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Interview mit Jochen Wilms

Wer nicht digitalisiert, hat verloren

Glaswelt – Die Digitalisierung erreicht nun auch die Fenster-, Fassaden- und Glasbranche. Warum tun Unternehmen gut daran, sich frühzeitig darauf einzustellen und mitzuziehen?

Jochen Wilms – Mit Blick auf andere Branchen wird deutlich, wie dramatisch die Digitalisierung traditionelle Strukturen in Frage stellt. Denken Sie nur an die Medienindustrie, in der der physische Absatz von Produkten fast keine Rolle mehr spielt. Oder aber an Unternehmen wie „Uber“ und „Tesla“, die dabei sind, die Automobilindustrie und damit auch alle deutschen Zulieferer vor fundamentale Herausforderungen zu stellen. Ein Start-up wie „Airbnb“ stellt mal eben innerhalb weniger Jahre die globale Tourismusbranche auf den Kopf! Ich könnte noch eine Vielzahl von Branchen und Beispielen nennen.

Fest steht, dass die Digitalisierung auch vor der Bauindustrie nicht Halt machen wird. Die wenigsten Unternehmen sind darauf vorbereitet. Weniger als 10 Prozent der Firmen in der Bauindustrie nutzen heute digitale Planungsinstrumente. Ganz zu schweigen von der Entwicklung neuer digitaler Geschäftsmodelle. Wer hätte noch vor wenigen Jahren gedacht, dass autonomes Fahren sich so schnell etablieren würde? Wie lange wird es dauern, bis „autonomes Bauen“ zum ersten Mal in großen Bauprojekten – zumindest in bestimmten Gewerken – zur Anwendung kommen wird? Die Digitalisierung der Bauindustrie wird in einem viel schnelleren Maße und einer Radikalität stattfinden, die man sich vor wenigen Jahren so nicht hätte vorstellen können.

Glaswelt – Welche Konsequenzen sehen Sie für Verarbeiter, die diese Entwicklung auf die lange Bank schieben wollen?

Wilms – Die Firmen müssen begreifen, dass es zur Digitalisierung keine Alternative gibt. Die Unternehmen, die jetzt nicht blitzartig aktiv werden und entsprechende Ressourcen einsetzen und in diesen Bereichen investieren, werden zukünftig zu OEM1-Lieferanten degradiert oder werden ihre Existenzberechtigung verlieren. Digitalisierung wird bisherige Prozesse bis ins Detail verändern, teilweise auf den Kopf stellen. Gleichzeitig wird sie bisherige Geschäftsmodelle grundsätzlich in Frage stellen. Viele denken nur an die Digitalisierung von Planungsprozessen, aber auch Bereiche wie beispielsweise Bauausführung, Logistik und Vertrieb werden sich grundlegend verändern.

Glaswelt – Die deutsche Baubranche ist heute in vielen Bereichen führend. Könnte sich das durch die Digitalisierung ändern bzw. wie?

Wilms – Die Digitalisierung der Bauindustrie wird auf jeden Fall in vier verschiedenen Handlungsfeldern stattfinden: Digitale Daten, Digitaler Zugang, Automation und Netzwerke. Die umfassende Erhebung und Nutzung aller Daten, der mobile Zugang zu den Daten, autonom arbeitende, sich selbst organisierende Systeme und Netzwerke, werden zu grundsätzlichen Veränderungen führen.

Das sind Handlungsfelder, in denen auch etablierte Unternehmen der Bauindustrie kaum oder keine Kompetenz haben. „Alphabet/Google“ hat zum Beispiel gerade mit dem Tochter-Unternehmen „Sidewalklabs“ angekündigt, in Toronto das Thema „Bauen und Stadtentwicklung“ neu anzugehen. Das Bauen beschäftigt zunehmend die großen digitalen Player sowie auch die großen Investoren, die bereit sind nunmehr auch Start-up Firmen im großen Stil zu finanzieren. Wenn die heute noch führenden Unternehmen der Bauindustrie sich nicht übergreifend über entsprechende Strategien zu diesen Handlungsfeldern Gedanken machen, und dies womöglich den „üblichen Verdächtigen“ im Silicon Valley überlassen, werden diese Bau-Unternehmen ihre Position und Souveränität verlieren.

Glaswelt – Welchen Rat geben Sie der Branche?

Wilms – Gerade die Fenster-, Fassaden- und Glasbranche hat aufgrund ihrer besonderen schnittstellen- und gewerkeübergreifenden Positionierung eine ganz besondere Chance, Kernprozesse digital neu aufzusetzen und auf dieser Basis auch neue digitale Geschäftsmodelle zu entwickeln. Jedes Unternehmen muss in den Kernbereichen seine Hausaufgaben konsequent angehen. Dem Thema IOT – Internet Of Things – wird dabei eine besondere Bedeutung zukommen müssen.

Gerade hier kann sich die hiesige Bauindustrie noch einen Vorsprung erarbeiten, wenn konsequent gedacht und gehandelt wird. Der Idealfall sähe so aus: Die führenden Unternehmen der Bauindustrie schließen sich mit strategischen Technologiepartnern zu einer Art „Building Star Alliance“ zusammen, um grundsätzliche Digitalisierungsstrategien – insbesondere auch zum Thema IOT – übergreifend anzugehen.

Sich nicht um die Digitalisierung zu kümmern wird tödlich sein – „Digitize or die“. Die Bauindustrie muss das Thema ebenso entschlossen wie pragmatisch angehen. In anderen Industriebereichen gibt es mittlerweile einige Vorbilder die zeigen, wie man vorgehen kann. Zu den Gewinnern werden die Unternehmen gehören, die Digitalisierung jetzt konsequent angehen. —

Das Interview führte Matthias Rehberger.

Fußnoten

1 Original Equipment Manufacturer = Erstausrüster, Zulieferer

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