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ESG-Spontanbruch durch Nickelsulfid-Einschlüsse

Wer zahlt die Zeche?

Bei der Herstellung von Einscheibensicherheitsglas (ESG) kommt es immer wieder zu Nickelsulfid-Einschlüssen. Bei Raumtemperatur dehnt sich dann ein solcher Nickelsulfideinschluss langsam aus und drückt gegen das umschließende Glas. Durch das Bruchverhalten von ESG kommt es dann häufig zum sogenannten Spontanbruch.

Spontanbrüche durch Nickelsulfid-Einschlüsse können noch Jahre nach Herstellung und dem Einbau des Glases auftreten. Die Konsequenzen solcher Brüche sind vielfältig. Die zerstörte(n) Scheibe(n) müssen ausgebaut und ersetzt werden. Gegebenenfalls müssen Sicherungsmaßnahmen gegen Sach- und Personenschäden getroffen werden (Bild rechte Seite). Damit verbunden sind Nutzungseinschränkungen, die vor allem bei gewerblichen Objekten erhebliche finanzielle Schäden nach sich ziehen können.

Der Heat-Soak-Test

Durch den sogenannten Heißlagerungstest (engl. Heat-Soak-Test) lässt sich die Bruchwahrscheinlichkeit durch Nickelsulfid-Einschlüsse reduzieren. Nach Abschnitt 3.2 der DIN EN 14179–1 gibt es statistisch nach Durchführung eines Heißlagerungstests nach den Vorgaben dieser DIN maximal einen Bruch auf 400 t Glas. Das entspricht bei Glas mit einer Stärke von 8 mm einem Bruch auf 20 000 m2. Bei nicht heißgelagertem Glas soll bei 8 mm dickem Glas die Bruchwahrscheinlichkeit bei einem Bruch auf 300 m2 Glas liegen.

Für die Bruchwahrscheinlichkeit bei nach der Bauregelliste 2006/1 heißgelagertem Sicherheitsglas (ESG–H) gibt es keine normative Festlegung.

Ein Heißlagerungstest muss auf jeden Fall vorgenommen werden, wenn dies mit dem Bauherren bzw. Auftraggeber vereinbart wurde. Wenn nicht, ergibt sich die Notwendigkeit eines Heißlagerungstests in den meisten Fällen aus technischen Normen. So sehen die technischen Regeln für die Verwendung linienförmig gelagerter Verglasungen (TRLV) vor, dass nicht heißgelagertes ESG nur bei Verglasungen bis 4 m Einbauhöhe verwendet werden darf, und auch nur dann, wenn Personen nicht direkt unter die Verglasung treten können.

Wer haftet im Schadensfall?

Als Haftende kommen im Schadensfall neben Fassadenplaner und Architekten auch Glasbauunternehmen sowie Glaslieferanten und Glashersteller in Betracht. Der Bauherr, der die Verwendung von ESG ausgeschrieben hat, haftet hierfür nicht unmittelbar. Er muss sich aber möglicherweise bei der Verteilung von Nachbesserungskosten oder anderer Schäden ein Mitverschulden anrechnen lassen, etwa weil er den Baustoff ESG zur Verwendung vorgesehen hat.

Wer wie haftet, hängt jeweils vom konkreten Fall ab. Für eine Haftung des Fassadenplaners oder Architekten kommen zwei Anknüpfungspunkte in Betracht. Zum einen besteht eine Aufklärungspflicht über das Risiko von Spontanbrüchen durch Nickelsulfid-Einschlüsse. Diese Pflicht entfällt nur dann, wenn der Auftraggeber das Risiko ohnehin kennt. Zum anderen dürfen die Planer ESG nur so einsetzen, dass auch im Falle eines Spontanbruchs keine größeren Schäden entstehen können.

Auch das Glasbauunternehmen, sprich der Verarbeiter, muss seine Aufraggeber möglichst früh auf das vorhandene Bruchrisiko hinweisen. Ansonsten haftet es unter dem Gesichtspunkt der unterlassenen Bedenkenanmeldung.

Der Glashersteller/Glaslieferant haftet gegenüber seinem Kunden, wenn er die Haftung nicht wirksam vertraglich ausgeschlossen hat. Zum Haftungsumfang des Baustofflieferanten (nur Ersatzlieferung Glas? Einbau? Ausbau? Folgeschäden?) urteilen die Gerichte nicht einheitlich. Die vorherrschende Meinung geht derzeit wohl dahin, dass neues Glas zu liefern ist und die betroffenen Scheiben auszubauen sind. Die Kosten für den Einbau der neuen Scheiben sollen nur bei einem Verschulden des Glasherstellers/Glaslieferanten von diesem übernommen werden müssen. Ein Verschulden ist beispielsweise anzunehmen, wenn der „Heat Soak Test“ geschuldet, sprich vereinbart war, aber nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurde.

Was sagen die Gerichte?

