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Im Gespräch mit Lorenz Burger

“An der DIN 18008 kommt auch der Fensterbauer nicht vorbei“

Glaswelt – Können Sie bitte kurz die Hintergründe für die Einführung der neuen Glas DIN erläutern, warum wurden überhaupt neue Bemessungs- und Konstruktionsregeln erarbeitet?

Lorenz Burger – Man muss die Normenreihe DIN 18008 generell in zwei Anforderungsteilen sehen: Da sind einmal die Konstruktionsregeln. Abgeleitet, geändert und erweitert aus den bisherigen Technischen Baubestimmungen TRLV, TRAV und TRPV. Hier wurde, und dies war sicherlich notwendig, der Konstruktionsfreiheit der Anwender Rechnung getragen. Neue konstruktive Möglichkeiten, wie z. B. Mischhalterungen und –lagerungen sind in der DIN verankert, ebenso größere Abmessungen bei punktgehaltenen sowie begehbaren Verglasungen und bei absturzsichernden Verglasungen der Kat. B kann der durchgehende Handlauf nun auch über punktuelle Befestigung am Glas erfolgen usw. Solche Konstruktionen oder Produkte können jetzt verbaut werden, ohne dass der Verarbeiter/Monteur aufwendige Einzelzulassungen beantragen muss.

Glaswelt – Sie sprechen von zwei Anforderungsteilen. Bitte erläutern Sie das...

Burger – Ja, zum Zweiten stellt die DIN 18008 auch eine Bemessungsnorm dar. Dies bedeutet, dass Nachweise wesentlich genauer zu führen sind als bisher. Das glasverarbeitende Gewerbe ist bis dato bei der Bemessungsart hinterhergehinkt. Die neue Form der Bemessung über Teilsicherheitsbeiwerte (unter Anwendung des semi-probabilistischen Sicherheitskonzeptes) ist in anderen Baubereichen seit Jahrzehnten übliche Praxis (auch im Hinblick auf europaweit gültige Normen). Eine Angleichung war zudem auch deshalb erforderlich, da sich das Bauprodukt Glas auch als tragendes Bauteil durchgesetzt hat.

Glaswelt – Was hat sich für den Anwender gegenüber den alten Bestimmungen geändert?

Burger – Wir dürfen hier nicht in den Glauben verfallen, dass die Normenreihe DIN 18008 nur den Glasverarbeiter oder den Isolierglas-Hersteller betrifft. Zu beachten und anzuwenden ist die Glas Norm sowohl von Planern, über die Glashersteller bis zu Händlern und Anwendern, hier Glaser, Fensterbauer, Metallbauer.

Es wäre falsch zu behaupten, durch die Einführung der DIN 18008 hätte sich nicht viel geändert, wie man schon öfter in der Fachpresse und in Veröffentlichungen lesen konnte. Auch hier ist eine geteilte Betrachtungsweise angesagt. Bei den Anwendungs- bzw. Konstruktionsregeln haben sich die Änderungen in Grenzen gehalten, das ist richtig. Um es prozentual auszudrücken, kann man von etwa 15 Prozent sprechen. Diese sind jedoch, wie schon angesprochen, eher zugunsten der Anwender ausgefallen.

Völlig neu ist die Art der Bemessung, also die zu erbringenden rechnerischen Nachweise, nicht die baurechtlichen Bestimmungen nach der Pflicht zum rechnerischen Nachweis.

Glaswelt – Bitte erläutern Sie, was und wie nach DIN 18008 nachgewiesen werden muss.

Burger – Spannungsnachweise mussten auch bis jetzt schon vorgelegt werden. In der TRLV gab es unter Punkt 5.4 eine Nachweiserleichterung für Vertikalverglasungen. Nur gab es noch diese „4-Meter-Regel“, die es dem Anwender erlaubte, alle Verglasungen deren Oberkante unter 4,0 m über einer Verkehrsfläche liegen, ohne rechnerischen Nachweis einzubauen. Hier sollte man mal den Text genauer unter die Lupe nehmen. Für Vertikalverglasungen, deren Oberkanten unter 4,0 m über einer Verkehrsfläche liegen, benötigte man zwar keinen rechnerischen Nachweis, die bautechnisch erforderliche Glasdicke und Glasart musste jedoch auch eingebaut werden. Hier stellt sich für mich die Frage, woher der einbauende Betrieb früher den korrekten Glasaufbau hatte.

Zurück zur Kernfrage. Der Text unter Punkt 7.5 in der DIN 18008-2 stellt auch eine Nachweiserleichterung dar, jedoch ohne die „4-Meter-Regel“. Somit sind sämtliche Vertikalverglasungen aus Mehrscheiben-Isolierglas rechnerisch nachzuweisen, wenn die Vorgaben aus Punkt 7.5 der Norm über bzw. unterschritten werden.

Glaswelt – Und wann müssen diese rechnerischen Nachweise vorliegen?

Burger – Darüber lässt sich die Norm nicht aus. Auch dürfte es nicht möglich sein, im allgemeinen Tagesgeschäft generell rechnerische Nachweise vorzulegen. Betrachtet man alleine die Begrenzung der Glasfläche auf 1,6 m² oder eine Unterschreitung der Glasdicken von 4 mm, so müsste für jede Terrassentür dieser Nachweis gemacht werden. Aus Verarbeitersicht ist dies eine Unmöglichkeit.

