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Fassadensanierung am Beispiel eines Glasdachs

Nicht ganz dicht!

„Ich mache das schon seit über 20 Jahren. Das kriegen wir schon hin.“ Gerade bei steigenden Anforderungen an Design und Performance bergen Gewohnheit und das Vertrauen in Standardlösungen Risiken, die durchaus auch finanzielle Konsequenzen nach sich ziehen können. Leider bieten auch Systemhäuser bei vielen Projekten nicht die optimale Unterstützung. Die Ausführung und Planung von Glasfassaden muss viele Interessen vereinen. Gestalterischer Anspruch trifft auf funktionale Anforderungen. Bauphysikalische und technische Randbedingungen kollidieren mit den Wünschen nach Transparenz und Innovation. Experimentierfreude muss sich an der Realität messen lassen. Im Gegensatz zum Industriedesign, bei dem Prototypen entwickelt und getestet werden, wird ein Gebäude in der Regel nur einmal geplant und ausgeführt. So muss jedes Gebäude seine Dauerhaftigkeit beweisen, was auch für die Fassade gilt.

Bei Standardsituationen genügen die Details der Verarbeitungsrichtlinien. Für übliche Konstruktionen gibt es Unterstützung der Fachabteilungen. Bei den häufigen Aufgaben „am Rande des Systemkatalogs“ jedoch, ist der Fassadenbauer oft auf sich gestellt, wie das folgende Beispiel aus der Praxis des Fassadensachverständigen zeigt.

Gravierende Planungs- und Ausführungsfehler

Im hier vorgestellten Beispiel wurde für ein großes Verwaltungsgebäude aus gestalterischen Gründen ein nahezu horizontales Glasdach geplant (Dach­neigung 3 %). Dabei sollten die Ansichtsbreiten der Pfosten- und Riegelprofile möglichst minimiert werden, um eine maximale Transparenz zu erzeugen.

Aus Kostengründen wurde auf ein Systemprofil zurückgegriffen. Zusätzlich sollte die Verglasung mit einem Lichtlenkraster im Scheibenzwischenraum ausgerüstet werden.

Der Fassadenplaner wählte ein Systemprofil mit einer sehr geringen AnDer Der Fassadenplaner wählte ein Systemprofil mit einer sehr geringen Ansichtsbreite. Konstruktiv wurde nicht auf den Zusammenhang zwischen geringer Neigung und schmalen Profilen mit entsprechend kleinen Entwässerungsquerschnitten eingegangen.

Im Zuge der Vergabe übernahm ein Metallbauer den Auftrag. Obwohl die Verglasung eine Neuentwicklung war – ohne Eignungsbeweis für die spezielle Einbausituation – wurde dieses Produkt verwendet. Dabei meldete der Verarbeiter keine Bedenken bezüglich der geringen Neigung und der schmalen Profile an. Erschwerend kam hinzu, dass bei der Montage Personal zum Einsatz kam, welches geringe Erfahrung mit Glasdächern hatte. Beides sollte schwerwiegende Folgen nach sich ziehen. Das Ergebnis zeigte sich wie befürchtet: Das Dach ist großflächig undicht, weil das Entwässerungssystem der wasserführenden Ebene zu schmal ist, das Entspannungssystem nicht funktioniert (zugeschmiert) und nicht eingeklebte Dichtungssysteme dem Wasser nur die Chance lassen, sich einen Weg nach innen zu suchen. Folglich steht auch der Randverbund der Isolierverglasungen ständig im Wasser. Hohe Temperaturen – verursacht durch die Kunststoffeinlage im Scheibenzwischenraum – erhöhen die Klimalast über die Belastungsgrenze hinaus. Bei den Verglasungen kommt es zur Auflösung des Randverbunds.

Keine der angewandten Reparaturlösungen, wie die zusätzliche Versiegelung der Deckschalen oder ein Abkleben der Scheiben unterhalb der Anpressleisten, zeigte einen Erfolg, sodass nach Jahren der versuchten Reparatur eine Generalsanierung beauftragt wurde.

Notwendige Komplettsanierung

Grundlage der Sanierung war eine profunde Analyse der Konstruktion, verbunden mit zahlreichen Bauteilöffnungen. Dabei wurde festgestellt, dass die Entwässerung über die Glasfalzräume nicht funktionieren konnte, da sich Gefällebarrieren in dem System befanden. Eindringendes Wasser wurde so nach innen abgeführt. Im Bereich der Entwässerungsrinne war Holz verbaut. Ein Elektrokabel, das durch die wasserführende Ebene geführt wurde, sorgte hier für große zusätzliche Schäden.

