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Im Interview mit Carsten Willmann

Was muss man bei einer Fluchttür beachten?

GW – Was ist der Unterschied zwischen einem Rettungsweg und einem Fluchtweg?

Carsten Willmann – Der Begriff Rettungsweg wird in der Bauordnung verwendet und beschreibt den Weg im Gebäude, über den Personen das Gebäude selbst verlassen oder gerettet werden können. Dieser Rettungsweg ist gleichzeitig auch Angriffsweg für die Feuerwehr. In der Regel sind für Nutzungseinheiten im Wohnungsbau, die Aufenthaltsräume beinhalten, zwei Rettungswege erforderlich. Der erste Rettungsweg wird immer baulich hergestellt und führt über notwendige Flure, den Treppenraum und dann direkt ins Freie. Hier können sich die Personen ohne fremde Hilfe selbst retten.

Der zweite Rettungsweg kann im Bereich von normalen Wohngebäuden auch über ein Rettungsfenster führen. Hier muss gegebenenfalls die Feuerwehr dann mit Rettungsgerät (Leiter, Drehleiter) die Personen retten.

In den verschiedenen Sonderbauten, wie Industriebauten oder Versammlungsstätten, sind sowohl der erste als auch der zweite Rettungsweg baulich herzustellen. Das bedeutet: Rettungsgeräte der Feuerwehr kommen nicht zum Einsatz.

Fluchtwege dienen der Selbstrettung. Sie sollen ein selbstständiges Fliehen im Gefahrenfall ermöglichen. Diese Regelungen finden sich, ergänzend zur Bauordnung, z. B. in den Arbeitsstättenrichtlinien (ASR). Fluchtwege im Sinne dieser Regel sind auch die im Bauordnungsrecht definierten Rettungswege, sofern sie selbstständig begangen werden können.

Die Arbeitsstättenrichtlinien schauen im Wesentlichen auf die Belange der Arbeitgeber und nicht auf die Belange der Feuerwehr.

GW – Was ist eine Fluchttür und welche Anforderungen werden an sie gestellt?

Willmann – Der Begriff Fluchttür ist kein Begriff des Baurechts, sondern eher ein Begriff des Arbeitsschutzes. In der Bauordnung werden Türen zu Nutzungseinheiten (z. B. Wohnungen) als Abschlüsse bezeichnet. Türen im Treppenraum haben nach § 35 der Musterbauordnung folgende Anforderungen:

  • zu Kellergeschossen, zu nicht ausgebauten Dachräumen, Werkstätten, Läden, Lager- und ähnlichen Räumen sowie zu sonstigen Räumen und Nutzungseinheiten mit einer Fläche von mehr als 200 m²: mindestens feuerhemmende, rauchdichte und selbstschließende Abschlüsse.
  • zu notwendigen Fluren: rauchdichte und selbstschließende Abschlüsse
  • zu sonstigen Räumen und Nutzungseinheiten: mindestens dicht- und selbstschließende Abschlüsse
  • In der Musterbauordnung werden keine Öffnungsrichtungen o. Ä. vorgegeben. Im Bereich des Sonderbaus nach § 50 MBO und den evtl. geltenden Sonderbauvorschriften (Versammlungsstättenverordnung, Verkaufsstättenverordnung etc.) werden jedoch Vorgaben zur Öffnungsrichtung gemacht.

    GW – Wie regelt sich die Mindestdurchgangsbreite einer Fluchttür?

    Willmann – Die Breite der Türen ist in der Bauordnung nicht konkret vorgegeben. Jedoch müssen Wohnungstüren, die über einen Aufzug erreichbar sind, mindestens 90 cm breit sein (vgl. § 37 MBO). Natürlich muss auch die Tür ins Freie und auch die Türen zu den Nutzungseinheiten für diesen Verkehr ausgelegt sein.

    Bei Sonderbauten werden explizite Vorgaben zur Öffnungsrichtung und Breite gemacht. So sind in der Versammlungsstättenverordnung u. a. folgende Vorgaben gemacht:

  • Mindestbreite je Tür 1,20 m
  • Je 200 Personen sind 1,20 m an Fluchtwegbreite zur Verfügung zu stellen
  • Türen müssen in Fluchtrichtung aufschlagen
  • Türen dürfen keine Schwelle haben
  • Von innen leicht und in voller Breite zu öffnen
  • Im Arbeitsschutz sieht das jedoch anders aus. In der ASR A2.3 sind für verschiedene Anzahlen an Personen Türbreiten vorgegeben, die der Planer einhalten muss. Bei einer Personenzahl von bis zu 100 Personen in der Nutzungseinheit muss die lichte Türbreite mindestens 100 cm betragen.