Aus meiner Sachverständigen-Sicht ist es ausreichend, wenn statisch der richtige Glasaufbau eingesetzt wurde. Erst auf Anforderung muss der Nachweis dann vorgelegt werden, wobei ein prüfbarer statischer Nachweis kostenpflichtig ist. Der verwendete Glasaufbau muss dann aber stimmen, sonst verstößt der Anwender gegen die Technische Baubestimmung.

Glaswelt – Wie muss der rechnerische Nachweis erfolgen?

Burger – Der rechnerische Nachweis zur Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit ist nach DIN 18008-1, Punkt 8 zu führen. Wesentliche Änderungen in der Bemessung von Glaskonstruktionen finden sich in der Anwendung des semi-probabilistischen Sicherheitskonzeptes, das mithilfe von Teilsicherheitsbeiwerten die geforderte Zuverlässigkeit sicherstellen soll. Die Bemessung erfolgt konform zur DIN EN 1990 Eurocode: Grundlagen der Tragwerksplanung. Wie bisher ist eine Ermittlung des Glasaufbaus ohne ein Rechenprogramm nicht wirtschaftlich machbar.

Glaswelt – Und wer hat diesen rechnerischen Nachweise zu erbringen?

Burger – In erster Linie ist der rechnerische Nachweis vom einbauenden Betrieb zu erbringen, jedoch aus meiner Sicht erst dann, wenn dieser angefordert wird. Grundsatz ist und bleibt jedoch die Verwendung der korrekten Glasart und des korrekten Glasaufbaus.

Glaswelt – Wie wird der Hersteller und Anwender juristisch durch diese Regelung belastet?

Burger – Der Isolierglas-Hersteller nicht mehr als in der Vergangenheit. Denn ein Hersteller ist mangels erforderlicher Angaben zum Einbauobjekt nicht in der Lage, korrekte Glasaufbauten zu ermitteln. Auch wird er generell seine Haftung für errechnete Glasaufbauten erheblich einschränken. Anders liegt der Fall beim Anwender, sprich dem Fenster- und Fassadenbauer sowie Planern.

Glaswelt – Können Sie dies näher erläutern?

Burger – Gerne, gehen wir noch einmal zurück zum Tagesgeschäft. Ein Fensterbauer verglast z. B. fünf Terrassentüren, Fläche> 1,6 m² aus 3-fach-Isolierglas. Aus Erfahrung wird 3 x 4 mm Floatglas verwendet. Auch gibt uns die Erfahrung Recht, dass dieser Glasaufbau bis jetzt größtenteils funktioniert hat.

Bricht aber heute eine Scheibe und kommt es zum Gerichtsverfahren, dann hat ein Gerichts-Sachverständiger sicherlich den Auftrag, rechnerische Nachweise zu erstellen. Stellt er dann fest, dass diese Scheibe rechnerisch nicht funktioniert, kommt der Verglasungsbetrieb in die rechtliche ungünstige Position, keinen korrekten Nachweis angetreten zu haben. Die restlichen vier intakten Isoliergläser müssen dann ebenso als mangelhaft gewertet werden, obwohl kein Bruch vorliegt.

Vielfach wird vom Verarbeiter die Meinung vertreten, dass es bis heute ja auch funktioniert habe. Das mag wohl richtig sein, jedoch nach den neuesten Bemessungsregeln werden diese Gläser, insbesondere Dreifach-Isoliergläser, aufgrund der neuen Bemessungsregeln rechnerisch nicht mehr funktionieren.

Generell gilt: Der Anwender ist immer für sein Tun verantwortlich und trägt auch alle damit verbundenen Risiken. Vom Planer, über den Glashersteller bis hin zum Fenster- und Fassadenbauer und Verglasungsbetrieb müssen sich alle Beteiligten intensiv mit der Materie auseinandersetzen.

Glaswelt – Gibt es eine Möglichkeit, die Beteiligten bzgl. der neuen Glas-DIN zu entlasten?

Burger – Für standardisierte Glasaufbauten und Lastannahmen lässt sich mithilfe von neuen Bemessungsdiagrammen eine sichere Glasauswahl reffen. So ist das „Tabellenbuch Isolierglas“ entstanden (siehe Kasten). Aus über 120 Bemessungstabellen können nach Auswahl von Einbauort und Isolierglastyp die Glasaufbau für vertikale, allseitig gelagerte Mehrscheiben-Isoliergläser (2-fach- und 3-fach-ISO) festgelegt werden.

Diese Bemessungstabellen entlasten Hersteller, Planer und Anwender, da damit leicht eine Vorbemessung erfolgen kann. Alle von diesen Tabellenvorgaben abweichenden Glaskonstruktionen müssen gesondert berechnet werden.—

Die Fragen stellte Matthias Rehberger.

DIN 18008 – Bemessungstabellen für Verarbeiter

Diese Bemessungstabellen erlauben es ISO-Herstellern, Planern und Fensterbauern eine Glas-Vorbemessung ohne Aufwand zu erstellen. Alle von den vorgestellten Tabellenvorgaben abweichenden Glaskonstruktionen müssen gesondert berechnet werden.

www.lorenzburger.de

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