geografischen, geologischen und klimatischen Verhältnisse, die sich am stärksten auf traditionelle Architekturen auswirken. Waldreiche Regionen haben eher einen hohen Anteil an Holzarchitekturen als waldarme Gebiete. Aber auch die lokalen Trends und Moden sind von großem Einfluss. Häufig stehen Nachbarschaften in „farbigen Verhältnissen“ zueinander. Sehr schön lässt sich das in den Stadtrandgebieten großer Städte, den Einfamilienhaussiedlungen beobachten. Dort ist es, vor allem in älteren Wohngebieten dieser Art oft so, dass sich die Nachbarn gegenseitig in ihren (Farb-)Gestaltungen imitieren und damit eigene lokale Farb- und Materialtraditionen etablieren.

Glaswelt – Stichwort Kontrast. In welchen Ländern treten Fenster und Türen optisch stark hervor und warum ist das so?

Pretnar – Unabhängig von der geografischen Lage sind Kontraste mit die wichtigsten Aspekte – gewissermaßen die Stellschrauben – der Farbgestaltung. Der Mensch sucht den Kontrast, er braucht die Unterschiedlichkeit seiner Umgebung, um sich wohl zu fühlen.

Glaswelt – Können Sie ein dazu Beispiel geben?

Pretnar – Das lässt sich am besten mit den natürlichen Licht- und Farbverhältnissen erklären: In der Natur sind die Lichtverhältnisse im stetigen Wandel. Sonnenstand, Bewölkung und Jahreszeiten verändern unsere Umwelt fortlaufend und wir empfinden diesen steigen Wandel der Verhältnisse als natürlich und angenehm. Hell wechselt sich mit schattig ab, überblendete Farben im Gegenlicht mit satten Farbtönen in der Abendsonne. In der Gestaltung leisten Farb-, Material-, Qualitäts- und Quantitätskontraste diese Abwechslung. Fehlt die Abwechslung, empfinden wir Gestaltung schnell als trist und unwirtlich.

Glaswelt – Glauben Sie, dass sich die Farbauswahl bei Fenstern über die Jahre verändert, sprich gibt es hier wandelnde Trends, wie bei Autos?

Pretnar – Selbstverständlich gibt es Trends und Moden. Die Welt wäre doch zweifelsfrei eintöniger ohne die stetige Abwechslung, auch über die Zeit. Anders als bei Autos sind die Architekturfarben etwas längerfristigen Trends zuzuordnen, sodass die Auswirkungen vielleicht etwas subtiler ausfallen. Neben einem gewissen Hang zu traditionellen Materialien und natürlichen Farbgestaltungen, auch bedingt durch ein größeres ökologisches Bewusstsein, kann man meiner Meinung nach in Westeuropa durchaus beobachten, dass wieder mehr Farbe, mehr Buntheit in der Raumgestaltung und Architektur gewagt wird. Nach langen Jahren der farblichen Zurückhaltung ist das eine schöne Abwechslung.

Glaswelt – Und wie sieht es mit dem Sonnenschutz aus, sind Ihnen Markisen und Rollläden auch in einer unterschiedlichen Farbigkeit aufgefallen?

Pretnar – Markisen, Rollläden sowie auch Türen und Fenster gehören zu den Bauteilen, die häufig in einer kontrastierenden Farbigkeit zur Farbe des Baukörpers gestaltet werden.

Glaswelt – Was steckt Ihrer Meinung nach dahinter?

Pretnar – Das hat sowohl gestalterische als auch ganz pragmatische Gründe, denn die Materialien der Bauteile unterscheiden sich grundsätzlich voneinander, sodass auch die Farbe – der Anstrich oder die Färbung – selbst eine andere sein muss. Einer Markise genau den gleichen Farbton wie beispielsweise der zugehörigen Fassade zu geben ist äußerst schwierig und dürfte meistens nicht gelingen. Also ist man gut beraten einen gewissen Farbabstand herzustellen. Zudem, und das ist der gestalterisch viel wichtigere Aspekt, eignen sich diese Elemente hervorragend, um der Hauptfarbe des Baukörpers einen farblichen Akzent zur Seite zu stellen, der beispielsweise durch einen Farbunterschied, etwa einer komplementären Farbgebung, eine gewisse Spannung und Abwechslung erzeugt.

Glaswelt – In Deutschland sind Markisen sehr häufig orange. Wie ist das in anderen Ländern?

Pretnar – Um ehrlich zu sein ist mir das bislang nicht aufgefallen, aber jetzt wo Sie danach fragen… Ich habe Deutschland auf meiner Reise nicht untersucht, denn ich wollte meine Methode der Farberfassung an Orten testen, die ich nicht oder zumindest nicht gut genug kenne. Grundsätzlich lassen sich einzelne Bauteile wie Türen, Fenster oder Markisen in ihrer jeweiligen Farbigkeit nicht wirklich in den Ergebnissen meiner Untersuchung herausfiltern, denn mich haben die grundsätzlichen Farbverhältnisse, jenseits des einzelnen Gebäudes oder Bauteils, interessiert. Hier habe ich das mengenmäßige Verhältnis der einzelnen Farben aufgenommen, um so einen proportionalen Gesamteindruck eines Ortes zu bekommen. Aus dem Vergleich verschiedener Orte in einer Stadt lassen sich die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Farbwelt einer Stadt herauslesen, gewissermaßen als eine Art Übersichtskarte.

Glaswelt – Sehen Sie hier einem Zusammenhang zu Fenstern und Türen?

Pretnar – In meinen Farbkarten lassen sich zwar die akzentuierenden Farben gut erkennen und wir wissen, dass diese Akzente häufig Bauteilen wie Türen, Fenstern, Markisen, Vordächern etc. zuzuordnen sind, aber einzelne Bauteile in dieser Karte zu identifizieren ist nicht möglich. Da müsste man die einzelnen Fotografien auswerten. Und zur Farbe der Markisen: Mir ist in Griechenland aufgefallen, dass es schöne grüne und blaue Markisen auf den ausladenden Balkonen, der sogenannten Athener Apartmenthäuser gab, …aber auf meinen Aufnahmen sehe ich auch viele rötlich/orangefarbene. Ich bin überfragt.—

Die Fragen stellte Matthias Rehberger.

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