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Im Interview mit Tillmann Klein von der Universität Delft

Fassadenbau — zu konservativ und zu träge?

Glaswelt – Sehr geehrter Herr Klein, welche Tendenzen erkennen Sie bei der Weiterentwicklung von Fassaden?

Klein – Da gibt es mehrere. Das Streben nach besseren U-Werten gehört ja heute schon zum Standard. Wir werden darüber hinaus aber mehr Technik in die Fassaden bekommen, wie beispielsweise durch die Integration von gebäudetechnischen Komponenten in die Gebäudehülle. Weiter beschäftigt uns gerade die Bewertung der Nachhaltigkeit der verwendeten Materialien sowie die Entwicklung von „End of Life“ Szenarien (englisch = Ende des Lebenszyklus) von Fassaden und den zugehörigen Produkten.

GLASWELT – Haben Fassaden, die nicht multifunktional sind, bald ausgedient?

Klein – Es ist ähnlich wie beim Auto. Wenn man den Spritverbrauch senken will, darf man nicht nur über einen sparsamen Motor nachdenken. Es geht auch um die Aero­dynamik, Gewicht, Reifen und Fahrwerk und Fahrverhalten. Für Fassaden bedeutet das, dass diese sich an die veränderbaren Außenbedingungen anpassen müssen; und zwar immer im Zusammenspiel von Gebäudetechnik und Gebäudestruktur. Es geht hierbei ja nicht nur um Energieverbrauch, auch die Komfortansprüche werden ständig höher. Die alte Strategie, einfach mehr zu kühlen oder zu heizen, geht zu Lasten der Energiebilanz. Ich würde also sagen, dass wir eine starke Tendenz zu adaptiven Fassaden sehen werden (siehe Infokasten).

GLASWELT – Und wie steht es mit der Weiterentwicklung von reinen Glasfassaden?

Klein – Auch da sehe ich eine Entwicklung, deren Potenzial sich zurzeit schwer abschätzen lässt. Neues kommt hier aus der Nanotechnologie. Wir untersuchen gerade zusammen mit Polymertechnologen der TU Eindhoven, inwieweit adaptive Coatings umsetzbar sind. Die Technologie kennen wir von LCD Bildschirmen. Die Wissenschaftler dort konstruieren wie wir, nur im Nano-Maßstab. Sie wissen, wie das geht und wir haben die richtigen Anwendungen dafür. Unser Traum ist ein adaptiver G-Wert von Glasscheiben, der im Sommer die Strahlung draußen hält und im Winter Energiegewinne erlaubt. Aber der Weg dahin ist noch weit. Auf unserer Fassadenkonferenz zum Thema „Technology Transfer“ am 19. Mai in Delft hatten wir hierzu sehr interessante Beiträge ( http://www.bk.tudelft.nl/futureenvelope ).

GLASWELT – Diese neuen Ansätze hören sich sehr spannend an. Doch wie sieht die praktische Umsetzung auf der Baustelle aus?

Klein – Die Baustelle ist eine Sache, aber es geht mehr darum, wie der Bauablauf selbst strukturiert ist. Dieser hat sich auf einer handwerklichen Basis über Jahrhunderte entwickelt. Das betrifft ebenso die Entscheidungsprozesse sowie die Vergabe von Aufträgen. Dazu kommen der Zeitdruck und projektweise wechselnde Teams. In der kurzen Bauzeit ist es fast unmöglich, wirklich neue und noch nicht vollständig ausgereifte Entwicklungen zu integrieren. Es ist wie bei dem Ei und dem Huhn. Man bekommt kein eckiges Ei ohne auch das Huhn zu verändern. Der Schluss daraus ist, dass Innovation am Bau meist schrittweise und langsam passiert, d.h. im Rahmen des etablierten Systems. Große Schritte erfolgen nur bei besonderen Projekten mit entsprechendem Budget sowie Zeit und Risikobereitschaft der Beteiligten.

GLASWELT – Woran liegt es, wenn Fassadenbauer sich kaum auf neue Systeme und Arbeitsweisen einlassen wollen?

Klein – Im Gegensatz zu anderen konstruierenden Disziplinen, wie die Automobilindustrie oder das Produktdesign, haben die Beteiligten am Bau meist sehr begrenzte finanzielle Kapazitäten. Wir haben mit unserer Forschung festgestellt, dass der Materialanteil bei Fassaden zwischen 40 und 50 Prozent der Kosten ausmacht. 15 Prozent entfallen auf den Entwurf und die Logistik und nur jeweils ein Fünftel auf die Produktion bzw. die Montage auf der Baustelle. Dabei birgt die Baustelle viele Risiken. Nehmen wir im Vergleich eine traditionelle Mauerwerkswand: Da liegt der Kostenanteil der handwerklichen Fertigung bei 60 bis 70 Prozent, dort wird das Geld verdient. Im Fassadenbau kann man hauptsächlich durch eine gute Planung und Produktion verdienen, vielleicht auch im Materialeinkauf. Die Gewinne investieren die Fassadenbauer in Bearbeitungssysteme, Werkzeuge und die Ausbildung der Mitarbeiter. Der Einsatz von neuen Systemen bedeutet also jedes Mal eine Umstellung mit entsprechendem Risiko. Denn im Gegensatz zur Autoindustrie, die nach Investitionen oft Millionen gleicher Einheiten fertigt, handelt es sich bei Gebäuden in der Regel um Einzelobjekte, mit einer überschaubaren Anzahl von Fassadeneinheiten/-elementen.

GLASWELT – Bremst das die Weiterentwicklungen von Fassaden nicht etwas aus?

Klein – Ja natürlich, im Vergleich zu anderen Disziplinen schon. Oft hören wir von Kollegen, etwa aus dem Flugzeugbau oder der o. g. Automobilindustrie, wie fortschrittlich da innoviert wird und wie langsam und konservativ Dinge ­ am Bau zugehen. Aber wir reden bei Fassaden oder Gebäuden ja auch nicht von Produkten. Vielmehr handelt es sich dabei um individuelle, projektgerichtete Entwicklungen, die eine eigene architektonische Verantwortung haben. Die Produktion von Automobilen ist lange nicht so flexibel, wie die von Gebäuden. Insofern gibt es beim Bau durchaus Innovationsbedarf, aber verglichen mit der Natur der Disziplin wird hier viel geleistet. Ich bin also wirklich nicht der Meinung, dass der Bau rückständig ist.

GLASWELT – Wo liegen heute die größten Potenziale für Verarbeiter?

Klein – Für den Fassadenbauer verbergen sich die größten Potenziale in der Logistik und in der Produktion. Viele Firmen setzen schon auf einen hohen Vorfertigungsgrad, damit wird der Anteil der Montage geringer. Die Systeme werden komplexer und mehr und mehr Subkomponenten müssen integriert werden. Die Fähigkeit, Schnittstellen zu definieren und logistisch zu bewältigen findet man so sonst bei keinem der Gewerke. Fassadenbauer könnten eine zentralere Rolle übernehmen, auch bei der Unterstützung der Planer.

Die Fragen stellte Matthias Rehberger, der Chefredakteur der GLASWELT.

Was sind adaptive Fassaden?

Adaptive Fassaden reagieren auf die sich stetig verändernden Umwelteinflüsse (Wetter, Temperatur, etc.). Das Ziel hinter solchen Systemen ist es, Energie einzusparen sowie ein besserer Nutzerkomfort. Bekannte Maßnahmen sind bewegliche Sonnenschutzsysteme, automatisch öffnende Fenster (zur Nachtauskühlung), eine sich anpassende Wärmedämmung, etc.

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