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Branchentreff

Rosenheimer Fenstertage: Zäsur im Anmarsch

In diesem Jahr sind etwas mehr als 700 Teilnehmer nach Rosenheim gekommen - Daniel Mund / GLASWELT - © Daniel Mund / GLASWELT
In diesem Jahr sind etwas mehr als 700 Teilnehmer nach Rosenheim gekommen - Daniel Mund / GLASWELT
Der Herbst zeigt sich in Rosenheim von seiner besten Seite, aber das Bild einer zu Ende gehenden langen Sommerperiode lässt sich vielleicht auch auf die Branche übertragen: Viele Teilnehmer des großen Branchentreffs in der bayrischen Provinz glauben nicht mehr so recht daran, dass die vollen Auftragsbücher in Zukunft noch so voll sein werden. Wenn man den Gesprächen Glauben schenkt, dann steuert die Branche mehr und mehr auf größere Probleme zu. Geschäftsführer und Vertriebler führen an, dass es die Branche verpasst hat, aus hohen Umsätzen auch ordentliche Erträge zu machen. Jetzt seien viele Player ohne obligate Reserven am Markt, nötige Investitionen in die Digitalisierung würden ausbleiben und die Gefahr drohe, dass alteingesessene Betriebe den Sprung in eine neue Zeit nicht mehr vollziehen können.

Prof. Sieberath geht, Prof. Lass kommt


Eine weitere Zäsur kündigt sich auch personell in der Branche und vor allem am wichtigen Fensterinstitut in Rosenheim an: Prof. Sieberath, der seit nunmehr 37 Jahren als international anerkannter Fensterfachmann das ift Rosenheim geprägt hat, verkündete auf den Fenstertagen seine ganz konkreten Rückzugspläne: Sieberath werde wohl in zwei Jahren die Institutsleitung an Prof. Jörn P. Lass übergeben. Und dazu kommt der just verkündete und vollzogene Generationswechsel im ift-Vorstand: Der langjährige Vorsitzende Bernhard Helbing wollte aus Altersgründen nicht mehr kandidieren. An seiner Statt wurde der langjährige Vize Oskar Anders zum Vorsitzenden gewählt.

Prof. Jörn P. Lass wird 2020 Institutsleiter am ift Rosenheim - Daniel Mund / GLASWELT - © Daniel Mund / GLASWELT
Prof. Jörn P. Lass wird 2020 Institutsleiter am ift Rosenheim - Daniel Mund / GLASWELT
Nebenbei bemerkt: Auch der Verband Fenster + Fassade, der ganz intensiv mit dem ift verbunden ist, steckt mittendrin im Generationswechsel: Geschäftsführer Ulrich Tschorn wird im November seinen Nachfolger präsentieren. Und auch der Bundesverband Rollladen + Sonnenschutz hatte just Anfang Oktober den Geschäftsführerwechsel publik gemacht: Rechtsanwalt Ingo Plück folgt als Hauptgeschäftsführer auf Christoph Silber-Bonz .

Teilnehmerzahl geht deutlich zurück


Blicken wir zurück auf die Fenstertage, lässt sich hinterfragen, ob diese Zäsur auch an der Teilnehmerzahl ablesbar wird: Waren es vor einigen Jahren einmal fast 1000 Teilnehmer, die sich nach Rosenheim aufmachten, so sind es diesem Herbst nur knapp über 700 gewesen. Prof. Sieberath jedoch findet diese Entwicklung angebracht: „Die Anzahl der teilnehmenden Fensterbaufirmen ist nicht gesunken, nur die sonst großen Gruppen der Systemhäuser sind kleiner ausgefallen. Ich bin glücklich über die Entwicklung, wir haben das angestoßen.“

Diskussion um das Tagungsprogramm

Prof. Sieberath beschäftigte sich mit dem Begriff “Grenzenlos“ im Zusammenhang mit unserer Branche. - Daniel Mund / GLASWELT - © Daniel Mund / GLASWELT
Prof. Sieberath beschäftigte sich mit dem Begriff “Grenzenlos“ im Zusammenhang mit unserer Branche. - Daniel Mund / GLASWELT
Eine Konstante aber begleitet die Fenstertage schon immer: Die Diskussion um das Tagungsprogramm. Auch in diesem Jahr gab es nach Meinung vieler Höhen und Tiefen, die auch jeder für sich unterschiedlich beurteilte.

Bereits im Vorfeld wurde ein Themenblock als „Fenstertage-untypisch“ angekündigt. Tatsächlich konnte der Veranstalter hier nicht überzeugen: Zwei Vorträge waren angesetzt, einer davon fiel aus und einer fiel eher auf als wenig informative Werbeveranstaltung für den dort vertretenen Anlagenhersteller.

Positiv hervorzuheben aber ist der Beitrag des Institutsleiters selbst: Prof. Sieberath beschäftigte sich mit dem Begriff „Grenzenlos“ im Zusammenhang mit unserer Branche. Dabei hielt er allen noch einmal vor Augen, wo unsere Grenzen liegen: die Ressourcen sind endlich, die Anzahl der Wohnungen decken nicht den Bedarf und im Prinzip klagt jeder über mangelnde Fachkräfte. Als ständige Grenzgänger gerieren sich auch die Politiker: Man setzt sich beispielsweise ökologische Grenzen und Klimaziele – gleichzeitig würde diese Grenzen leichtfertig überschritten. Schlimmer noch: Die Grenzüberschreitungen interessierten niemanden. 

