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Im Gespräch mit Thomas Wüest

Die Glas DIN hat es in sich

Glaswelt – Wie kommt es, dass Sie sich als Mitarbeiter einer Schweizer Hochschule so intensiv mit der DIN 18008 auseinandersetzen?

Thomas Wüest – Bisher hatte die Schweiz keine eigene Glasnorm und so arbeiten Planer und Ingenieure mit der TRLV. Da diese nun durch die DIN 18008 abgelöst wurde, ist es nur sinnvoll, dass man sich auch in der Schweiz an der DIN 18008 orientiert. In dem Zusammenhang stellte sich uns die Frage, ob die klimatischen und topografischen Werte übernommen werden können. Außerdem zeigte sich, dass Anwendungen, wie beispielsweise 3-fach-Isolierglas, nicht abgedeckt sind.

Glaswelt – War es aus Ihrer Sicht notwendig, die bestehenden Regelwerke (TRAV etc.) zu ersetzen und wenn ja, warum?

Wüest – Ja. Das deterministische Sicherheitskonzept der TRLV basierend auf zulässigen Spannungen ist veraltet und entspricht nicht mehr dem heutigen Stand der Technik. In allen Bereichen des Bauwesens wird heutzutage mit semi-probabilistischen Bemessungsverfahren unter Berücksichtigung von Teilsicherheitsbeiwerten gearbeitet. Dies erlaubt eine klare Trennung von Einwirkungs- und Widerstandseite und somit eine genauere Aussage über das Versagensrisiko.

Glaswelt – Ist die DIN 18008 in ihrer jetzigen Form in der Alltagspraxis eines Glasverarbeiters überhaupt handhabbar?

Wüest – Die Anwendung der DIN 18008 ist verglichen mit der TRLV ohne Rechnereinsatz sicher aufwendiger. In Zeiten, in denen fast nur noch mit dem Computer gearbeitet wird, ist es nur eine Frage der Zeit bis Berechnungsprogramme oder Tabellenwerke auf dem Markt sind mit deren Hilfe eine Bemessung nach DIN 18008 nicht aufwendiger ist. Dennoch: Die DIN 18008 hat es in sich.

Glaswelt – Wo sehen Sie die größten Herausforderungen im Umgang mit dem neuen Regelwerk?

Wüest – Mit der Übernahme der Bemessungswerte aus der TRLV in die DIN 18008 herrscht eine gewisse Diskrepanz zwischen den Sicherheitskonzepten. Dies gilt insbesondere für die Klimalastwerte, welche nun mit Lastsicherheitsfaktoren belegt werden. Daher ist das Unverständnis groß, weshalb nun einige Aufbauten plötzlich nicht mehr nachweisbar sein sollen. Es gilt nun, die Randbedingungen und Rechenwerte zu überprüfen und im Einklang mit dem neuen Sicherheitskonzept neu zu erarbeiten.

Glaswelt – Sie haben in der Artikelserie in der GLASWELT viele Ausnahmen und Bedingungen aufgezeigt, die von der DIN 18008 ausgeklammert oder nicht berücksichtigt werden. Wo sehen Sie dabei besondere Fallstricke und wie kann der Verarbeiter diese handhaben?

Wüest – Die DIN 18008 erfordert ein höheres Verständnis und umfangreicheres Fachwissen über Baustatik und Sicherheitskonzepte als es die TRLV verlangte. Mit den zusätzlichen Ausnahmen wird die Betrachtung noch anspruchsvoller und die komplexen Zusammenhänge sind für den Laien schlicht zu unübersichtlich.

Glasanwendungen bergen jedoch auch ein hohes Schadenspotenzial, weshalb mittlerweile auch sehr hohe Sicherheitsanforderungen gestellt werden. Die korrekte Bemessung von Glas gehört deshalb immer in die Hände eines erfahrenen Ingenieurs.

Glaswelt – Wenn Sie die Möglichkeit hätten, Anpassungen im Regelwerk vorzunehmen, wo wären Ihre Ansatzpunkte?

Wüest – Dies ist ganz einfach: die Standardsituationen im Klimalastnachweis streichen und gesonderte Temperaturtabellen für 2-fach- und 3-fach-ISO einfügen.

Glaswelt – Heute wird 3-fach-ISO bei der Planung und Handhabe häufig wie ein 2-fach-ISO mit einer dritten Scheibe behandelt, warum ist das vom Ansatz her falsch?

Wüest – Ja leider wird bei der Klimalast von 3-fach-ISO noch immer die Analogie zum 2-fach-ISO mit dickerem SZR verwendet. Dabei wird der thermische Einfluss der Mittelscheibe auf die Klimalast komplett ignoriert. Wenn Sie eine Fußbodenheizung verlegen, erwarten Sie ja auch, dass der Fußbodenaufbau sich erwärmt. Ähnlich verhält es sich, wenn sie in ein 2-fach-ISO eine Mittelscheibe einfügen. Die Mittelscheibe absorbiert Sonnenenergie und wirkt wie ein Heizelement im ISO. Durch die behinderte Wärmeabgabe über die SZR erwärmt sich die Mittelscheibe stärker als die Außenscheiben, dies führt dadurch zu höheren sommerlichen Klimalasten.

Glaswelt – Würde es für den ISO-Hersteller die Arbeit erleichtern, wenn er für die Bemessung immer einen Ingenieur hinzuziehen würde oder ist das unrealistisch im Alltagsgeschäft?

Wüest – In der Schweiz beschäftigen immer mehr Fassadenplaner speziell ausgebildete Fassaden- bzw. Gebäudehülle-Ingenieure mit entsprechenden Fachkenntnissen im Glasbau. Dies, da es sich gezeigt hat, dass der Einsatz solcher Fachleute in frühen Phasen wirtschaftlicher ist als bei Nachbesserungen.

Denkt man an die heute verwendeten großen Glasformate, Überkopfverglasungen, absturzsichernde Verglasungen, Glasverklebungen, etc. wird einem schnell bewusst, dass sich der Einsatz von Glas vom reinen Füllelement im Fenster zu einem Bauteil mit hohen Sicherheitsanforderungen gewandelt hat und die Bemessung deshalb auch von einem Fachmann durchgeführt werden muss.

Glaswelt – Glauben Sie, dass es Anpassungen in der aktuellen Glas DIN geben wird, geben muss?

Wüest –  Ja. Während sich einiges nicht veränderte, wurde anderes rechnerisch unmöglich. So werden mit den bisherigen Temperaturdifferenzen die Klimalasten an 2-fach-ISO mit dünnen Scheiben überschätzt und bei 3-fach-ISO unterschätzt. Die Balance zwischen dem probabilistischen Sicherheitskonzept und der Klimalastbemessung ist noch nicht gefunden. Dabei benötigt es eine beidseitige Annäherung, also von Nachweis- und Lastseite, dann steht einer wirtschaftlichen Isolierglasbemessung nichts mehr im Wege.—

Die Fragen stellte Matthias Rehberger

Der Autor

Thomas Wüest (M. Sc.) arbeitet am Kompetenzzentrum für Fassaden- und Metallbau der Hochschule Luzern T&A in Horw (Schweiz). In den GLASWELT-Ausgabe 05/2015 bis 07/2015 ist von ihm die Serie „Was nicht in der DIN 18008 steht“ erschienen.

www.hslu.ch/de-ch/technik-architektur

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