Bislang wurden zwei Urteile veröffentlicht, die sich mit der Thematik beschäftigen. Ein Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart (Aktenzeichen 4 U 23/07) und ein Urteil des Landgerichts Düsseldorf (Aktenzeichen 1 O 424/08). Das Urteil des Landgerichts Düsseldorf ist noch nicht rechtskräftig. In beiden Fällen verklagte der Auftraggeber ein Bauunternehmen.

Das Urteil des OLG Stuttgart lässt sich so zusammenfassen: Spontan brechendes ESG ist auch dann mangelhaft, wenn die Brüche technisch nicht vermeidbar sind. Das Leistungsverzeichnis enthielt im konkreten Fall zur Thematik Spontanbruch durch Nickelsulfid-Einschlüsse keinerlei Angaben. Eine Klausel zum Haftungsausschluss gab es nicht. Allein durch die Ausschreibung von ESG werde die Neigung zu Spontanbrüchen nicht „vereinbarte Beschaffenheit“ und damit eine Haftung hierfür ausgeschlossen.

Weil der Mangel aber auf einem vom Auftraggeber vorgeschriebenen Baustoff beruht, nämlich ESG, kann sich der Auftragnehmer von seiner Haftung befreien, und zwar durch eine ordnungsgemäße Bedenkenanmeldung. ­ Eine solche gab es im vom OLG Stuttgart zu entscheidenden Fall allerdings nicht. Dass eine Bedenkenanmeldung entbehrlich war, wurde im konkreten Fall nicht behauptet, weil der Auftraggeber die Problematik genau kannte. Allein der Umstand, dass der Auftraggeber eine „große Baufirma“ gewesen sei, reiche für die Annahme, er müsse das Bruchrisiko bei ESG kennen, jedenfalls nicht. Allerdings trifft den Bauherren/Auftraggeber ein Mitverschulden, wenn er das in Fachkreisen bekannte Risiko von Spontanbrüchen durch Recherchen erkennen konnte. Das Oberlandesgericht verteilte im konkreten Fall den entstandenen Schaden 1/3 zu Lasten des Auftraggebers und 2/3 zu Lasten des Fassadenbauers. Im Fall des Landgerichts Düsseldorf lag die Bruchrate deutlich über den Angaben in der DIN EN 14179 – 1. Das Landgericht stellt deshalb fest, dass ein Mangel jedenfalls dann vorliegt, soweit die Bruchrate über den in der DIN angegebenen Wahrscheinlichkeiten liegt. Die Frage, ob auch ein Mangel vorgelegen hätte, wenn nur so viele Scheiben zu Bruch gegangen wären, wie nach Vorgaben der DIN 14179 – 1 zu erwarten gewesen wäre (also ein Bruch auf 400 t Glas) lässt das Gericht offen. Die im konkreten Fall vorgesehene Sanierung durch das Aufbringen von Folien bewertete das Gericht im Ergebnis als Nachbesserungsmaßnahme, für die das ausführende Bauunternehmen aufzukommen sei.

Was ist den Beteiligten zu raten?

Dem Architekten, dem Fassadenplaner, dem Verarbeiter und dem ausführenden Bauunternehmen ist zu raten, ihre jeweiligen Auftraggeber frühzeitig, umfassend und nachweisbar über die Risiken des Spontanbruchs bei Verwendung von ESG aufzuklären.

Bei der Planung sollte stets berücksichtigt werden was passiert, wenn eine Scheibe spontan bricht und welche Schäden entstehen können. Das ausführende Bauunternehmen sollte soweit möglich bereits bei Vertragsschluss mit seinem Auftraggeber auf eine Klausel drängen, in der die Haftung für Spontanbruch durch Nickelsulfid-Einschlüsse und deren Folgen wirksam ausgeschlossen oder zumindest begrenzt wird.

Liegt eine solche Haftungsklausel – aus welchen Gründen auch immer – nicht vor, muss der Glasverarbeiter bzw. das ausführende Unternehmen so früh wie möglich vor Ausführung ordnungsgemäß Bedenken anmelden und eine Weisung seines Auftraggebers abwarten.

Darüber hinaus sollte sich das Glasbauunternehmen gegenüber seinem Glaslieferanten so weit wie möglich vertraglich absichern.

Der Glashersteller/Glaslieferant sollte schließlich mit seinen Kunden eine vertragliche Regelung treffen, in der die Risiken des Spontanbruchs durch Nickelsulfideinschlüsse angemessen verteilt werden. Außerdem sollte der „Heat–Soak– Test“ immer mit größter Sorgfalt durchgeführt werden. —

Der Autor

Dr. Achim Mundt ist seit rund 10 Jahren als Rechtsanwalt im Bau- und Immobilienrecht tätig und Autor zahlreicher Veröffentlichungen u.a. in der GLASWELT. Schwerpunktmäßig vertritt er Firmen und Mandanten aus der Glas- und Stahlbaubranche.


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