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DIN 18008: Konsequenzen für Glasverarbeiter und ISO-Hersteller

Mehr Leid als Freud?

Glaswelt – Macht die DIN 18008 das Leben für den ISO-Hersteller leichter?

Markus Broich – Durch die Einführung der DIN 18008 wird es für die ISO-Hersteller und die Fenster- und Fassadenbauer noch deutlicher, dass Verglasungen statisch zu dimensionieren sind.

Martin Reick – Ob es leichter wird kommt darauf an, ob der Isolierglas-Hersteller lediglich gemäß Kundenauftrag produziert oder ob er seine Kunden bei der Glasauswahl berät und die statische Vordimensionierung vornimmt. Im ersten Fall ändert sich für ihn wenig. Ebenso im zweiten Fall, sofern es um ISO-Formate mit kurzen Kanten größer etwa einem Meter geht. Werden jedoch 3-fach-Einheiten aus Float mit kurzen Kanten unter einem Meter angefragt, wird für den ISO-Hersteller das Leben deutlich schwerer. Denn diese Formate sind kritisch, da sie nach DIN 18008 oftmals nicht glasstatisch nachweisbar sind. Daher ist der ISO-Hersteller gezwungen, die kritischen Formate mit vorgespannten Gläsern, d.h. ESG oder VSG/TVG anzubieten. Das betrifft nach Branchenschätzungen rund jede zweite angefragte Isolierglas-Einheit.

Glaswelt – Wo liegen denn im Detail die neuen Anforderungen?

Broich – Im Gegensatz zu den TRLV wird das neue Nachweiskonzept der DIN 18008 den Materialeigenschaften von Glas (Veränderlichkeit der Materialeigenschaft in Abhängigkeit der Belastungsdauer) gerecht. Dadurch, und durch die Vielzahl der Lastkombinationen auf der Einwirkungsseite, erhöht sich der Rechenaufwand erheblich.

Reick – Die Bemessung nach DIN 18008 basiert auf dem sogenannten probabilistischen Sicherheitskonzept, wie es seit Jahren z. B. im Stahlbau verwendet wird. Dabei werden sehr viele Lastfälle untersucht, von denen i.d.R. der mit der höchsten Spannungsausnutzung bemessungsrelevant ist.

Eine genauere Analyse zeigt, dass bei den o.g. kritischen Formten fast immer die Lastfälle bemessungsrelevant sind, die Klimalasten betreffen. Verglichen mit der Bemessung nach TRLV ergeben sich hier deutlich höhere und für Floatglas unzulässige Glasspannungen. Eine Erhöhung der Glasdicke führt aber nicht zu einer Verminderung der Glasspannungen, sondern zu einer weiteren Erhöhung. Als einzige Lösung verbleibt dann nur statt Floatglas gleich dickes, vorgespanntes Glas zu verwenden. Dieses Verhalten ist erfahrenen Glasstatikern bereits aus Bemessungen nach TRLV bekannt. Jedoch zeigte es sich dort erst bei deutlich kürzeren Kanten kleiner ca. 50 cm.

Glaswelt – Welche Lösungswege sehen Sie für die Isolierglas-Hersteller?

Broich – Der ISO-Hersteller benötigt für die Berechnung nach DIN 18008 – wie bisher auch für die Berechnungen nach TRLV – entsprechende Softwareprodukte. Der Bundesverband Flachglas hat, unter Federführung des „AK Glasbemessung“, einen „Anforderungs- und Bewertungskatalog für Glasdickenempfehlungs-Software“ erstellt. Mit diesem Dokument wurden entsprechende Softwarelösungen, die nach DIN 18008 rechnen, überprüft. Die TU Darmstadt hat bestätigt, dass die Software „Glastik 5.0 Standard“ und „GlasGlobal 2.50“ normkonform nach DIN 18008 Teile 1-2 rechnen.

Reick – Hier sehe ich drei Lösungswege: Entweder akzeptieren die ISO-Hersteller diese Bemessungsergebnisse, müssen dann aber ihren Kunden, den Fenster- und Fassadenbauern und diese wiederum den Endkunden, erklären können, warum ein ISO-Aufbau, der nach TRLV noch ein unkritisches Standardprodukt war, nun nach DIN plötzlich kritisch ist und ohne vorgespanntes Glas nicht mehr nachweisbar ist und daher teurer wird.

Weiter kann sich der ISO-Hersteller auf die Nachweiserleichterung berufen, die von den TRLV in DIN 18008 übernommen wurde, wonach die meisten der genannten kritischen Formate nicht glasstatisch nachzuweisen sind.

Oder aber die ISO-Hersteller bzw. die gesamte Glasbranche hinterfragt kritisch die nach DIN mit geprüfter Software errechneten Bemessungsergebnisse. Denn die hohen Spannungsausnutzungen bzw. -überschreitungen hätten sich in der Vergangenheit bereits in Form höherer Reklamationsquoten zeigen müssen, was aber offensichtlich nicht der Fall ist. Es ist nicht ausgeschlossen, dass beim probabilistischen Sicherheitskonzept, das grundsätzlich richtig und europäisch unabwendbar ist, die Klimalast irrtümlich zu streng bewertet wird. Denn in den SZR von Isolierglas bleiben nach Feldmeier „(…) die auftretenden Drücke im Bereich des am Einbauort wirksamen Luftdrucks (…)“, weshalb sie nach EN 1990 ggf. als ständige Einwirkung angesehen werden können und mit einem kleineren Teilsicherheitsbeiwert belegt werden dürfen.

Glaswelt – Und welche Herausforderungen stellen sich für die Verarbeiter im Bereich von Sicherheitsglas?

Broich – In der DIN 18008 Teil 4 (TRAV) dürfen die Isolierglasaufbauten der Tabelle B.1 (Ersatz für Tab. 2 der TRAV) mit ESG auf der Angriffsseite und VSG auf der Absturzseite ohne weitere Prüfungen um ESG- und ESG-H-Mittelscheiben ergänzt werden. Die maximalen Breiten (Zeile 4, 19, 26 und 27) und Höhen (1, 3, 18 – 21 und 23 – 24) der Verglasungen in der Tabelle B.1 sind erhöht worden. Ebenso wurden teilweise die minimalen Breiten (Zeile 15) und die minimalen Höhen (Zeile 16) reduziert.

Im Anhang C der DIN 18008-4 ist ein „Nachweis der Stoßsicherheit von Glasaufbauten durch Rechnung“, welcher von Prof. Jens Schneider (TU Darmstadt) entwickelt wurde, hinzugekommen. Hierbei handelt es sich um ein genaueres Verfahren gegenüber dem im Anhang C der TRAV angegebenen Verfahren.

Reick – Sollten sich die Bemessungsergebnisse nach DIN 18008 auch nach kritischer Überprüfung als richtig erweisen, wird die benötigte Menge an vorgespanntem Glas, d. h. an ESG, ESG-H, VSG/TVG etc., deutlich steigen.

Hersteller von Sicherheitsglas müssten ihre Produktionskapazitäten erhöhen und ihre Lieferzeiten verringern, damit Isolierglas nach wie vor just-in-time produziert werden kann. Vermutlich müsste auch die Energieeffizienz beim thermischen Vorspannen und Heißlagern verbessert werden. Denn letztendlich soll 3-fach-ISO doch helfen Energie einzusparen.—

Die Fragen stellte Matthias Rehberger

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