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Konstruieren mit Dünnglas

Blume aus Glas

„Bei der Glasblume wollten wir an die Grenzen des Machbaren einer Glaskonstruktion gehen. Das Ergebnis ist eine spektakuläre Skulptur nach dem letzten Stand der Glas- und Verarbeitungstechnik“, so Andreas Winter von Lisec, ein Initiator des Projekts. Der Glasveredler aus dem österreichischen Leiben ist spezialisiert auf Sonderkonstruktionen.

„Weiter wollten wir zeigen, wie sich das mithilfe von neuer Anlagentechnik umsetzen lässt. Denn die hier eingesetzten Dünngläser lassen sich erst seit Kurzem mittels Lisec-Flatbed-Vorspanntechnik herstellen. Für die Entwicklung der Glasblume haben wir Arup aus London ins Boot geholt, eines der weltweit führenden Ingenieurbüros. Das Team um den Projekt-Ingenieur Hannes Spiß hat für uns das Design entworfen und war für die Detailplanung und Umsetzung verantwortlich.“ Die Tragwerkspezialisten sollten ausloten, wo die Limits des Werkstoffs liegen und was geht und was nicht.

Hannes Spiß: „Das Spannende an dieser Glaskonstruktion ist die Reduzierung der eingesetzten Materialien auf ein Minimum. Die verwendeten Verbundgläser bestehen aus 2 x 2 mm thermisch vorgespanntem Dünnglas.“ Diese Dünngläser wurden im Autoklaven kalt verformt, das heißt, die ursprünglich planen Gläser wurden in eine Form gespannt und mit dieser in die Anlage geschoben. Während des Autoklav-Zyklus wurde das Glas mit der VSG-Folie verbunden und die zuvor eingebrachte Verformung bleibt nach dem Abkühlen der Verbundgläser dann weiter erhalten.

Bei den Versuchen in der Entwicklungsphase wurden Biegeradien von etwa 1400 mm erreicht. Spiß: „Unter Beachtung der zusätzlichen Spannungen an den Punkthaltern, konnten wir einen Radius von weniger als 3000 mm erreichen. Eine der großen Herausforderungen war es, die Konstruktion mit Dünngläsern umzusetzen.“

Nach Auskunft des Ingenieurs mussten die sehr filigranen Scheiben robust genug sein, um auch statisch tragend zu wirken. Die insgesamt neun Blätter der Konstruktion mit einer Länge von jeweils ca. 5 m wurden geometrisch so angeordnet, dass sie sich gegenseitig stützen. Durch eine gezielte Anordnung der einzelnen Glas- und Beschlag-Komponenten ließ sich so eine stabile Konstruktion erreichen.

Die Herangehensweise der Konstrukteure

Zur Findung der Konstruktion wurde zunächst eine Reihe von Entwürfen auf dem Papier entwickelt (Bild 01). Um die Realisierbarkeit im dreidimensionalen Raum sicherzustellen, wurden diese am Computer modelliert und anschließend drei Varianten dreidimensional als Modell ausgedruckt (Bild 02). Mithilfe der Illustrationen und der Modelle wurde aus diesen Vorschlägen dann das finale Design festgelegt (Bild 03).

Die große Herausforderung bei dieser aufwendigen Herangehensweise bestand darin, auf der einen Seite die Statik bzw. die Tragfähigkeit der Konstruktion sicherzustellen, auf der anderen Seite sollte das Design nicht darunter leiden: Die statisch tragenden Verbindungselemente waren so konstruiert, dass sie nur einen minimalen optischen Einfluss auf die Skulptur ausübten. Der federleichte visuelle Eindruck sollte keinesfalls durch die Befestigungstechnik leiden.

Da Senkpunkthalter bei diesen Glasdicken nicht einsetzbar sind und Tellerhalter zu markant wären, fiel aus ästhetischer Sicht die Wahl auf geklebte Punkthalter. Diese boten zudem noch weitere Vorteile. Die Gläser werden so durch Bohrung nicht geschwächt. Und der Klebstoff kann die minimalen Krümmungsunterschiede zwischen dem VSG und den Punkthaltern ausgleichen. Das von Dow Corning entwickelte TSSA Silikon ermöglichte dabei die Reduzierung der Klebefläche je Punkthalter auf nur 40 mm.

Während des Projektverlaufs wurden mehrere Testreihen durchgeführt und verschiedene Mock-ups erstellt und bewertet. So wurde Schritt für Schritt das finale Konstruktionsdesign entwickelt. Die finale statische Tragfähigkeit und die damit verbundene Standsicherheit der Blume wird erst durch die Verbindung aller Einzelelemente miteinander erreicht. Deshalb musste für den Zusammenbau eine Unterkonstruktion entwickelt werden. Erst dadurch konnten die einzelnen Glaselemente Schritt für Schritt aufgestellt und verbunden werden.

Hannes Spiß: „Durch die CNC-Fertigung der Gläser und der Unterkonstruktion konnten wir sicherstellen, dass die nur minimalen Toleranzen eingehalten wurden.“ Die Montage, wie auch die spätere Demontage dieser komplexen Konstruktion, erforderte eine detaillierte Planung, bevor es an die praktische Umsetzung ging. Dabei dauerten die Arbeitsvorbereitungen und der Aufbau der temporären Unterkonstruktion deutlich länger, als die anschließende Montage der Gläser.

Das Potenzial der Dünnglastechnik liegt nach Meinung der beteiligten Glasverarbeiter und der Ingenieure aber nicht nur im hier vorgestellten künstlerischen Einsatz von Dünnglas, sondern gehe darüber weit hinaus. Durch optimierte Glasaufbauten unter Verwendung von Dünngläsern lässt sich das Gewicht von Glaselementen deutlich reduzieren. Dies wirke sich wiederum positiv auf die Dimensionierung von Fassadenelementen aus, was wiederum den Energieverbrauch während der Produktion (Graue Energie) senkt. Die Skulptur soll Impulse geben und zum Nachdenken anregen, wie sich künftig diese Art von vorgespannten Gläsern sowie von dünnem VSG einsetzen lässt, gerade auch im Hinblick auf die von Architekten vielfach ­gewünschten freien Formen. —

https://www.arup.com/

Matthias Rehberger

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