Bei der Entwicklung der Sanierungslösung wurde jedes Konstruktionsdetail hinterfragt und vor Ort am Objekt auf Umsetzbarkeit geprüft. Die Dachverglasung musste vollständig entfernt werden. Auf das vorhandene Tragwerk wurde eine neue Pfosten-Riegel-Konstruktion aufgesetzt.

Dabei wurden Profile mit einer Ansichtsbreite von 76 mm gewählt, die entsprechend weite Entwässerungskanäle bieten.

Ein besonderes Augenmerk wurde auf die sorgfältige Ausführung der Kreuzpunkte und auf das Glasfalzbelüftungssystem gelegt. Zur Vermeidung ungeplanter Situationen bei der Ausführung wurde nicht nur der Kreuzungspunkt der Profile, sondern auch der Rinnenanschluss im 1:1-Modell geprüft.

Dank genauer Analyse, vollständiger Planung und sehr sorgfältiger Montage ist so im Rahmen der Komplettsanierung ein Dach entstanden, welches heute vollständig dicht ist.

Ohne enge Zusammenarbeit geht es nicht

Gerade bei der Planung von Fassaden und Glasdächern bedarf es der guten Zusammenarbeit aller Fachleute und der besonderen Beachtung folgender Punkte:

  • Bei Projekten mit besonderen Herausforderungen (über Standardlösungen hinaus) ist es häufig notwendig, dass der eigentliche Planer sich der Unterstützung von Fachplanern oder gar Sachverständigen bedient. Diese Spezialisten sollen den Entwurf und das Umsetzungskonzept kritisch hinterfragen und dabei gemeinsam die Möglichkeiten ausloten, um Anspruch und Anforderungen optimal zu kombinieren, um eine Basis für die fachgerechte Umsetzung gewährleisten zu können.
  • Der Fassadenbauer ist nicht nur Ausführer vorgegebener Details. Er besitzt auch (rechtlich) eine wichtige Kontrollfunktion in Form der Bedenkenanmeldung.
  • Wenn alle Bedenken ausgeräumt und die Ausführungsplanung kommuniziert ist, steht und fällt das Projekt mit der gewissenhaften handwerklichen Ausführung unter genauer Beachtung der Planung und Verarbeitungsrichtlinien des Systemhauses. Dazu bedarf es kompetent geschulten Personals, einer projektbezogenen Einweisung vor Ort und einer gezielten Baustellenkontrolle.
  • Bei Glasfassaden und Glasdächern sind Dichtigkeitsproben bei der Ausführung und eine sorgfältige Reinigung nach Fertigstellung unumgänglich. Während des Betriebs muss dem Bauherrn bewusst sein, dass Dächer regelmäßig gereinigt und jährlich gewartet werden müssen.

Ist allen Beteiligten bewusst, dass flach geneigte Glasdächer grundsätzlich Sonderkonstruktionen und Wartungsobjekte sind, die eines erhöhten Planungs-, Bau- und Montage- sowie Instandhaltungsaufwand bedürfen, lassen sich auch Projekte am „Rande des Systemkatalogs“ attraktiv realisieren und zeigen, dass auch ein Architekt Recht haben kann, wie dies ­ Le Corbusier bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts formuliert hat: Letzten Endes ist es immer das Leben, das Recht hat. Der Architekt hat Unrecht. —

Tipp der Redaktion: Lesen Sie auch den Beitrag „Energetische Fassadensanierung – Markt der Zukunft“ von Dr. Thiemo Ebbert (erschienen in GLASWELT 10/2011, Seite 82), der sich auf die Planung von Fassadensystemen fokussiert.

Die Autoren

Rudolf Evers ist öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Fenster und Fassaden aus Metall. Er ist Spezialist für Glasdächer und die Modernisierung von Bürogebäuden.

sachverstaendiger@r-evers.com

Dr.-Ing. Thiemo Ebbert promovierte an der TU Delft zum Thema strategische Sanierung von Bürofassaden. Bis Mitte 2011 war er als Fassadenplaner in Den Haag tätig, heute ist er Projekt- und Bauleiter bei der Goldbeck Bauen im Bestand GmbH, Bielefeld.

mail@th-e.de

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