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Experimentelles Forschen: Sonnenschutz Einmal ganz anders

Haarige Fassaden

_ Innerhalb des praktischen Werkstattkurses am Bucky Lab ist der Sonnenschutz eine große Spielwiese für die angehenden Architekten, Fassadenplaner und Baukonstrukteure, die dabei ihre Ideen spielerisch – ohne „reale“ Produktionszwänge - umsetzen. Die Inspirationen zu den neuen Lösungsansätzen gründen sich häufig auf (neue) Materialien, Techniken oder sind aus der Natur entlehnt.

Als ein besonders inspirierendes Thema aus dem Tierreich hat sich im letzten Kurs das Thema „Haare“ herauskristallisiert. Während Haare häufig als Wärmeschutz dienen, lassen sich aber auch lichtleitende Eigenschaften wie beim Eisbär finden, dessen schwarze Haut durch das Sonnenlicht aufgewärmt wird, das durch die weißen Haare wie durch ein Glasfaserkabel geleitet wird.

Doch Sie werden sich bestimmt fragen, wie und auf welche Weise lassen sich nun Haare auf einer Fassade anwenden? Die nachfolgenden Projektarbeiten geben interessante Antworten darauf.

Ein Sonnenschutz aus Rüsseln

Die Studenten Antonio D´Aquillio und Gabriela Pena Izquierdo haben einen Ansatz untersucht, der auf beweglichen Haarelementen in der Fassade gründet: Betrachtet man den Verlauf der Sonne auf einem Gebäude und dessen Ausrichtung zur Himmelsrichtung wird deutlich, dass klassische Sonnenschutzlamellen im Süden am besten horizontal, hingegen im Westen und Osten am besten vertikal anzuordnen sind.

Für die Übergangszonen in einem Gebäude, das nicht orthogonal ausgerichtet ist, erscheint eine ideale Ausrichtung des Sonnenschutzes schwierig. Die Studenten kamen auf die Idee, horizontale Stäbe zu entwickeln, die sich ähnlich wie Haare zur Sonne ausrichten lassen.

Durch die Bewegung (das Verdrehen) der Elemente kann eine optimale Verschattung sowie auch eine gute Durchsicht jeweils zu einem bestimmten Blickpunkt hin gewählt werden. Ähnlich wie Scheuklappen, lassen sich die Verschattungselemente dann in eine Richtung bewegen und entsprechend einstellen, um so den besten Kompromiss zwischen Sonnenschutz und Durchsicht zu ermöglichen.

Durch die große Anzahl dieser Elemente, z. B. 100 Einheiten pro Quadratmeter, kommt schnell die Frage der Realisierung der Bewegung auf. Natürlich lassen sich durch den Einsatz von Motoren oder Hydraulikzylindern, über Bowdenzüge oder Zuggestänge die Bewegung von einem einzelnen Stab lösen. Die schiere Anzahl würde diese Lösungen aber sehr teuer und reparaturanfällig machen.

Hier ließen sich die Studenten von dem Rüssel des Elefanten inspirieren: Durch ein rüsselförmiges Element kann eine freie Bewegung in alle Richtungen erfolgen. Der Grundkörper des Verschattungselements wurde dann aus flexiblem Silikon ausgeführt, der im Querschnitt aus drei Kammern besteht. Wird nun in eine der drei Kammern Luft eingeblasen, beugt sich der Körper in die entgegengesetzte Richtung, da sich die Kammer ausdehnt und dadurch länger wird.

Die Schalung für die Formteile der „Rüssel“ wurde mittels 3D-Drucker erstellt, sodass die Elemente in einer Kleinserie aus Silikon gegossen werden konnten. Dann wurden sie auf einer transparenten Plexiglasplatte montiert. Durch die Integration der Zuleitung (für die Luftsteuerung) in einer mehrlagigen transparenten Trägerplatte lässt sich die Steuerung von mehreren Verschattungselementen als Gruppe relativ einfach realisieren. Die Zuleitungen lassen sich in eine Fassade integrieren, die Steuerung erfolgt dann über Luftventile.

Der Prototyp zeigt die Wirkweise der Idee sehr gut. Die Studenten hatten viele Misserfolge beim Gießen der Formen, eine industrielle Fertigung ist aber bei größeren Stückzahlen kein Problem. Diese Lösung zeigt sehr gut, wie sich komplexe Bewegungen durch den vollständigen Verzicht von beweglichen Mechaniken realisieren lassen.

Haben unseren Fassaden künftig Haare? – Das Fazit von Kursleiter Marcel Bilow

Glaswelt – Werden wir bald haarige Fassaden bekommen?

Marcel Bilow – Wohl eher nicht, aber die unterschiedlichen Ansätze und Konzepte zeigen, dass „Haare“ als System ein hohes Potenzial für eine moderne Gebäudehülle bieten können.

Glaswelt – Wie sehen Sie die Ergebnisse?

Bilow – Viel wichtiger als das Endprodukt des Kurses am Bucky-Lab ist die Auseinandersetzung mit der technischen Umsetzung von Entwürfen. Im Fokus steht der Gedanke, den Studenten eine „angstfreie Umgebung“ anzubieten, wo sie erst einmal ohne technische Zwänge frei und kreativ denken können. Damit können sie auch ganz außergewöhnliche Ansätze und Ideen durchspielen und praktisch ausprobieren. Damit wächst dann auch das Verständnis für das technisch Machbare, woraus ein weiterer Lerneffekt resultiert.

Glaswelt – Sie forschen selbst an neuen Fassadentypen, wo sehen Sie die Trends?

Bilow – Die Fassaden werden integraler werden, sprich es werden mehr Funktionen dort angesiedelt, wie z. B. die Haustechnik. Und wer weiß, vielleicht müssen unsere Gebäude in naher Zukunft doch noch zum Friseur gehen.—

Dr. Ing. Marcel Bilow ist als Assistant Professor an der TU Delft tätig und der Leiter des Bucky Lab.

www.buckylab.nl

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