    GW – Welche Regelwerke und Normen sind beim Thema Fluchttüren relevant?

    Willmann – Türen im Fluchtweg haben meist auch eine Brandschutz- oder Rauchschutzfunktion. Hierfür gelten die baurechtlichen Vorgaben für geregelte Bauprodukte. Diese Türen bedürfen eines Verwendbarkeitsnachweises in Form einer allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung (abZ) des DIBt oder einer Zustimmung im Einzelfall (ZiE) der zuständigen Landesbehörde. Für die Bauart (Planung, Bemessung, Ausführung) ist eine allgemeine Bauartgenehmigung des DIBt (aBG) oder eine vorhabenbezogene Bauartgenehmigung (vBG) der zuständigen Landesbehörde erforderlich. Das DIBt erteilt abZ/aBG für Feuerschutzabschlüsse in einem Kombi-Bescheid.

    Für die Zuordnung der Klassifizierung zu bau­aufsichtlichen Anforderungen gelten die einschlägigen Landesvorschriften entsprechend der Muster-Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (MVV TB), Anhang 4, Absatz 5.

    Für die Beschläge werden üblicherweise die DIN EN 179 bzw. DIN EN 1125 herangezogen. Im Anwendungsfall der DIN EN 179 wird die Entstehung einer Paniksituation als unwahrscheinlich angesehen. Falls im Gebäude mit der Entstehung einer Panik­situation zu rechnen ist, wird auf DIN EN 1125 Schlösser und Baubeschläge - Paniktürverschlüsse mit horizontaler Betätigungsstange für Türen in Rettungswegen verwiesen. Der Unterschied zwischen den beiden relevanten Normen liegt also in der Wahrscheinlichkeit, mit der eine Panik ausbrechen kann. Diese gilt dann als wahrscheinlich, wenn die Nutzung des Gebäudes auch durch Fremde, ortsunkundige Personen erfolgt. Demnach müssen in allen öffentlichen Bereichen – Bahnhöfe, Behörden, Kinos etc. – die Anforderungen der DIN EN 1125 angewendet werden. In allen nichtöffentlichen Gebäuden – Wohnungen, Büros ohne Publikumsverkehr, nichtöffentliche Flächen von z. B. Flughäfen – gilt die Norm mit den niedrigeren Anforderungen, die DIN EN 179. Beide Normen sind baurechtlich nicht eingeführt und müssen vom Auftraggeber im Rahmen der Planung gefordert werden.

    GW – Müssen alle Türen in Fluchtwegen in Fluchtrichtung aufgehen? Wann greift diese Regelung? Gibt es Ausnahmen?

    Willmann – Für Türen, die nur die Vorgaben der Bauordnung, ohne Sonderbauvorschriften berücksichtigen müssen, gibt es wie oben beschrieben keine Vorgaben zur Fluchtrichtung. Werden Gebäude nach Sonderbauvorschriften beurteilt, sind die Vorgaben entsprechend zu beachten. Im Denkmalschutz empfiehlt es sich die Ausbildung der Türen mit der Baurechts- und Denkmalschutzbehörde gemeinsam zu besprechen. Hier sind meistens Kompromisse in allen Bereichen erforderlich.

    Handelt es sich um Arbeitsstätten, gilt die Arbeitsstättenverordnung. Türen zu Notausgängen haben immer in Fluchtrichtung zu öffnen. Türen untergeordneter Räume, wie Lager etc., müssen in der Regel nicht in Fluchtrichtung öffnen. Auch Türen aus Besprechungszimmern o. Ä. müssen aus Sicht des Arbeitsschutzes nicht in Fluchtrichtung öffnen. Hier ist eine Gefährdungsbeurteilung durchzuführen.

    GW – Gibt es die Möglichkeit, Schiebetüren als Fluchttüren einzusetzen? Was gilt für automatische Türen in Flucht- und Rettungswegen?

