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Wohin entwickeln sich Fassaden?

Die Fassade kann mehr

GLASWELT: Herr Klein, Sie forschen an der Technischen Universität Delft an der Weiterentwicklung der Gebäudehülle, welche Themen stehen bei Ihnen im Fokus?

Tillmann Klein: Ich sehe aktuell zwei große Themenfelder auf die Fassadenbranche zukommen: das ist die Fassadensanierung, die uns stark beschäftigen wird und dann neue Funktionen, die die Fassaden künftig leisten müssen und die neue Konstruktionsformen nach sich ziehen.

GLASWELT: Können Sie den Bereich Fassadensanierung etwas näher umreißen?

Klein: Einer unserer Doktoranden, Thiemo Ebbert, hat gerade seine Dissertation zu diesem Thema fertiggestellt. Die Zahl der Gebäude die älter als 30 Jahre sind ist riesig; selbst wenn nur ein Teil davon saniert wird, übertrifft dieser Anteil den Neubau bei weitem. Ebbert hat herausgefunden, dass es für Bürogebäude ganz bestimmte Fassadentypen gibt und daraus passende Sanierungsstrategien abgeleitet. Die Fassade hat eine übergeordnete Bedeutung bei der Entscheidung für oder gegen eine Sanierung. Die Fassade bestimmt die Architektur und damit das Image des Gebäudes, ebenso den Nutzerkomfort und den Energieverbrauch. Dieser und die Gebäudelage bestimmen dann den zukünftigen Marktwert der Immobilie.

GLASWELT: Und was bedeutet dies in der praktischen Umsetzung für die Verarbeiter?

Klein: Die Sanierung ist der Zukunftsmarkt für den Fenster- und Fassadenbauer. Es gibt ein paar Besonderheiten der Renovierung gegen­über dem Neubau. Hier ein Beispiel: Oft ist ein Gebäude während der Renovierung in Benutzung, manchmal ist der Innenraum bereits saniert. Wie kann man also die Fassade so erneuern, dass ­dies den laufenden Betrieb wenig stört? Ideal wäre eine schnelle, kleinteilige Erneuerung, bei der der Nutzer nicht umziehen braucht, die keinen Dreck macht und ohne lautes Bohren auskommt.

GLASWELT: Betrachtet man die Fassade als Teil des gebäudetechnischen Konzepts, was muss man sich darunter genau vorstellen?

Klein: Die Vorteile, mehr und mehr haustechnische Komponenten in die Fassade zu integrieren statt zentraler Installationen, sind klar: Weniger Leitungen und Schächte im Raum und damit mehr Nutzfläche. Dazu kommt ein direkter Einfluss des Nutzers auf sein Raumklima. Es gibt auch Gegenargumente, aber man kann feststellen, dass die Fassade mehr zu einer aktiven Komponente im haustechnischen Konzept wird. Dazu kommt die Tendenz energiegenerierende Komponenten, Stichwort fassadenintegrierte Photovoltaik, einzubauen. Das ganze erhält noch einen weiteren Aspekt, wenn man bedenkt, dass Haustechnik und Fassade gemeinsam fast 50 Prozent der Baukosten ausmachen. Hier gibt es ein sehr großes Marktpotenzial für den Fassadenbauer.

GLASWELT: Und welche Konsequenzen ergeben sich aus solchen integrativen Systemen.

Klein: Es geht hier nicht nur um die Integration von mehr Technik wie z.B. automatische Fens­teröffner oder den Sonnenschutz, sondern auch um haustechnische Komponenten, wie Wärmetauscher, dezentrale Klimageräte. Die Entscheidung für eine solche integrierte Strategie hat direkte Auswirkungen auf andere Bauteile, wie die thermische Masse und das Nutzungskonzept. Zwei traditionell unterschiedliche Gewerke müssen gemeinsam geplant und gebaut werden. Da es heute kaum Firmen gibt, die sich in beiden Gewerken zu Hause fühlen, sind die Schnittstellen sehr wichtig. Denken sie nicht nur an den Einbau sondern auch an die Folgen für die Wartung und Haftung. Für den Planer bedeutet das eine große Herausforderung. Es muss integral geplant werden. Die Systemhersteller und die ausführenden Firmen müssen deshalb viel früher als heute üblich in den Planungsprozess mit einbezogen werden.

GLASWELT: Meinen Sie, dass künftig mehr geklebte Konstruktionen eingesetzt werden?

Klein: Ja, auf alle Fälle. Ein gutes Beispiel sind am Rahmen verklebte Gläser. Diese können statisch tragend wirken und das führt zu mehr Glas und geringeren Rahmenanteilen. Sicher wird die Verklebung die Verschraubung nicht ersetzen. Wenn die Zulassung einmal gewährleistet ist, kommt es darauf an, die Vorteile beider Verfahren von Fall zu Fall optimal zu kombinieren.

GLASWELT: Glas, Stahl, Alu und Holz sind die klassischen Materialien, wird das so bleiben?

Klein: Nein, auch neue Materialen finden den Weg in das Baugewerbe, z.B. Textilien und Folien wie ETFE (Ethylen-Tetrafluorethylen). Diese Technologie hat sich von der Spezialanwendung zur bewährten Konstruktion entwickelt. Die Hersteller stecken gerade viel Energie in Informationen für ausführende Firmen und Planer. Beim Unilever­haus in Hamburg von Behnisch Architekten wurde ETFE-Folie als Zweite-Haut-Fassade eingesetzt. Die Konstruktion ist sehr materialsparend und so ein guter Beitrag zur Schonung der Umwelt. Damit wären wir an einem weiteren Punkt, der großen Einfluss auf Fassaden haben wird, die Lebenszyklusbetrachung des Bauteils.

t.klein@tudelft.nl

Fassadenschnitt

Ein Detailschnitt durch die Fassade des neuen Hamburger Unilever Hauses, das von Behnisch Architekten, Stuttgart, entworfen wurde. Die vorgelagerte Fassade besteht aus Rahmen, die mit transparenten ETFE-Folien bespannt sind.

http://www.behnisch.com

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