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Warm gebogene Gläser in der baupraxis, Teil 2

Größere Toleranzen beachten

Aktuell gibt es für gebogene Gläser keine bauaufsichtlich eingeführten Produktnormen, in denen Herstellung und Eigenschaften dieses Produktes geregelt werden. Insofern handelt es sich bei thermisch gebogenem Glas um ein „ungeregeltes Produkt“ im baurechtlichen Sinn.

Die Anwendung gebogener Konstruktionen ist z.Zt. nur für Vertikalverglasungen in den TRLV geregelt. Daher lassen sich momentan Konstruk­tionen mit gebogenen Vertikalverglasungen baurechtlich gesichert umsetzen.

Voraussetzung ist, dass der Hersteller der gebogenen Gläser über eine Allgemeine bauaufsichtliche Zulassung (AbZ) verfügt, in der der Herstellprozess und die Produkteigenschaften geregelt sind. Soll ein Produkt ohne gültige AbZ eingesetzt werden, ist in jedem Fall eine Zustimmung im Einzelfall (ZiE) erforderlich.

Nach der anstehenden Einführung der DIN 18008 Teil 1 bis 4 und der dann erfolgten Zurückziehung der TRLV, wird die Anwendung gebogener Vertikalverglasungen nicht mehr geregelt sein. Denn gebogene Verglasungen sollen erst in den Teil 7 (Sonderverglasungen) der DIN 18008 eingehen. In diesem Fall ist es erforderlich, dass für die gebogenen Gläser eine AbZ vorliegen muss, in der sowohl das Produkt, als auch seine Anwendung geregelt werden. Ist dies nicht der Fall, ist auch hier eine Einzelfallzulassung erforderlich.

Statisch-konstruktive Aspekte

Da es sich bei gebogenem Glas um ein eigenes Bauprodukt mit spezifischen Eigenschaften handelt, lassen sich die Eigenschaften und Mate­rial­kennwerte nicht mit denen von flachem Glas gleichsetzen. Um auch in der Praxis diesen Unterschied herauszustellen, wird im aktuellen BF-Leitfaden für thermisch gebogenes Glas (BF Merkblatt 009/2011) empfohlen, die Bezeichnungen gb-Float, gb-TVG und gb-ESG zu ver­wenden.

Ein wesentlicher Unterschied besteht in den anzusetzenden Biegezugfestigkeiten, die das Hauptbemessungskriterium darstellen. Die Tabelle zeigt die für die Planung empfohlenen charakteristischen Werte, die für eine Bemessung herangezogen werden können, solange der Hersteller der gebogenen Gläser noch nicht feststeht.

Diese Werte sind dann im weiteren Verlauf durch eine AbZ oder durch Versuche im Rahmen einer ZiE zu bestätigen. Wird die Berechnung auf Grundlage der TRLV mit einem globalem Sicherheitsbeiwert durchgeführt, kann der Verarbeiter in Anlehnung an die Berechnung von ebenem Glas mit einem Sicherheitsfaktor von 2,4 arbeiten.

Ein weiterer signifikanter Unterschied zu der Bemessung von ebenen Gläsern besteht in der Schalentragwirkung. Je nach Auflagerbedingung des gekrümmten Systems ergeben sich bereits bei kleinen Krümmungen erhebliche Steifigkeitszuwächse.

Dieser Effekt lässt sich leicht an einer Vergleichsberechnung einer zylindrisch gebogenen, absturzsichernden Verglasung erläutern, die durch eine Flächenlast (Lastfall1) und eine Linienlast (Lastfall 2) beansprucht wird. Hierbei sind die gebogenen Kanten oben und unten linienförmig gelagert. Bild 01 und 02 zeigen die Ergebnisse der Biegezugspannung und der Verformung im Vergleich zu einer ebenen Verglasung.

Bereits bei der mit einem Biegeradius von 10,0 m relativ kleinen Krümmung ergeben sich deutlich kleinere Spannungen und Verformungen als bei der ebenen Verglasung. Da der Spannungsverlauf einer gekrümmten, an ihren gebogenen Kanten gelagerten Schale völlig anders aussieht, als bei einem ebenen System, muss die Krümmung bei der Berechnung bereits bei kleinen Biegeradien berücksichtigt werden. Ein Idealisierung als ebenes System ist nicht zulässig.

Die deutlich höhere Steifigkeit gebogener Gläser wird bei gebogenen Isoliergläsern allerdings zu einem Nachteil, da hier wesentlich größere Klimalasten auftreten, die durch die höhere Trag­fähigkeit i.d.R. nicht aufgefangen werden. Zudem kann bei Klimalasten nicht auf Berechnungsmodelle ebener Gläser zurückgegriffen werden, die Anwendung des Anhangs A der TRLV ist nicht zulässig. Aus den höheren Klimalasten ergeben sich zudem höhere Beanspruchungen des Randverbunds gebogener Isolierglasscheiben. Das führt häufig zu einer größeren Randverbundtiefe. Dies sollte frühzeitig bei der Planung der Unterkonstruktion berücksichtigt werden.

Durch den komplizierten Herstellprozess ist bei gebogenen Gläsern grundsätzlich mit größeren Toleranzen zu rechnen als bei ebenen Scheiben. Hinzu kommt, dass naturgemäß auch eine gebogene Unterkonstruktion erforderlich wird, die ebenfalls mit entsprechenden Toleranzen belastet ist.

Die Berechnung und Planung gebogener Verglasungen sollte daher unbedingt auch die Planung und Berechnung der Unterkonstruktion mit einschließen.

Für die Auflagerung gebogener Verglasungen empfiehlt sich grundsätzlich eine Nassversiegelung. Diese lässt im Extremfall die Aufnahme sehr großer Abweichungen zwischen Unterkonstruk­tion und Glas zu, ohne dass das Glas beim Einbau ungewollt verformt und gezwängt wird (Bild 03).

Durch seine höhere Steifigkeit ist gebogenes Glas erheblich sensibler gegenüber Zwängungen und Verformungen der Unterkonstruk­tion, weswegen diese auf die geplante Verglasung abzustimmen sind.

Bewährt haben sich Auflagerkonstruktionen, die im Werk auf die Verglasung appliziert werden, so dass sich Toleranzen ohne Stress ausgleichen lassen und auf der Baustelle nur noch metallische Verbindungen ausgeführt werden müssen.

Ausblick

Bei thermisch gebogenem Glas handelt es sich im Vergleich zu ebenem Glas um ein separates Bauprodukt. Der Einsatz gebogener Gläser erfordert eine sorgfältige Planung von der Ermittlung der Glasdicken über die Klärung der technischen Machbarkeit bis hin zur Entwicklung einer geeigneten Unterkonstruktion.

Werden die angesprochenen Besonderheiten im Planungsprozess sorgfältig berücksichtigt, steht einer technisch sauberen und rechtssicheren Ausführung von gebogenen Fassaden- und Interieurgläsern nichts im Wege.

Markus Kramer

Der Autor

Markus Kramer betreibt seit 2003 ein Ingenieurbüro für ­Tragwerksplanung und FEM-­Berechnungen in Essen.

Das ­Büro ­konzentriert sich auf den ­konstruktiven Glasbau, den Stahl- und Metallbau sowie den Fassaden- und ­Messebau. http://www.ib-kramer.de

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