    Willmann – Ja, dies ist möglich. Es können die ­M-AutSchR–Muster-Richtlinien über automatische Schiebetüren in Rettungswegen angewendet werden. Diese Richtlinien enthalten die bauordnungsrechtlichen Anforderungen an die Herstellung und Prüfung von elektromechanisch, hydraulisch oder pneumatisch angetriebenen automatischen Schiebetüren in Rettungswegen.

    Die Türen müssen funktionssicher sein und z. B. bei Stromausfall öffnen.

    GW – Dürfen Fluchttüren verriegelt werden?

    Willmann – In der Musterbauordnung ist dies nicht explizit ausgeschlossen, jedoch ist es in den Sonderbauvorschriften geregelt. In der Versammlungsstättenverordnung z. B. ist geregelt: „Während des Aufenthaltes von Personen in der Versammlungsstätte müssen die Türen der jeweiligen Rettungswege jederzeit von innen leicht und in voller Breite geöffnet werden können.“

    Handelt es sich um eine Fluchttür einer Arbeitsstätte ist gemäß ASR A2.3 vorgegeben, dass sich die verriegelte Tür bei Betätigung des Türdrückers entriegelt. Dies wird üblicherweise mit einem Panikschloss sichergestellt.

    GW – Gibt es einen Bestandsschutz bei Fluchtwegevorschriften?

    Willmann – Einfach gesagt im Baurecht ja, im Arbeitsstättenrecht nein. Wenn sich ein Gebäude im genehmigten Zustand befindet und die Baugenehmigung mangelfrei umgesetzt wurde, besteht in dem Lebenszyklus kein Bedarf, Bauteile zu ertüchtigen, wenn sich das Baurecht geändert hat. Natürlich muss man bei baulichen Änderungen schauen, inwieweit der Bestandsschutz bestehen bleiben kann und evtl. dann das neuere Baurecht umgesetzt werden muss. Dies ist z. B. bei Aufstockungen oder Dachausbauten der Fall.

    Im Arbeitsschutz sieht das wieder anders aus. Hier besteht Bedarf, die jeweilige Situation anzupassen. Das Mittel des Arbeitgebers ist hier immer die Gefährdungsbeurteilung. Ergeben sich neue „Gefahren“ oder Einschätzungen, sind evtl. Bauteile wie z. B. Türen anzupassen.

    GW – Ist bei einer Fluchttür eine Schwellenhöhe zulässig?

    Willmann – Eine Fluchttür ist ja eine Tür aus dem Arbeitsschutz. Also wären hier nach ASR A1.5 Stolperstellen nicht zulässig. Unter ebenen Bedingungen in Räumen gelten bereits Höhenunterschiede von mehr als 4 mm als Stolperstelle. Im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung kann der Arbeitgeber von den Vorgaben abweichen.

    In der Musterbauordnung selber gibt es keine besondere Anforderung an die Schwelle. In den Sonderbauvorschriften werden aber meist Schwellen ausgeschlossen. Ebenfalls gibt es in der DIN 18040 für Barrierefreies Bauen Vorgaben, die bei entsprechenden Gebäuden nach der DIN 18040 eingehalten werden müssen.

    GW – Was ist eine Notausgangs- oder Paniktür?

    Willmann – Die Begriffe kommen aus der DIN EN 179 bzw. DIN EN 1125. In der DIN EN 1790 wird von der Notausgangstür gesprochen, in der DIN EN 1125 von Panikverschlüssen (-türen). Im Arbeitsschutz spricht man von Türen (und Toren) im Verlauf von Fluchtwegen (vgl. ASR A2.3) oder Türen von Notausgängen. Im Baurecht spricht man von Abschlüssen.

    GW – Gibt es besondere Anforderungen an das Glas einer Fluchttür?

    Willmann – Aus Sicht des Baurechts gibt es keine besondere Anforderung, wenn es sich nicht um eine Rauch- oder Brandschutztür handelt. Glastüren müssen nach § 37 MBO lediglich gut gekennzeichnet werden. Wenn die Glastüren Brandschutzanforderungen haben, müssen sie natürlich entsprechende Zulassungen haben. Aus Sicht des Arbeitsschutzes müssen bei Verglasungen in Türen entsprechende Vorkehrungen wie Markierungen und natürlich eine entsprechende Bruchfestigkeit beachtet werden (VGL. ASR A1.6).

    GW – Herr Willmann, herzlichen Dank für die umfassenden Antworten!

    Die Fragen platzierte Chefredakteur Daniel Mund.

    Foto: Prot - stock.adobe.com

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