Beklagt hat er auch die bedenkenlose Überschreitung der Systemgrenzen von Bauelementen. Als plakativer Beweis folgte die Abfrage im Zuhörerkreis: Rund 40 Prozent haben tatsächlich häufig Systemgrenzen überschritten. Und nur knapp über 10 Prozent halten sich an diesen Systemgrenzen.
Natürlich wurde auch von Sieberath ein Statement zur Dauerdiskussion um die DIN 18008 erwartet. Sein Kommentar und Rat: „An der Novellierung führt kein Weg mehr vorbei und bitte lassen Sie die Finger von der darin enthaltenen Risikoabschätzung“.

Alle Jahre wieder kommt das Vakuumisolierglas

Eine Teilnehmerreaktion beim Vortrag von Karin Lieb vom ift: Fensterbauer Jan Sehlmann freut sich, dass das Thema VIG wieder Fahrt aufnimmt, damit die Fenstermacher ein leichteres Produkt hantieren können. - Daniel Mund / GLASWELT - © Daniel Mund / GLASWELT
Eine Teilnehmerreaktion beim Vortrag von Karin Lieb vom ift: Fensterbauer Jan Sehlmann freut sich, dass das Thema VIG wieder Fahrt aufnimmt, damit die Fenstermacher ein leichteres Produkt hantieren können. - Daniel Mund / GLASWELT
Ein vielbeachteter Block vertiefte das Thema Vakuumisolierglas: Karin Lieb vom ift stellte darin den Schlussentwurf einer internationalen Norm und ein Prüfprogramm vor, das an einigen „Luftleeren“-ISO-Scheiben asiatischer Hersteller erprobt wurde. Die Ergebnisse liegen auf der Hand und sprechen gleichfalls nicht für das Produkt, denn damit einher geht eine Verschlechterung des Glasrandverbundes und gleichzeitig auch des U f -Wertes. Insofern kommt auch beim U w -Wert nur ein Teil der Verbesserung an. Deshalb ist für Lieb klar, dass bei Verwendung von VIG die Rahmenkonstruktionen angepasst werden müssen, was gleichzeitig auch die perfekte Überleitung auf den Beitrag von Peter Schober von der Holzforschung Austria war: Er zeigte neue Lösungsansätze für die technische Integration von VIG-Elementen in Fenster.

0-Schwelle oder nicht

Einen weiteren bemerkenswerten Vortrag hielt Knut Junge. Der selbst stark sehbehinderte Mitarbeiter am ift brachte einen ganz neuen Ansatz zum Thema Nullschwelle ins Spiel: Nicht die Schwellenhöhe ist entscheidend, sondern die Überrollbarkeit des Hindernisses. Gleichzeitig stellte er ein Messverfahren vor, welches die objektive Beurteilung von Schwellen in Form einer Klassifizierung ihrer Überrollbarkeit ermöglichen soll.

Nicht das Fenster verkaufen, sondern die Nutzung

Prof. Dr. Michael Braungart zögerte nicht, die Teilnehmer in Gänze und auch im Speziellen zu beschimpfen, die Dinge einfach nicht intelligent genug anzupacken. - Daniel Mund / GLASWELT - © Daniel Mund / GLASWELT
Prof. Dr. Michael Braungart zögerte nicht, die Teilnehmer in Gänze und auch im Speziellen zu beschimpfen, die Dinge einfach nicht intelligent genug anzupacken. - Daniel Mund / GLASWELT
Schließlich hielt im großen Saal Prof. Dr. Michael Braungart den mit Abstand provokativsten Beitrag – er zögerte nicht, die Teilnehmer in Gänze und auch im Speziellen zu beschimpfen, Dinge einfach nicht intelligent genug anzupacken. Für den Pionier des „Cradle to Cradle“-Gedankens geht es nicht allein um Nachhaltigkeit – es geht um ein umfassendes Qualitätsmerkmal eines Produktes. „In Zukunft müssen Produkte wie Fenster Dienstleistungen sein. Niemand braucht ein Fenster – ein klarer Fensterdurchblick ist erforderlich!“ Es gilt also, die Eigenschaft, die Nutzung zu verkaufen, nicht das Produkt. Dann würden Unternehmen tatsächlich auch das beste Produkt gestalten.
Martin Langen von B+L Marktdaten:Ohne viel Dreck und ganz schnell muss die Sanierung klappen. Das wäre ein Mega-Erfolgsmodell. - Daniel Mund / GLASWELT - © Daniel Mund / GLASWELT
Martin Langen von B+L Marktdaten:Ohne viel Dreck und ganz schnell muss die Sanierung klappen. Das wäre ein Mega-Erfolgsmodell. - Daniel Mund / GLASWELT
Und den Beitrag mit dem konkretesten Inhalten lieferte Martin Langen von B+L Marktdaten : Seine Erkenntnis: Aktuell werden viele Aufträge im Bereich der Sanierung mangels Kapazität abgelehnt. Parallel dazu werde sich mehr und mehr die starke Neubaukonjunktur wieder abkühlen. Also müsse man als Anbieter parat stehen und dem Kunden die perfekte Lösung im Bestand anbieten: Ohne viel Dreck und ganz schnell muss die Sanierung klappen. Das wäre ein Mega-Erfolgsmodell.

Daniel Mund